Tristan | Page 2

Thomas Mann
den Mund zu«,
hatte Herr Klöterjahn gesagt, als er seine Frau durch den Garten führte;
und in dieses »take care« mußte zärtlichen und zitternden Herzens
jedermann innerlich einstimmen, der sie erblickte, -- wenn auch nicht
zu leugnen ist, daß Herr Klöterjahn es anstandslos auf deutsch hätte
sagen können.
Der Kutscher, welcher die Herrschaften von der Station zum
Sanatorium gefahren hatte, ein roher, unbewußter Mann ohne
Feingefühl, hatte geradezu die Zunge zwischen die Zähne genommen
vor ohnmächtiger Behutsamkeit, während der Großkaufmann seiner
Gattin beim Aussteigen behilflich war; ja, es hatte ausgesehen, als ob
die beiden Braunen, in der stillen Frostluft qualmend, mit rückwärts
gerollten Augen angestrengt diesen ängstlichen Vorgang verfolgten,
voll Besorgnis für soviel schwache Grazie und zarten Liebreiz.
Die junge Frau litt an der Luftröhre, wie ausdrücklich in dem
anmeldenden Schreiben zu lesen stand, das Herr Klöterjahn vom
Strande der Ostsee aus an den dirigierenden Arzt von >Einfried<
gerichtet hatte, und Gott sei Dank, daß es nicht die Lunge war! Wenn
es aber dennoch die Lunge gewesen wäre, -- diese neue Patientin hätte

keinen holderen und veredelteren, keinen entrückteren und
unstofflicheren Anblick gewähren können als jetzt, da sie an der Seite
ihres stämmigen Gatten, weich und ermüdet in den weißlackierten,
gradlinigen Armsessel zurückgelehnt, dem Gespräche folgte.
Ihre schönen, blassen Hände, ohne Schmuck bis auf den schlichten
Ehering, ruhten in den Schoßfalten eines schweren und dunklen
Tuchrockes, und sie trug eine silbergraue, anschließende Taille mit
festem Stehkragen, die mit hochaufliegenden Sammetarabesken über
und über besetzt war. Aber diese gewichtigen und warmen Stoffe
ließen die unsägliche Zartheit, Süßigkeit und Mattigkeit des Köpfchens
nur noch rührender, unirdischer und lieblicher erscheinen. Ihr
lichtbraunes Haar, tief im Nacken zu einem Knoten zusammengefaßt,
war glatt zurückgestrichen, und nur in der Nähe der rechten Schläfe fiel
eine krause, lose Locke in die Stirn, unfern der Stelle, wo über der
markant gezeichneten Braue ein kleines, seltsames Äderchen sich
blaßblau und kränklich in der Klarheit und Makellosigkeit dieser wie
durchsichtigen Stirn verzweigte. Dies blaue Äderchen über dem Auge
beherrschte auf eine beunruhigende Art das ganze feine Oval des
Gesichts. Es trat sichtbarer hervor, sobald die Frau zu sprechen begann,
ja sobald sie auch nur lächelte, und es gab alsdann dem
Gesichtsausdruck etwas Angestrengtes, ja selbst Bedrängtes, was
unbestimmte Befürchtungen erweckte. Dennoch sprach sie und lächelte.
Sie sprach freimütig und freundlich mit ihrer leicht verschleierten
Stimme, und sie lächelte mit ihren Augen, die ein wenig mühsam
blickten, ja hie und da eine kleine Neigung zum Verschießen zeigten,
und deren Winkel, zu beiden Seiten der schmalen Nasenwurzel, in
tiefem Schatten lagen, sowie mit ihrem schönen, breiten Munde, der
blaß war und dennoch zu leuchten schien, vielleicht, weil seine Lippen
so überaus scharf und deutlich umrissen wa-ren. Manchmal hüstelte sie.
Hierbei führte sie ihr Taschentuch zum Munde und betrachtete es
alsdann.
»Hüstle nicht, Gabriele«, sagte Herr Klöterjahn. »Du weißt, daß Doktor
Hinzpeter zu Hause es dir extra verboten hat, darling, und es ist bloß,
daß man sich zusammennimmt, mein Engel. Es ist, wie gesagt, die
Luftröhre«, wiederholte er. »Ich glaubte wahrhaftig, es wäre die Lunge,

als es losging, und kriegte, weiß Gott, einen Schreck. Aber es ist nicht
die Lunge, nee, Deubel noch mal, auf so was lassen wir uns nicht ein,
was, Gabriele? hö, hö!«
»Zweifelsohne«, sagte Doktor Leander und funkelte sie mit seinen
Brillengläsern an.
Hierauf verlangte Herr Klöterjahn Kaffee -- Kaffee und Buttersemmeln,
und er hatte eine anschauliche Art, den K-Laut ganz hinten im
Schlunde zu bilden und »Bottersemmeln« zu sagen, daß jedermann
Appetit bekommen mußte.
Er bekam, was er wünschte, bekam auch Zimmer für sich und seine
Gattin, und man richtete sich ein.
Übrigens übernahm Doktor Leander selbst die Behandlung, ohne
Doktor Müller für den Fall in Anspruch zu nehmen.

3
Die Persönlichkeit der neuen Patientin erregte ungewöhnliches
Aufsehen in >Einfried<, und Herr Klöterjahn, gewöhnt an solche
Erfolge, nahm jede Huldigung, die man ihr darbrachte, mit Genugtuung
entgegen. Der diabetische General hörte einen Augenblick zu murren
auf, als er ihrer zum ersten Male ansichtig wurde, die Herren mit den
entfleischten Gesichtern lächelten und versuchten angestrengt, ihre
Beine zu beherrschen, wenn sie in ihre Nähe kamen, und die
Magistratsrätin Spatz schloß sich ihr sofort als ältere Freundin an. Ja,
sie machte Eindruck, die Frau, die Herrn Klöterjahns Namen trug! Ein
Schriftsteller, der seit ein paar Wochen in >Einfried< seine Zeit
verbrachte, ein befremdender Kauz, dessen Name wie der eines
Edelgesteines lautete, verfärbte sich geradezu, als sie auf dem Korridor
an ihm vorüberging, blieb stehen und stand noch immer wie
angewurzelt, als sie schon längst entschwunden war.
Zwei Tage waren noch nicht vergangen, als die ganze Kurgesellschaft
mit ihrer Geschichte vertraut war. Sie war aus Bremen gebürtig, was

übrigens, wenn sie sprach, an gewissen liebenswürdigen
Lautverzerrungen zu erkennen war, und hatte dortselbst vor zwiefacher
Jahresfrist dem Großhändler Klöterjahn ihr Ja-Wort fürs Leben erteilt.
Sie war ihm in seine Vaterstadt, dort oben am
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