Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten | Page 7

Johann Wolfgang von Goethe
besorgt. Der Alte
hatte das Geld, das ihm der Sohn entwendete, nicht eben gemerkt,
außer daß unglücklicherweise darunter ein Paket einer in diesen
Gegenden ungewöhnlichen Münzsorte gewesen war, die er einem
Fremden im Spiel abgewonnen hatte. Diese vermißte er, und der

Umstand schien ihm bedenklich. Allein was ihn äußerst beunruhigte,
war, daß ihm einige Rollen, jede mit hundert Dukaten, fehlten, die er
vor einiger Zeit verborgt, aber gewiß wiedererhalten hatte. Er wußte,
daß der Schreibtisch sonst durch einen Stoß aufgegangen war, er sah
als gewiß an, daß er beraubt sei, und geriet darüber in die äußerste
Heftigkeit. Sein Argwohn schweifte auf allen Seiten herum. Unter den
fürchterlichsten Drohungen und Verwünschungen erzählte er den
Vorfall seiner Frau; er wollte das Haus um und um kehren, alle
Bedienten, Mägde und Kinder verhören lassen, niemand blieb von
seinem Argwohn frei. Die gute Frau tat ihr möglichstes, ihren Gatten
zu beruhigen; sie stellte ihm vor, in welche Verlegenheit und Diskredit
diese Geschichte ihn und sein Haus bringen könnte, wenn sie ruchbar
würde, daß niemand an dem Unglück, das uns betreffe, Anteil nehme
als nur, um uns durch sein Mitleiden zu demütigen, daß bei einer
solchen Gelegenheit weder er noch sie verschont werden würden, daß
man noch wunderlichere Anmerkungen machen könnte, wenn nichts
herauskäme, daß man vielleicht den Täter entdecken und, ohne ihn auf
zeitlebens unglücklich zu machen, das Geld wiedererhalten könne.
Durch diese und andere Vorstellungen bewog sie ihn endlich, ruhig zu
bleiben und durch stille Nachforschung der Sache näher zu kommen.
Und leider war die Entdeckung schon nahe genug. Ottiliens Tante war
von dem wechselseitigen Versprechen der jungen Leute unterrichtet.
Sie wußte von den Geschenken, die ihre Nichte angenommen hatte.
Das ganze Verhältnis war ihr nicht angenehm, und sie hatte nur
geschwiegen, weil ihre Nichte abwesend war. Eine sichere Verbindung
mit Ferdinand schien ihr vorteilhaft, ein ungewisses Abenteuer war ihr
unerträglich. Da sie also vernahm, daß der junge Mensch bald
zurückkommen sollte, da sie auch ihre Nichte täglich wieder erwartete,
eilte sie, von dem, was geschehen war, den Eltern Nachricht zu geben
und ihre Meinung darüber zu hören, zu fragen, ob eine baldige
Versorgung für Ferdinand zu hoffen sei und ob man in eine Heirat mit
ihrer Nichte willige.
Die Mutter verwunderte sich nicht wenig, als sie von diesen
Verhältnissen hörte. Sie erschrak, als sie vernahm, welche Geschenke
Ferdinand an Ottilien gegeben hatte. Sie verbarg ihr Erstaunen, bat die

Tante, ihr einige Zeit zu lassen, um gelegentlich mit ihrem Manne über
die Sache zu sprechen, versicherte, daß sie Ottilien für eine vorteilhafte
Partie halte und daß es nicht unmöglich sei, ihren Sohn nächstens auf
eine schickliche Weise auszustatten.
Als die Tante sich entfernt hatte, hielt sie es nicht für rätlich, ihrem
Manne die Entdeckung zu vertrauen. Ihr lag nur daran, das
unglückliche Geheimnis aufzuklären, ob Ferdinand, wie sie fürchtete,
die Geschenke von dem entwendeten Geld gemacht habe. Sie eilte zu
dem Kaufmann, der diese Art Geschmeide vorzüglich verkaufte,
feilschte um ähnliche Dinge und sagte zuletzt, er müsse sie nicht
überteuern, denn ihrem Sohn, der eine solche Kommission gehabt, habe
er die Sachen wohlfeiler gegeben. Der Handelsmann beteuerte: nein!
zeigte die Preise genau an und sagte dabei, man müsse noch das Agio
der Geldsorte hinzurechnen, in der Ferdinand zum Teil bezahlt habe. Er
nannte ihr zu ihrer größten Betrübnis die Sorte; es war die, die dem
Vater fehlte.
Sie ging nun, nachdem sie sich zum Scheine die nächsten Preise
aufsetzen lassen, mit sehr bedrängtem Herzen hinweg. Ferdinands
Verirrung war zu deutlich, die Rechnung der Summe, die dem Vater
fehlte, war groß, und sie sah nach ihrer sorglichen Gemütsart die
schlimmste Tat und die fürchterlichsten Folgen. Sie hatte die Klugheit,
die Entdeckung vor ihrem Manne zu verbergen; sie erwartete die
Zurückkunft ihres Sohnes mit geteilter Furcht und Verlangen. Sie
wünschte sich aufzuklären und fürchtete, das Schlimmste zu erfahren.
Endlich kam er mit großer Heiterkeit zurück. Er konnte Lob für seine
Geschäfte erwarten und brachte zugleich in seinen Waren heimlich das
Lösegeld mit, wodurch er sich von dem geheimen Verbrechen zu
befreien gedachte.
Der Vater nahm seine Relation gut, doch nicht mit solchem Beifall auf,
wie er hoffte, denn der Vorgang mit dem Gelde machte den Mann
zerstreut und verdrießlich, um so mehr, als er einige ansehnliche Posten
in diesem Augenblicke zu bezahlen hatte. Diese Laune des Vaters
drückte ihn sehr, noch mehr die Gegenwart der Wände, der Mobilien,
des Schreibtisches, die Zeugen seines Verbrechens gewesen waren.

Seine ganze Freude war hin, seine Hoffnungen und Ansprüche; er
fühlte sich als einen gemeinen, ja als einen schlechten Menschen.
Er wollte sich eben nach einem stillen Vertriebe der Waren, die nun
bald ankommen sollten, umsehen und sich durch die Tätigkeit aus
seinem Elende herausreißen, als die Mutter ihn beiseite nahm und ihm
mit Liebe und Ernst sein Vergehen vorhielt und ihm auch nicht den
mindesten Ausweg zum Leugnen offen ließ. Sein
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