an den fernen Horizont, denn jeden Augenblick kann der Marsgast
aus dem Mastkorbe das Erlösungswort »Land« auf das Deck
herabrufen. Schon glauben wir den Gipfel eines hohen Berges über der
Scheidelinie zwischen Ocean und dem unendlichen Luftmeere
auftauchen zu sehen--doch nein--es ist die Mastspitze eines uns
entgegen segelnden Fahrzeuges. Eine Täuschung, die durch die
hochgespannte Erwartung doppelt bitter erscheint. Endlich ist es
unläugbare Wahrheit, am südsüdöstlichen Horizonte zeichnet sich auf
einer hellen, leichten Bank von Federwolken ein bläulicher, flacher
Streifen ab, der von Minute zu Minute immer höher aus den Tiefen des
Oceans aufsteigt. Es ist die Krone einer imposanten Felsenburg, jener
steinerne Herold Afrika's der in der Entdeckungsgeschichte unseres
Erdballs einen ewig denkwürdigen Wendepunkt bildet--der Tafelberg.
1: Die Ueberfahrtsdauer von Southampton über Madeira nach der
Capstadt mit den Dampfern der beiden Concurrenz-Gesellschaften
»Union Steam Ship Company« und »Donald Currie & Cie.« ist in den
letzten Jahren bis auf 20 und 18 Tage abgekürzt worden.
Dieses Gefühl der Sehnsucht nach festem Boden, es steigert sich aber
bis zur peinlichsten Ungeduld, wenn das Schiff auf seiner langen Fahrt
mit all' den Launen und Tücken des Ocean's zu kämpfen hat; wenn der
Neuling zur See, anstatt alle jene originellen, wunderbaren Phänomene
des Meeres, die prächtige unvergleichliche Erscheinung des
Sonnen-Auf- und Untergangs, das Spiel in der Färbung des Himmels
und Wassers, das possirliche Treiben der Delphine und fliegenden
Fische zu bewundern, einem Gefangenen gleich in der engen Cajüte
Schutz vor Sturm und Wetter suchen muß; wenn an Stelle der
scheidenden Sonne, welche den weiten Plan mit leuchtenden Bändern
flüssigen Feuers durchsetzt--ein Bild, das sich dem für
Natur-Erscheinungen empfindlichen Gemüthe mit unauslöschlichen
Zügen einprägt--die Windsbraut, dunkle regengeschwängerte
Wolkenmassen in rasender Eile dahinjagt, wenn das Meer, anstatt in
leicht gekräuselten, kosenden Wellen am Bug des Schiffes sich
brechend, sich in seinem ganzen majestätischen Zorne zeigt, im
Kampfe mit dem Erbfeinde die Wogen aufthürmt zu mächtiger Höhe
und diese donnernd zusammenbrechen, daß fast dem Sturme davor
bangt, wenn das mächtige Fahrzeug in allen Spanten und Fugen ächzt
und stöhnt.
So aber zeigte sich mir der Ocean: Von sechsunddreißig an Bord des
»Briton« auf der Fahrt von Southampton über Madeira nach der
Capstadt verlebten Tagen--26. Mai bis 1. Juli 1872--hatten wir mehr
denn dreißig Tage stürmisches Wetter, volle vier Wochen litt ich an
einer heftigen Dysenterie, welche meine Kräfte derart herabgebracht
hatte, daß ich kaum mehr zu hoffen wagte, das Gestade Süd-Afrika's
lebend zu erreichen. Bei einem solchen Körper- und dem damit
verbundenen Seelenzustande werden es die geehrten Leser wohl leicht
begreiflich finden, daß ich vor Begierde brannte, festen Boden unter
mir zu fühlen, war doch dieser Boden mein heiß ersehntes Ziel, die
Stätte, an der ich in jahrelanger Thätigkeit der Wissenschaft meine
Kräfte zu widmen gedachte. Obwohl todtmüde, fühlte ich neue Kraft in
meine Glieder dringen, als der Ruf »Land« in der zweiten Cajüte
bekannt wurde, unverwandt prüfte ich den Horizont und wich nicht
früher vom Platze, bis nicht der Tafelberg und seine beiden Genossen,
der Löwenkopf zur Rechten und der Teufelsberg zur Linken, sowie die
sich nach Süden dieser Gruppe anschließenden zwölf Apostel in ihrer
ganzen Massenhaftigkeit mir vor Augen lagen.
[Illustration: Ansicht von Funchal.]
Bevor wir das Deck des »Briton« verlassen und den Fuß auf
afrikanische Erde setzen, sei es mir gestattet, mit einigen Worten eines
Erlebnisses an Bord desselben zu gedenken, das mir einen
Vorgeschmack all' der Gefahren und Mühsale bot, die meiner auf
meinen Reisen in Süd-Afrika harrten. Wir befanden uns am 20. Juni
1872 auf der Höhe von St. Helena, schon mehr als drei Wochen
hindurch verfolgte uns ein so schlechtes Wetter, daß es schwer hielt,
sich auf Verdeck zu erhalten. Durch die erwähnte Krankheit war ich
sehr herabgekommen und je schwächer ich wurde, um so gedrückter
schien mir die Atmosphäre in dem beengten Raum der zweiten Cajüte
zu sein (meine Mittel erlaubten es mir nicht, einen Platz in der ersten
Cajüte zu miethen). Als sich nun am genannten Morgen auffallende
Athembeschwerden einstellten, nahm ich mir vor, mich mit
Anwendung aller Kräfte (der Schiffsarzt lag am Delirium tremens
darnieder und war mir somit ohne Nutzen) auf Verdeck zu schleppen,
um die frische Luft einzuathmen. Mit unsäglicher Mühe erreichte ich
das Vorderdeck (Vordercastell), mehrmals von dem Gischt der hoch
aufschäumenden an den Bug des Schiffes unter Donnergetöse sich
brechenden Wogen durchnäßt; die Erleichterung, welche die Luft der
frischen Brise meiner Brust bot, war aber so verlockend, daß ich es
nicht scheute, mich weiteren solchen Sturzbädern auszusetzen.
Nach wenigen Minuten sah ich jedoch ein, daß hier nicht meines
Bleibens war; von einer überschlagenden Sturzwelle auf's Neue
überrascht und ganz durchnäßt erhob ich mich und über den Bug in die
aufgeregte See blickend, überlegte ich eben, ob es wohl nicht
gerathener schien, in die Cajüte zurückzukehren; in diesem Momente
begegnete mein Auge aber schon einer Riesenwoge, die sich
mauerartig vor dem Schiffe aufthürmte. Bevor ich mich noch
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