des geschriebenen Gesetzes die erste Stufe der Reflexion; das poetische Gesamtleben der episch-heroischen Zeit wird zu einer prosaischen Ordnung der Dinge. Wird nun das in sich gebrochene Gemüt, das aufgeh?rt hat ein totales zu sein, in sich selbst zurückgetrieben, um dort in subjektiven Empfindungen und Betrachtungen zu weilen, so gibt diese Besch?ftigung des Subjekts mit sich selbst der lyrischen Poesie Entstehung; dr?ngt es umgekehrt den Zwiespalt mit der bestehenden Welt nach au?en und sucht praktisch und handelnd sein Inneres in der objektiven Welt geltend zu machen, so führt dieser Kampf individueller Zwecke und Charaktere mit den allgemeinen objektiven M?chten zur dramatischen Poesie.
Wie aber in der Periode des Epos die Kr?fte des Menschen überhaupt noch in Einheit sind, so ist auch sein sinnliches Dasein noch nicht von dem geistigen unterdrückt. Die homerischen Helden sind ganze volle, zugleich herrlich sinnliche und edel geistige Menschen, stehen im engen Verkehr mit der ?u?ern Natur, und die physischen Bedürfnisse und deren Befriedigung gelten ihnen eben so sehr, als wir sie zu verhüllen streben. Essen und Trinken ist in ihrem Lebenslauf keine Nebensache, und die ?u?eren Verrichtungen, die dazu n?tig sind, stehen nicht unter ihrer Würde. Der Held schlachtet selbst seinen Ochsen und zerlegt und reinigt ihn und br?t das Fleisch; der Sessel, auf dem er sitzt, das Bett, in dem er schl?ft, die Matten, Segel und Ruderb?nke des schnellen hohlen Schiffes, mit dem er übers Meer gekommen, sein Helm, sein Schild, sein Panzer und der Speer, mit dem er sich zur Schlacht wappnet, der Wagen, mit dem er über die troischen Gefilde eilt, die Zügel, die Pferde -- alles dies geh?rt wesentlich zum Kreise, in dem seine Pers?nlichkeit gegenw?rtig ist. Und indem er in diese sinnlichen Besch?ftigungen und physischen Bedürfnisse sein ganzes Ich hineinlegt, werden diese Verrichtungen selbst geadelt und gleichsam menschlicher. Für uns arbeiten Maschinen und Fabriken; wir beteiligen uns an den sinnlichen Gesch?ften nur halb, unser edleres Selbst ist nicht dabei zugegen; Diener thun es für uns hinter unserm Rücken; Handwerker verfertigen unser Ger?t; die Speisen kommen uns künstlich bereitet schon zu und diejenige Klasse, die sich mit jenen Verrichtungen abgibt, hat dafür den geistigen Adel eingebü?t, den die homerischen Menschen bei all ihrem Thun bewahren. So macht es jetzt einen rührenden Eindruck auf uns, wenn Penelope, die Fürstin von Ithaka, und Helena, die Gattin des K?nigssohnes Paris, selbst ihr Gewand weben, da? Nausikaa selbst am Meeresufer mit ihren M?gden ihre Kleider w?scht und trocknet. Wenn von dem einen Helden gerühmt wird, da? die Beredsamkeit von seinen Lippen geflossen wie sü?er Honig (ein sehr geistiges Lob), so preist der Dichter dafür andre wegen ihrer m?chtigen Stimme, wegen der Schnelligkeit ihrer Fü?e und der Kraft, mit der sie gro?e Steine aufheben und fortschleudern, also wegen sinnlicher Eigenschaften. Das Ansehen des K?nigs stützt sich auf die Gewalt des Heldenk?rpers, durch die der Herrscher dem Volk überlegen ist. Der Kampf selbst ist ein k?rperlicher: Mann trifft auf Mann. Voll sch?ner symbolischer Gebr?uche ist die Kriegführung, die Bestattung, der Opferdienst, ?ffentlich ist die Volksversammlung, sie bewegt sich in lauter sichtbaren und h?rbaren Formen. So gilt das Recht der Sinnlichkeit unverkürzt und das Sittliche und Physische verschmelzen mit gleicher Macht zum Bilde einer totalen, in sich einigen und ungebrochenen Menschennatur.
Auf diesem Boden also entsteht das Epos und damit ergeben sich alle Eigenschaften dieser poetischen Gattung von selbst. Wenn der Held abends von seinen Thaten ruht, wenn nach beendigtem Mahle das Verlangen nach Speise und Trank gestillt ist, dann tritt der Rhapsode auf und sein Lied ist eine ideale Reproduktion des Erlebten und Vollführten, Erz?hlung geschehener Thaten und Begebenheiten, Erinnerung an eine n?here und fernere Vergangenheit. Solche Ges?nge t?nen bei jedem Fest, unter jedem Dache, überhaupt wenn die Mu?ezeit eingetreten ist. Sie sind nicht willkürlichen und individuellen Inhalts; nicht der Einzelne hat sie mit diesem bestimmten Geiste gefüllt und in dieser bestimmten Form gestaltet; er ist ein Organ, gleichsam der Mund des Volkes, das lautwerdende Allgemeingefühl. Das Nibelungenlied, sagt Grimm, hat sich selbst gedichtet. So haben diese Rhapsodieen einen inneren Zug zusammenzuflie?en; zugleich bildet sich die anfangs schwankende Sage durch vielseitigen Austausch zu einer festen Gestalt. Das so entstehende epische Gedicht wird in einer Periode, wo überhaupt mehr die allgemeinen Lebensgesetze gelten als das Individuum, das ganze nationale Leben umfassend spiegeln; es wird ein Abbild der Thaten und Gesinnungen des Volkes überhaupt. Das Volk selbst dichtet das wahre Epos und spricht sich darin mit allen seinen Eigentümlichkeiten aus. Das epische Gedicht erz?hlt uns daher keine vereinzelte That, sondern die Bewegung, die Züge und K?mpfe nationaler Massen: in ihm herrscht nicht eine einzelne Empfindung oder Leidenschaft oder eine begrenzte Herzens- und Lebenssituation wie im lyrischen Gedicht oder im Drama, sondern es umschlie?t die volle Totalit?t einer Nation und einer Zeit. Dadurch nur wird auch das Epos zum Hauptbuche, zur allgemeinen Quelle der Erziehung und Bildung oder, wie Hegel treffend sagt,
Continue reading on your phone by scaning this QR Code
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the
Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.