Siegfried, der Held | Page 4

Rudolph Herzog
den Arm zurück, sprengte vor und schleuderte den
eisenbeschlagenen Speer dem Drachen ins Maul, daß nur noch das
Ende des Schaftes hervorwippte. Das Untier aber erhob sich, würgte
und spie den Speer mit solcher Wucht zurück gegen Siegfrieds
auffangenden Schild, daß sich das Roß auf die Hinterbeine setzte und
sich überschlagen hätte, wäre Siegfrieds zwingende Hand nicht so stark
gewesen. Jetzt aber ging der Drache zum Angriff vor. Er brüllte, daß
die Felsen erdröhnten und das Gestein ringsum zersprang. Und bei
jedem Atemzug schossen lodernde Flammen aus seinem Rachen, daß
der Held vor Hitze schier glaubte verkommen zu müssen. Den Gaul riß
er herum, um dem sengenden Qualm zu entgehen. Da holte der
Lindwurm mit dem Schuppenschwanze zum Schlage aus. Aber das
Roß Grane stieg hoch und schwang sich wie ein Vogel über den
Rücken des Ungetüms, hinüber und wieder herüber, wie die Schläge

des Schwanzes fielen, und Siegfried holte sein Schwert Balmung aus
der Scheide, und plötzlich beugte er sich vom Rücken des springenden
Rosses tief hinab, der Stahl pfiff durch die Luft und durchhieb den
Schwanz des Untiers, daß er losgetrennt gegen die Felswand klatschte.
Heulend fuhr der Drache in die Höhe, und ein Prankenschlag traf den
Steigbügel und riß Siegfried vom Pferd.
»Ich will's dir vergelten, du Nimmersatt.« rief der Held und sprang zu
Fuß den Drachen an. Aber die Glut, die ihm entgegenströmte, war so
furchtbar, daß ihm die Panzerschnallen schmolzen und der Harnisch
von seinem Körper fiel. »So ist's bequemer,« lachte grimmig der Held
und ließ den Balmung wie einen Wirbel tanzen. Schon lief ihm der
Schweiß in Strömen über den Leib, schon fühlte er das Mark im Arm
verdorren vor der höllischen Hitze, und immer noch war der Drache
übermächtig. Da gewahrte er an der Klaue des Lindwurms einen
blitzenden Ring, den Ring des Königs Nibelung. Und er nahm seine
letzte Kraft zusammen, duckte sich, sprang vor, warf sich an des
Untiers Kehle und durchschlug mit sausendem Querhieb die zum
Schlag erhobene Tatze, daß die Krallen mit dem Ringe in die Steine
flogen.
Einen einzigen Schrei tat der Drache. Einen Schrei, wie ein
Verdammter schreit. Und brach in seinem Blute tot zusammen.
Held Siegfried stützte sich auf seinen Schwertknauf. Die Zunge lag ihm
trocken im Munde. Einen Trunk mußte er tun, wollte er nicht
verdursten, und er beugte sich über das Drachenblut und schöpfte mit
der Hand. Als er aber die Hand zurückzog, war sie, soweit er sie in das
Blut getaucht hatte, wie mit einer Hornhaut überzogen. Da erkannte
sein scharfer Sinn sofort das Wunder, und er warf die Kleider ab und
badete den ganzen Leib in dem Blute, so, daß sein ganzer Körper
hörnern wurde und undurchdringlich für Hieb und Stich. Nur zwischen
den Schulterblättern blieb eine kleine Stelle frei. Ein Lindenblatt hatte
sich im Walde gelöst und war ihm beim Baden angeflogen.
[Illustration: Siegfried badet im Blut des Drachens]
Angetan mit seinen Kleidern, das Schwert Balmung in der Hand, schritt

der Held zum Eingang der Felsenburg. Mit dem Fuß stieß er an die
abgehauene Klaue, und als er den Ring blitzen sah, bückte er sich, zog
ihn von der Kralle und streifte lachend das Kleinod an seinen Finger.
»Aufgemacht!« rief er und schlug mit dem Schwert gegen das Eisentor.
Blitzschnell öffnete sich das Tor, und ein Hagel von Schwerthieben fiel
auf den Recken nieder, daß er des Todes gewesen wäre, hätte ihn die
hörnerne Haut nicht geschützt. Hageldicht fielen die Hiebe, und doch
gewahrte er niemanden, der sie schlug. Da griff er blindlings geradeaus
und nach rechts und nach links, und plötzlich hielt er einen Bart in
seiner Faust und fühlte wohl, daß er an dem Barte einen Menschen
herumschwang, und er schlug diesen unsichtbaren Menschen gegen die
steinernen Torpfosten, bis eine Stimme kläglich um Erbarmen bat.
»Zeig' dich,« rief Siegfried, »oder ich fresse dich an diesem Bart mit
Stumpf und Stiel.«
Da rieselte es wie ein Nebel zu seinen Füßen nieder, und er hielt in den
Händen einen eisengeschienten, kriegerischen Zwerg, der an seinem
eigenen Barte zappelte.
»Wer bist du?« befragte ihn Siegfried. »Und was machte dich
unsichtbar?«
Und der Zwerg stöhnte: »Ich heiße Alberich und bin der Führer der
Nibelungenritter, die der greuliche Fafner sich dienstbar machte. Wenn
ich Euch schlug, tat ich, was meine Pflicht mir gebot. Habt ein
Einsehen deshalb, so Ihr selber ein Ritter seid. Und ich weise Euch die
Tarnkappe, die ihren Träger unsichtbar macht vor den Menschen.«
»Schwöre mir,« sagte Siegfried, »daß du fortan in Treuen mein
Dienstmann sein willst mit deinen Rittern, und ich will euch ritterbürtig
halten. Schwöre getrost. Denn ich habe euch von eurem Bedrücker
befreit.«
Da beugte Alberich das Knie, überreichte die Tarnkappe und schwur
sich mit seinen Mannen Siegfried in die Hand. Und die tausend
Nibelungenritter eilten herbei, schlugen Schilder und Schwerter

zusammen und huldigten ihrem Befreier und ritterlichen Herrn mit
brausendem
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