Siegfried, der Held | Page 9

Rudolph Herzog
zurück und kam mit Rittern
und Mannen an den Rhein.
Als er die Ufer des geliebten Stromes entlang ritt, befiel ihn das
Heimweh. Und er sagte zu sich selber: »Könnte ich doch einmal
ausruhen und, wie andere Recken pflegen, den Kopf in lieben Schoß
legen. Daß mir das nicht beschieden ist, macht mich traurig. Denn wo
habe ich eine Heimat? Von Xanten bis ins Niederland herrscht mein
Vater König Siegmund, und hier am Rhein gebieten die
Burgundenfürsten. Fern vom Rhein aber mag ich nicht leben.«
Und er ritt weiter und wälzte viele Pläne in seinem Kopfe. Bis er gen
Worms kam, dem Sitz des Burgundenkönigs Gunther und seiner
Brüder Gernot und Geiselher. Als er die reiche Landschaft sah, schlug
ihm das Herz hoch, und heimatlich ward ihm zu Sinn. Da gedachte er,
vor Gunther hinzutreten und ihm einen Teil seines Landes abzukaufen
gegen ein goldbeladenes Rheinschiff, oder aber, falls ihm der König
den Handel abschlüge, Gunther und die Seinen in ehrlichem
Zweikampf herauszufordern um Leben und Güter.
In seinem Thronsaal saß König Gunther. Hochgewachsen war er, fast

wie Siegfried groß, und in den Kampfspielen bewandert wie kaum ein
zweiter. Aber ein strenger Hochmut lag auf seinen Zügen und heiße
Herrschbegier. Ein kräftiger Degen war Gernot, sein Bruder, ein
ritterlicher und tapferer Mann. Der jüngste Bruder aber, Geiselher, war
fast noch ein Kind, mit blondem Gelock, blauen, schwärmerischen
Augen und einem Herzen voll lachender Begeisterung.
Um den Thron herum saßen und standen die Großen des Landes.
Da war vor allem Hagen von Tronje, der Oheim der Burgundenfürsten,
ein hagerer und knochiger Mann mit finsterem, schwarzbärtigem
Antlitz. Nur ein Auge besaß er, das blitzte scharf und spähend unter der
buschigen Braue. Das andere hatte er verloren, als er als Geisel aus
dem Hunnenlande heimgekehrt war und auf der Landstraße seinen
Gesellen Walther überfallen wollte. Als erster Ratgeber stand Hagen
dem Throne am nächsten, und seine eifersüchtige Seele kannte nichts
anderes als die Größe und Macht seiner Herren. So war er gleich
furchtbar in der Treue zu seinen Fürsten wie in seinem Haß gegen alle
Widersacher.
Da waren ferner Hagens Bruder Dankwart, ein wilder Recke, der
blindlings seines Bruders Willen tat; Herr Ortwein von Metz, ein
heißblütiger Haudegen, dem das Schwert so locker saß wie die Zunge
und der ein Schwestersohn Hagens war; Herr Volker von Alzey, der die
Fiedel so heiß und lieblich erklingen lassen konnte, wie er lustig und
nimmermüd den Degen pfeifen ließ; Ritter Rumold, der der
Oberküchenmeister hieß; Ritter Hunold, dem das Amt des
Mundschenken oblag; Ritter Sindold, der Herold; und manch ein
anderer.
Und König Gunther hob lauschend und mißvergnügt den Kopf und
sprach:
»Was ist das für ein Lärmen am Rhein? Weiß das Volk nicht, daß es
sich ruhig zu verhalten hat, wenn die Fürsten mit ihren Räten
niedersitzen? Der Herold gehe und erforsche die Ursache.«
Da ging der Ritter Sindold eilends hinaus und kam eilends wieder.

»König Gunther,« berichtete er hastig, »ein fremder Recke ist
angelangt mit Rittern und Mannen, und das Volk strömt zusammen von
weit und breit, den herrlich im Sattel sitzenden Mann zu bewundern
und nicht minder sein und seiner Leute kostbares Rüstzeug und
Gewand.«
»Was schiert mich Rüstzeug und Gewand,« eiferte Gunther. »Den
Namen will ich wissen.«
Und Sindold mußte bekennen, daß er ihm unbekannt sei und keiner ihn
wisse.
Da erhob sich König Gunther von seinem Thron und schritt schnell
zum Fenster, und seine Brüder und Räte mit ihm. Aber so sehr sie auch
schauten, keiner konnte ein Zeichen finden, an dem er den Helden
erkundete, und Gunthers Zorn war groß.
»Erlaubt mir ein Wort,« sprach endlich Hagen. »Mir ist von meinen
weiten Fahrten kein Ritter der Christen und Heiden unbekannt
geblieben, und wen ich nicht selber sah, von dem hörte ich doch sagen.
Dieser aber, so deucht mich, kann nach Wuchs, Muskelkraft und
vollendetem Anstand kein anderer sein als der gewaltige Siegfried vom
Niederrhein.«
Da wurde es still im Saal, und jeder gedachte des Helden ruhmreicher
Taten. Bis endlich Gunther sprach: »Was mag ihn hergeführt haben?
Und sollen wir ihn als Freund oder als Feind empfangen?«
»Ich rate,« sagte der verschlagene Hagen, »ihm freundlich
entgegenzukommen. Können wir ihn zum Freunde gewinnen, so wird
er uns in manchen Dingen nutzbar sein können, denn seine Macht und
sein Reichtum reichen weit. Bedenket wohl, daß er den Lindwurm
erschlug und dadurch in den Besitz der unermeßlichen Schätze des
Nibelungenhortes kam.«
»Ich fürchte,« entgegnete Gunther, »es wird ihm wenig an unserer
Freundschaft gelegen sein, da er so selbstherrlich und unangemeldet in
unser Land kommt.«

Hagen von Tronje lächelte. »Ich weiß, wie man solche Falken zähmt.
Held Siegfried, der stärkste Mann der Welt, hat ein knabenhaftes Herz,
weich und sehnsüchtig, wenn ihn der wilde Zorn nicht bedrängt. Lasset
uns damit rechnen und klug und behutsam zu Werke gehen. Sehet, wie
er sich stattlich vom Pferde schwingt! Wir wollen
Continue reading on your phone by scaning this QR Code

 / 29
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.