Tristan, by Thomas Mann
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Title: Tristan
Author: Thomas Mann
Release Date: October 20, 2004 [EBook #13810]
Language: German
Character set encoding: ISO-8859-1
*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK TRISTAN
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Tristan
von
Thomas Mann
1
Hier ist >Einfried<, das Sanatorium! Weiß und geradlinig liegt es mit
seinem langgestreckten Hauptgebäude und seinem Seitenflügel
inmitten des weiten Gartens, der mit Grotten, Laubengängen und
kleinen Pavillons aus Baumrinde ergötzlich ausgestattet ist, und hinter
seinen Schieferdächern ragen tannengrün, massig und weich zerklüftet
die Berge himmelan.
Nach wie vor leitet Doktor Leander die Anstalt. Mit seinem
zweispitzigen schwarzen Bart, der hart und kraus ist wie das Roßhaar,
mit dem man die Möbel stopft, seinen dicken, funkelnden
Brillengläsern und diesem Aspekt eines Mannes, den die Wissenschaft
gekältet, gehärtet und mit stillem, nachsichtigem Pessimismus erfüllt
hat, hält er auf kurz angebundene und verschlossene Art die Leidenden
in seinem Bann, -- alle diese Individuen, die, zu schwach, sich selbst
Gesetze zu geben und sie zu halten, ihm ihr Vermögen ausliefern, um
sich von seiner Strenge stützen lassen zu dürfen.
Was Fräulein von Osterloh betrifft, so steht sie mit unermüdlicher
Hingabe dem Haushalte vor. Mein Gott, wie tätig sie, treppauf und
treppab, von einem Ende der Anstalt zum anderen eilt! Sie herrscht in
Küche und Vorratskammer, sie klettert in den Wäscheschränken umher,
sie kommandiert die Dienerschaft und bestellt unter den
Gesichtspunkten der Sparsamkeit, der Hygiene, des Wohlgeschmacks
und der äußeren Anmut den Tisch des Hauses, sie wirtschaftet mit einer
rasenden Umsicht, und in ihrer extremen Tüchtigkeit liegt ein
beständiger Vorwurf für die gesamte Männerwelt verborgen, von der
noch niemand darauf verfallen ist, sie heimzuführen. Auf ihren Wangen
aber glüht in zwei runden, karmoisinroten Flecken die unauslöschliche
Hoffnung, dereinst Frau Doktor Leander zu werden...
Ozon und stille, stille Luft ... für Lungenkranke ist >Einfried<, was
Doktor Leanders Neider und Rivalen auch sagen mögen, aufs wärmste
zu empfehlen. Aber es halten sich nicht nur Phthisiker, es halten sich
Patienten aller Art, Herren, Damen und sogar Kinder hier auf: Doktor
Leander hat auf den verschiedensten Gebieten Erfolge aufzuweisen. Es
gibt hier gastrisch Leidende, wie die Magistratsrätin Spatz, die überdies
an den Ohren krankt, Herrschaften mit Herzfehlern, Paralytiker,
Rheumatiker und Nervöse in allen Zuständen. Ein diabetischer General
verzehrt hier unter immerwährendem Murren seine Pension. Mehrere
Herren mit entfleischten Gesichtern werfen auf jene unbeherrschte Art
ihre Beine, die nichts Gutes bedeutet. Eine fünfzigjährige Dame, die
Pastorin Höhlenrauch, die neunzehn Kinder zur Welt gebracht hat und
absolut keines Gedankens mehr fähig ist, gelangt dennoch nicht zum
Frieden, sondern irrt, von einer blöden Unrast getrieben, seit einem
Jahre bereits am Arm ihrer Privatpflegerin starr und stumm, ziellos und
unheimlich durch das ganze Haus.
Dann und wann stirbt jemand von den >Schweren<, die in ihren
Zimmern liegen und nicht zu den Mahlzeiten noch im
Konversationszimmer erscheinen, und niemand, selbst der
Zimmernachbar nicht, erfährt etwas davon. In stiller Nacht wird der
wächserne Gast beiseite geschafft, und ungestört nimmt das Treiben in
>Einfried< seinen Fortgang, das Massieren, Elektrisieren und Injizieren,
das Duschen, Baden, Turnen, Schwitzen und Inhalieren in den
verschiedenen mit allen Errungenschaften der Neuzeit ausgestatteten
Räumlichkeiten...
Ja, es geht lebhaft zu hierselbst. Das Institut steht in Flor. Der Portier,
am Eingange des Seitenflügels, rührt die große Glocke, wenn neue
Gäste eintreffen, und in aller Form geleitet Doktor Leander, zusammen
mit Fräulein von Osterloh, die Abreisenden zum Wagen. Was für
Existenzen hat >Einfried< nicht schon beherbergt! Sogar ein
Schriftsteller ist da, ein exzentrischer Mensch, der den Namen
irgendeines Minerals oder Edelsteines führt und hier dem Herrgott die
Tage stiehlt...
Übrigens ist, neben Herrn Doktor Leander, noch ein zweiter Arzt
vorhanden, für die leichten Fälle und die Hoffnungslosen. Aber er heißt
Müller und ist überhaupt nicht der Rede wert.
2
Anfang Januar brachte Großkaufmann Klöterjahn -- in Firma A. C.
Klöterjahn & Comp. -- seine Gattin nach >Einfried<; der Portier rührte
die Glocke, und Fräulein von Osterloh begrüßte die weither gereisten
Herrschaften im Empfangszimmer zu ebener Erde, das, wie beinahe das
ganze vornehme alte Haus, in wunderbar reinem Empirestil eingerichtet
war. Gleich darauf erschien auch Doktor Leander; er verbeugte sich,
und es entspann sich eine erste, für beide Teile orientierende
Konversation.
Draußen lag der winterliche Garten mit Matten über den Beeten,
verschneiten Grotten und vereinsamten Tempelchen, und zwei
Hausknechte schleppten vom Wagen her, der auf der Chaussee vor der
Gatterpforte hielt -- denn es führte keine Anfahrt zum Hause-, die
Koffer der neuen Gäste herbei.
»Langsam, Gabriele, take care, mein Engel, und halte
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