Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten | Page 3

Johann Wolfgang von Goethe
So wuchs er heran, und seine Forderungen wuchsen immer vor ihm her, so da? er zuletzt, da er achtzehn Jahre alt war, ganz au?er Verh?ltnis mit seinem Zustande sich f��hlen mu?te.
Schulden hatte er bisher nicht gemacht, denn seine Mutter hatte ihm davor den gr??ten Abscheu eingefl??t, sein Vertrauen zu erhalten gesucht und in mehreren F?llen das ?u?erste getan, um seine W��nsche zu erf��llen oder ihn aus kleinen Verlegenheiten zu rei?en. Ungl��cklicherweise mu?te sie in eben dem Zeitpunkte, wo er nun als J��ngling noch mehr aufs ?u?ere sah, wo er durch die Neigung zu einem sehr sch?nen M?dchen, verflochten in gr??ere Gesellschaft, sich andern nicht allein gleichzustellen, sondern vor andern sich hervorzutun und zu gefallen w��nschte, in ihrer Haushaltung gedr?ngter sein als jemals; anstatt also seine Forderungen wie sonst zu befriedigen, fing sie an, seine Vernunft, sein gutes Herz, seine Liebe zu ihr in Anspruch zu nehmen, und setzte ihn, indem sie ihn zwar ��berzeugte, aber nicht ver?nderte, wirklich in Verzweiflung.
Er konnte, ohne alles zu verlieren, was ihm so lieb als sein Leben war, die Verh?ltnisse nicht ver?ndern, in denen er sich befand. Von der ersten Jugend an war er diesem Zustande entgegen; er war mit allem, was ihn umgab, zusammengewachsen; er konnte keine Faser seiner Verbindungen, Gesellschaften, Spazierg?nge und Lustpartien zerrei?en, ohne zugleich einen alten Schulfreund, einen Gespielen, eine neue, ehrenvolle Bekanntschaft und, was das Schlimmste war, seine Liebe zu verletzen.
Wie hoch und wert er seine Neigung hielt, begreift man leicht, wenn man erf?hrt, da? sie zugleich seiner Sinnlichkeit, seinem Geiste, seiner Eitelkeit und seinen lebhaften Hoffnungen schmeichelte. Eins der sch?nsten, angenehmsten und reichsten M?dchen der Stadt gab ihm, wenigstens f��r den Augenblick, den Vorzug vor seinen vielen Mitwerbern. Sie erlaubte ihm, mit dem Dienst, den er ihr widmete, gleichsam zu prahlen, und sie schienen wechselsweise auf die Ketten stolz zu sein, die sie einander angelegt hatten. Nun war es ihm Pflicht, ihr ��berall zu folgen, Zeit und Geld in ihrem Dienste zu verwenden und auf jede Weise zu zeigen, wie wert ihm ihre Neigung und wie unentbehrlich ihm ihr Besitz sei.
Dieser Umgang und dieses Bestreben machte Ferdinanden mehr Aufwand, als es unter andern Umst?nden nat��rlich gewesen w?re. Sie war eigentlich von ihren abwesenden Eltern einer sehr wunderlichen Tante anvertraut worden, und es erforderte mancherlei K��nste und seltsame Anstalten, um Ottilien, diese Zierde der Gesellschaft, in Gesellschaft zu bringen. Ferdinand ersch?pfte sich in Erfindungen, um ihr die Vergn��gungen zu verschaffen, die sie so gern geno? und die sie jedem, der um sie war, zu erh?hen wu?te.
Und in eben diesem Augenblicke von einer geliebten und verehrten Mutter zu ganz andern Pflichten aufgefordert zu werden, von dieser Seite keine H��lfe zu sehen, einen so lebhaften Abscheu vor Schulden zu f��hlen, die auch seinen Zustand nicht lange w��rden gefristet haben, dabei von jedermann f��r wohlhabend und freigebig angesehen zu werden und das t?gliche und dringende Bed��rfnis des Geldes zu empfinden, war gewi? eine der peinlichsten Lagen, in der sich ein junges, durch Leidenschaften bewegtes Gem��t befinden kann.
Gewisse Vorstellungen, die ihm fr��her nur leicht vor der Seele vor��bergingen, hielt er nun fester; gewisse Gedanken, die ihn sonst nur Augenblicke beunruhigten, schwebten l?nger vor seinem Geiste, und gewisse verdrie?liche Empfindungen wurden dauernder und bitterer. Hatte er sonst seinen Vater als sein Muster angesehen, so beneidete er ihn nun als seinen Nebenbuhler. Von allem, was der Sohn w��nschte, war jener im Besitz; alles, wor��ber dieser sich ?ngstigte, ward jenem leicht. Und es war nicht etwa von dem Notwendigen die Rede, sondern von dem, was jeder h?tte entbehren k?nnen. Da glaubte denn der Sohn, da? der Vater wohl auch manchmal entbehren sollte, um ihn genie?en zu lassen. Der Vater dagegen war ganz anderer Gesinnung; er war von denen Menschen, die sich viel erlauben und die deswegen in den Fall kommen, denen, die von ihnen abh?ngen, viel zu versagen. Er hatte dem Sohne etwas Gewisses ausgesetzt und verlangte genaue Rechenschaft, ja eine regelm??ige Rechnung von ihm dar��ber.
Nichts sch?rft das Auge des Menschen mehr, als wenn man ihn einschr?nkt. Darum sind die Frauen durchaus kl��ger als die M?nner, und auf niemand sind Untergebene aufmerksamer als auf den, der befiehlt, ohne zugleich durch sein Beispiel vorauszugehen. So ward der Sohn auf alle Handlungen seines Vaters aufmerksam, besonders auf solche, die Geldausgaben betrafen. Er horchte genauer auf, wenn er h?rte, der Vater habe im Spiel verloren oder gewonnen, er beurteilte ihn strenger, wenn jener sich willk��rlich etwas Kostspieliges erlaubte.
"Ist es nicht sonderbar", sagte er zu sich selbst, "da? Eltern, w?hrend sie sich mit Genu? aller Art ��berf��llen, indem sie blo? nach Willk��r ein Verm?gen, das ihnen der Zufall gegeben hat, benutzen, ihre Kinder gerade zu der Zeit von jedem billigen Genusse ausschlie?en, da die Jugend am empf?nglichsten daf��r ist! Und mit welchem Rechte tun sie es? Und wie sind sie zu diesem Rechte gelangt? Soll der Zufall allein entscheiden, und kann
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