Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten | Page 2

Johann Wolfgang von Goethe
die sie mir bezeichnet hatte, sogleich, aber verschlossen und im ganzen Hause Licht, das sogar von Zeit zu Zeit wie eine Flamme aufzulodern schien. Ungeduldig fing ich an zu klopfen, um meine Ankunft zu melden; aber ich h?rte eine Mannsstimme, die mich fragte, wer drau?en sei.
Ich ging zur��ck und einige Stra?en auf und ab. Endlich zog mich das Verlangen wieder nach der T��re. Ich fand sie offen und eilte durch den Gang die Treppe hinauf. Aber wie erstaunt war ich, als ich in dem Zimmer ein paar Leute fand, welche Bettstroh verbrannten, und bei der Flamme, die das ganze Zimmer erleuchtete, zwei nackte K?rper auf dem Tische ausgestreckt sah. Ich zog mich eilig zur��ck und stie? im Hinausgehen auf ein paar Totengr?ber, die mich fragten, was ich suchte. Ich zog den Degen, um sie mir vom Leibe zu halten, und kam nicht unbewegt von diesem seltsamen Anblick nach Hause. Ich trank sogleich drei bis vier Gl?ser Wein, ein Mittel gegen die pestilenzialischen Einfl��sse, das man in Deutschland sehr bew?hrt h?lt, und trat, nachdem ich ausgeruhet, den andern Tag meine Reise nach Lothringen an.
Alle M��he, die ich mir nach meiner R��ckkunft gegeben, irgend etwas von dieser Frau zu erfahren, war vergeblich. Ich ging sogar nach dem Laden der zwei Engel; allein die Mietleute wu?ten nicht, wer vor ihnen darin gesessen hatte.
Dieses Abenteuer begegnete mir mit einer Person vom geringen Stande, aber ich versichere, da? ohne den unangenehmen Ausgang es eins der reizendsten gewesen w?re, deren ich mich erinnere, und da? ich niemals ohne Sehnsucht an das sch?ne Weibchen habe denken k?nnen."

Ferdinands Schuld und Wandlung
Erz?hlung aus Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten
(1795)
Man kann in Familien oft die Bemerkung machen, da? Kinder sowohl der Gestalt als dem Geiste nach bald vom Vater, bald von der Mutter Eigenschaften an sich tragen, und so kommt auch manchmal der Fall vor, da? ein Kind die Naturen beider Eltern auf eine besondere und verwundernsw��rdige Weise verbindet.
Hievon war ein junger Mensch, den ich Ferdinand nennen will, ein auffallender Beweis. Seine Bildung erinnerte an beide Eltern, und ihre Gem��tsart konnte man in der seinigen genau unterscheiden. Er hatte den leichten und frohen Sinn des Vaters, so auch den Trieb, den Augenblick zu genie?en, und eine gewisse leidenschaftliche Art, bei manchen Gelegenheiten nur sich selbst in Anschlag zu bringen. Von der Mutter aber hatte er, so schien es, ruhige ��berlegung, ein Gef��hl von Recht und Billigkeit und eine Anlage zur Kraft, sich f��r andere aufzuopfern. Man sieht hieraus leicht, da? diejenigen, die mit ihm umgingen, oft, um seine Handlungen zu erkl?ren, zu der Hypothese ihre Zuflucht nehmen mu?ten, da? der junge Mann wohl zwei Seelen haben m?chte.
Ich ��bergehe mancherlei Szenen, die in seiner Jugend vorfielen, und erz?hle nur eine Begebenheit, die seinen ganzen Charakter ins Licht setzt und in seinem Leben eine entschiedene Epoche machte.
Er hatte von Jugend auf eine reichliche Lebensart genossen, denn seine Eltern waren wohlhabend, lebten und erzogen ihre Kinder, wie es solchen Leuten geziemt, und wenn der Vater in Gesellschaften, beim Spiel und durch zierliche Kleidung mehr, als billig war, ausgab, so wu?te die Mutter als eine gute Haush?lterin dem gew?hnlichen Aufwande solche Grenzen zu setzen, da? im Ganzen ein Gleichgewicht blieb und niemals ein Mangel zum Vorschein kommen konnte. Dabei war der Vater als Handelsmann gl��cklich; es gerieten ihm manche Spekulationen, die er sehr k��hn unternommen hatte, und weil er gern mit Menschen lebte, hatte er sich in Gesch?ften auch vieler Verbindungen und mancher Beih��lfe zu erfreuen.
Die Kinder, als strebende Naturen, w?hlen sich gew?hnlich im Hause das Beispiel dessen, der am meisten zu leben und zu genie?en scheint. Sie sehen in einem Vater, der sichs wohl sein l??t, die entschiedene Regel, wornach sie ihre Lebensart einzurichten haben, und weil sie schon fr��h zu dieser Einsicht gelangen, so schreiten meistenteils ihre Begierden und W��nsche in gro?er Disproportion der Kr?fte ihres Hauses fort. Sie finden sich bald ��berall gehindert, um so mehr, als jede neue Generation neue und fr��here Anforderungen macht und die Eltern den Kindern dagegen meistenteils nur gew?hren m?chten, was sie selbst in fr��herer Zeit genossen, da noch jedermann m??iger und einfacher zu leben sich bequemte.
Ferdinand wuchs mit der unangenehmen Empfindung heran, da? ihm oft dasjenige fehle, was er an seinen Gespielen sah. Er wollte in Kleidung, in einer gewissen Liberalit?t des Lebens und Betragens hinter niemanden zur��ckbleiben, er wollte seinem Vater ?hnlich werden, dessen Beispiel er t?glich vor Augen sah und der ihm doppelt als Musterbild erschien: einmal als Vater, f��r den der Sohn gew?hnlich ein g��nstiges Vorurteil hegt, und dann wieder, weil der Knabe sah, da? der Mann auf diesem Wege ein vergn��gliches und genu?reiches Leben f��hrte und dabei von jedermann gesch?tzt und geliebt wurde. Ferdinand hatte hier��ber, wie man sich leicht denken kann, manchen Streit mit der Mutter, da er dem Vater die abgelegten R?cke nicht nachtragen, sondern selbst immer in der Mode sein wollte.
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