Todsünden | Page 9

Hermann Heiberg
dem Nachla? des alten Onkels ging auch zu Ende.
Die letzten Monate auf Falsterhof hatten ihn anspruchsvoller gemacht, er fand manches an seiner Toilette auszusetzen, und allerlei Bedürfnisse regten sich in ihm, die er früher aus Mangel an Geld notgedrungen hatte unterdrücken müssen.
Natürlich! Je früher er Theonie seinen Entschlu? kund gab, Falsterhof zu verlassen, desto eher gelangte er in Besitz von Geld. Seine Genu?sucht und seine Ungeduld überwogen h?ufig seine Klugheit und Selbstbeherrschung; auch in diesem Falle ging's ihm durch den Sinn, lieber rasch zu nehmen, was er bekommen konnte, als den langen und ungewissen Weg der Intrigue einzuschlagen. Aber dann überlegte er wieder, wie gro? der Unterschied sei zwischen dem, was er erreichen werde, wenn er m?glichst lange mit seiner Abreise z?gerte, und dem, was Theonie ihm jetzt wahrscheinlich bieten werde.
Er glaubte, seine Kousine ganz zu durchschauen. Wenn die Ungeduld sie erfa?te, würde sie vielleicht die Abfindungssumme h?her normieren. Also warten, trotz allem warten!
Als er sich sp?ter in den Park hinaus begab und dort gegen seinen Willen sein Gehirn wieder zu arbeiten begann, packte ihn pl?tzlich das Mi?trauen, und ihn ergriff ein ungeduldiges Verlangen, einen Einblick in das Testament zu gewinnen.
Dieser Gedanke besch?ftigte ihn auch noch, als er sich im Stall von dem Kutscher Klaus des alten Onkels Pferd satteln lie? und einen Spazierritt unternahm.
In jedem Fall beschlo? er, nachdem an diesem Abend sich alles in Falsterhof zur Ruhe begeben, in der Tante Wohnzimmer zu schleichen und nachzuforschen, ob er nicht etwa mit einem seiner Schlüssel zum Inhalt der Schublade gelangen k?nne, an der er Theonie heute hatte hantieren sehen.
Als er diesen Entschlu? gefa?t hatte, hielt er unwillkürlich sein Pferd an und warf einen Blick in die Gegend. Vor ihm--er befand sich auf einer Anh?he--lag im Thal das Gut Holzwerder, das einem Herrn von Treffen geh?rte. Die wei?en W?nde des Herrenhauses schauten malerisch aus dem Grün hervor, und namentlich hoben sich links und rechts emporsteigende Tannenw?lder reizvoll von der übrigen Umgebung ab.
Tankred erinnerte sich der Mitteilungen seiner Tante über die Verh?ltnisse der Familie Tressen. Diese waren eigentümlicher Art. Herr von Tressen und seine Frau besa?en eigentlich nichts, alles geh?rte der Tochter. Von deren Gelde lebten sie, und schon oft war in der Nachbarschaft die Frage ausgeworfen worden, wovon Tressens wohl existieren sollten, wenn Grete von der Linden, die Tochter des ursprünglichen Besitzers von Holzwerder und ersten Gatten der jetzigen Frau von Tressen, einmal heiraten würde.
W?hrend Tankred von Brecken noch auf der H?he verharrte und nun eben seinen nach den überh?ngenden Zweigen eines Knickes schnappenden Fuchs wehrte, erklang hinter ihm das Ger?usch von Schritten, und als er sich zur Seite wandte, h?rte er die Worte sagen: "Nicht wahr, es ist sch?n hier?--Guten Abend."
Der Mann, der sie sprach, hatte ein breites, ausdrucksvolles Gesicht, ja, zwei Linien um den Mund waren so scharf, da? sie sich beim Sprechen eingruben, als seien sie künstlich in die Haut gemei?elt. Der untere Teil des Gesichts erhielt dadurch fast das Aussehen einer Maske, aber die buschigen Augen blickten ruhig, und die energische Stirn, an die das Haar schon etwas grau sich anschmiegte, zeigte keine Spur des Alters. Der Fremde trug sich wie ein Verwalter oder P?chter, und er war auch der Verwalter von Holzwerder.
"Ist wohl ein gro?er Besitz?" hub Tankred, den Worten des Mannes durch Kopfnicken beistimmend, an. "Ist dort unten am Flu? nicht die Scheide zwischen Falsterhof und Holzwerder?"
"Ja, mein Herr--Ah--" unterbrach er sich, als Tankred unter Nennung seines Namens den Hut lüftete und sein Pferd in Bewegung setzte, "sehr angenehm--Haben schwere Trauer drüben gehabt? Ja, ja, alles fegt die Zeit zuletzt weg. Drum und dran--." Dieselben Worte wiederholte der Mann noch mehrmals, ohne Beziehung zu seiner Rede und fuhr fort: "Aber um auf Ihre Frage zu kommen, Herr von Brecken. Ja, da ist die Grenzscheide. Vor langer Zeit geh?rten die Güter zusammen, alles geh?rte der Familie von der Linden.
"Dann hat also diese an die Breckens verkauft?"
"So ist es! Die Lindens besa?en noch mehr Güter. Es war die reichste Familie--drum und dran--in der Umgegend: aber der Gro?vater des Letztverstorbenen wu?te schon nicht zu wirtschaften, und"--nun erschienen die tiefen Falten--"so hat sich's nach und nach abgebr?ckelt."
"Aber immerhin ist wohl Holzwerder noch ein gro?es Gut?" forschte Tankred neugierig.
Der Mann zog die Nase und den Mund, er antwortete auch nicht gleich und sagte erst nach einer Pause ausweichend:
"Ja, gro? ist der Besitz--doch haben wir auch Lasten,--drum und dran--ja, ja, gewi?, mancher würde die Finger lang ausstrecken, wenn er Fr?ulein Grete von der Linden w?re."
"Grete von der Linden?" setzte Tankred an, als ob ihm die Verh?ltnisse v?llig fremd w?ren.
"Ja, sie ist die Besitzerin. Die alten Herrschaften leben aber auch auf dem Gut. übrigens, da kommt grade das gn?dige Fr?ulein mit ihrer Gesellschafterin her."
In der That bogen zwei Frauengestalten um die Ecke, und Tankred sah eine schlank gewachsene, in gesunder, zarter Fülle prangende Blondine. Grete von der Linden, und eine etwas
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