Torquato Tasso | Page 8

Johann Wolfgang von Goethe
Aufzug (Saal.)

Erster Auftritt Prinzessin. Tasso.
Tasso. Unsicher folgen meine Schritte dir, O Fürstin, und Gedanken ohne Ma? Und Ordnung regen sich in meiner Seele. Mir scheint die Einsamkeit zu winken, mich Gef?llig anzulispeln: Komm, ich l?se Die neu erregten Zweifel deiner Brust. Doch werf' ich einen Blick auf dich, vernimmt Mein horchend Ohr ein Wort von deiner Lippe, So wird ein neuer Tag um mich herum, Und alle Bande fallen von mir los. Ich will dir gern gestehn, es hat der Mann, Der unerwartet zu uns trat, nicht sanft Aus einem sch?nen Traum mich aufgeweckt; Sein Wesen, seine Worte haben mich So wunderbar getroffen, dass ich mehr Als je mich doppelt fühle, mit mir selbst Aufs neu' in streitender Verwirrung bin.
Prinzessin. Es ist unm?glich, dass ein alter Freund, Der, lang' entfernt, ein fremdes Leben führte, Im Augenblick, da er uns wieder sieht, Sich wieder gleich wie ehmals finden soll. Er ist in seinem Innern nicht ver?ndert; Lass uns mit ihm nur wenig Tage leben, So stimmen sich die Saiten hin und wider, Bis glücklich eine sch?ne Harmonie Aufs neue sie verbindet. Wird er dann Auch n?her kennen, was du diese Zeit Geleistet hast, so stellt er dich gewiss Dem Dichter an die Seite, den er jetzt Als einen Riesen dir entgegen stellt.
Tasso. Ach, meine Fürstin, Ariostes Lob Aus seinem Munde hat mich mehr erg?tzt, Als dass es mich beleidigt h?tte. Tr?stlich Ist es für uns, den Mann gerühmt zu wissen, Der als ein gro?es Muster vor uns steht. Wir k?nnen uns im stillen Herzen sagen: Erreichst du einen Teil von seinem Wert, Bleibt dir ein Teil auch seines Ruhms gewiss. Nein, was das Herz im tiefsten mir bewegte, Was mir noch jetzt die ganze Seele füllt, Es waren die Gestalten jener Welt, Die sich lebendig, rastlos, ungeheuer Um einen gro?en, einzig klugen Mann Gemessen dreht und ihren Lauf vollendet, Den ihr der Halbgott vorzuschreiben wagt. Begierig horcht' ich auf, vernahm mit Lust Die sichern Worte des erfahrnen Mannes; Doch ach! Je mehr ich horchte, mehr und mehr Versank ich vor mir selbst, ich fürchtete, Wie Echo an den Felsen zu verschwinden, Ein Widerhall, ein Nichts mich zu verlieren.
Prinzessin. Und schienst noch kurz vorher so rein zu fühlen, Wie Held und Dichter füreinander leben, Wie Held und Dichter sich einander suchen Und keiner je den andern neiden soll? Zwar herrlich ist die liedeswerte Tat, Doch sch?n ist's auch, der Taten st?rkste Fülle Durch würd'ge Lieder auf die Nachwelt bringen. Begnüge dich aus einem kleinen Staate, Der dich beschützt, dem wilden Lauf der Welt, Wie von dem Ufer, ruhig zuzusehn.
Tasso. Und sah ich hier mit Staunen nicht zuerst, Wie herrlich man den tapfern Mann belohnt? Als unerfahrner Knabe kam ich her, In einem Augenblick, da Fest auf Fest Ferrara zu dem Mittelpunkt der Ehre Zu machen schien. O! Welcher Anblick war's! Den weiten Platz, auf dem in ihrem Glanze Gewandte Tapferkeit sich zeigen sollte, Umschloss ein Kreis, wie ihn die Sonne nicht So bald zum zweiten Mal bescheinen wird. Es sa?en hier gedr?ngt die sch?nsten Frauen, Gedr?ngt die ersten M?nner unsrer Zeit. Erstaunt durchlief der Blick die edle Menge; Man rief: Sie alle hat das Vaterland, Das eine, schmale, Meer umgebne Land, Hierher geschickt. Zusammen bilden sie Das herrlichste Gericht, das über Ehre, Verdienst und Tugend je entschieden hat. Gehst du sie einzeln durch, du findest keinen, Der seines Nachbarn sich zu sch?men brauche!-- Und dann er?ffneten die Schranken sich; Da stampften Pferde, gl?nzten Helm und Schilde, Da dr?ngten sich die Knappen, da erklang Trompetenschall, und Lanzen krachten splitternd, Getroffen t?nten Helm' und Schilde, Staub, Auf einen Augenblick, umhüllte wirbelnd Des Siegers Ehre, des Besiegten Schmach. O lass mich einen Vorhang vor das ganze, Mir allzu helle Schauspiel ziehen, dass In diesem sch?nen Augenblicke mir Mein Unwert nicht zu heftig fühlbar werde.
Prinzessin. Wenn jener edle Kreis, wenn jene Taten Zu Müh' und Streben damals dich entflammten, So konnt' ich, junger Freund, zu gleicher Zeit Der Duldung stille Lehre dir bew?hren. Die Feste, die du rühmst, die hundert Zungen Mir damals priesen und mir manches Jahr Nachher gepriesen haben, sah ich nicht. Am stillen Ort, wohin kaum unterbrochen Der letzte Widerhall der Freude sich Verlieren konnte, musst' ich manche Schmerzen Und manchen traurigen Gedanken leiden. Mit breiten Flügeln schwebte mir das Bild Des Todes vor den Augen, deckte mir Die Aussicht in die immer neue Welt. Nur nach und nach entfernt' es sich, und lie? Mich, wie durch einen Flor, die bunten Farben Des Lebens, blass, doch angenehm, erblicken. Ich sah' lebend'ge Formen wieder sanft sich regen. Zum ersten Mal trat ich, noch unterstützt Von meinen Frauen, aus dem Krankenzimmer, Da kam Lucretia voll frohen Lebens Herbei und führte dich an ihrer Hand. Du warst der erste, der im neuen Leben Mir neu und unbekannt entgegen trat. Da hofft ich viel für dich und
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