Siddhartha | Page 8

Herman Hesse
Govinda."
Sprach Govinda: "So sagst du, o Freund, und wei?t doch, da? Siddhartha kein Ochsentreiber ist und ein Samana kein Trunkenbold. Wohl findet der Trinker Bet?ubung, wohl findet er kurze Flucht und Rast, aber er kehrt zur��ck aus dem Wahn und, findet alles beim alten, ist nicht weiser geworden, hat nicht Erkenntnis gesammelt, ist nicht um Stufen h?her gestiegen."
Und Siddhartha sprach mit L?cheln: "Ich wei? es nicht, ich bin nie ein Trinker gewesen. Aber da? ich, Siddhartha, in meinen ��bungen und Versenkungen nur kurze Bet?ubung finde und ebenso weit von der Weisheit, von der Erl?sung entfernt bin wie als Kind im Mutterleibe, das wei? ich, o Govinda, das wei? ich."
Und wieder ein anderes Mal, da Siddhartha mit Govinda den Wald verlie?, um im Dorfe etwas Nahrung f��r ihre Br��der und Lehrer zu betteln, begann Siddhartha zu sprechen--und sagte: "Wie nun, o Govinda, sind wir wohl auf dem rechten Wege? N?hern wir uns wohl der Erkenntnis? N?hern wir uns wohl der Erl?sung? Oder eben wir nicht vielleicht im Kreise--wir, die wir doch dem Kreislauf zu entrinnen dachten?"
Sprach Govinda: "Viel haben wir gelernt, Siddhartha, viel bleibt noch zu lernen. Wir gehen nicht im Kreise, wir gehen nach oben, der Kreis ist eine Spirale, manche Stufe sind wir schon gestiegen."
Antwortete Siddhartha: "Wie alt wohl, meinst du, ist unser ?ltester Samana, unser ehrw��rdiger Lehrer?"
Sprach Govinda: "Vielleicht sechzig Jahre mag unser ?ltester z?hlen."
Und Siddhartha: "Sechzig Jahre ist er alt geworden und hat Nirwana nicht erreicht. Er wird siebzig werden und achtzig, und du und ich, wir werden ebenso alt werden und werden uns ��ben, und werden fasten, und werden meditieren. Aber Nirwana werden wir nicht erreichen, er nicht, wir nicht. O Govinda, ich glaube, von allen Samanas, die es gibt, wird vielleicht nicht einer, nicht einer Nirwana erreichen. Wir finden Tr?stungen, wir finden Bet?ubungen, wir lernen Kunstfertigkeiten, mit denen wir uns t?uschen. Das Wesentliche aber, den Weg der Wege finden wir nicht."
"M?gest du doch," sprach Govinda, "nicht so erschreckende Worte aussprechen, Siddhartha! Wie sollte denn unter so vielen gelehrten M?nnern, unter so viel Brahmanen, unter so vielen strengen und ehrw��rdigen Samanas, unter so viel suchenden, so viel innig beflissenen, so viel heiligen M?nnern keiner den Weg der Wege finden?"
Siddhartha aber sagte mit einer Stimme, welche so viel Trauer wie Spott enthielt, mit einer leisen, einer etwas traurigen, einer etwas sp?ttischen Stimme: "Bald, Govinda, wird dein Freund diesen Pfad der Samanas verlassen, den er so lang mit dir gegangen ist. Ich leide Durst, o Govinda, und auf diesem langen Samanawege ist mein Durst um nichts kleiner geworden. Immer habe ich nach Erkenntnis ged��rstet, immer bin ich voll von Fragen gewesen. Ich habe die Brahmanen befragt, Jahr um Jahr, und habe die heiligen Vedas befragt, Jahr um Jahr, und habe die frommen Samanas befragt, Jahr um Jahr. Vielleicht, o Govinda, w?re es ebenso gut, w?re es ebenso klug und ebenso heilsam gewesen, wenn ich den Nashornvogel oder den Schimpansen befragt h?tte. Lange Zeit habe ich gebraucht und bin noch nicht damit zu Ende, um dies zu lernen, o Govinda: da? man nichts lernen kann! Es gibt, so glaube ich, in der Tat jenes Ding nicht, das wir 'Lernen' nennen. Es gibt, o mein Freund, nur ein Wissen, das ist ��berall, das ist Atman, das ist in mir und in dir und in jedem Wesen. Und so beginne ich zu glauben dies Wissen hat keinen ?rgeren Feind als das Wissenwollen, als das Lernen."
Da blieb Govinda auf dem Wege stehen, erhob die H?nde und sprach: "M?gest du, Siddhartha, deinen Freund doch nicht mit solchen Reden be?ngstigen! Wahrlich, Angst erwecken deine Worte in meinem Herzen. Und denke doch nur: wo bliebe die Heiligkeit der Gebete, wo bliebe die Ehrw��rdigkeit des Brahmanenstandes, wo die Heiligkeit der Samanas, wenn es so w?re wie du sagst, wenn es kein Lernen g?be?! Was, o Siddhartha, was w��rde dann aus alledem werden, was auf Erden heilig, was wertvoll, was ehrw��rdig ist?!"
Und Govinda murmelte einen Vers vor sich hin, einen Vers aus einer Upanishad:
Wer nachsinnend, gel?uterten Geistes, in Atman sich versenkt, Unaussprechlich durch Worte ist seines Herzens Seligkeit.
Siddhartha aber schwieg. Er dachte der Worte, welche Govinda zu ihm gesagt hatte, und dachte die Worte bis an ihr Ende.
Ja, dachte er, gesenkten Hauptes stehend, was bliebe noch ��brig von allem, was uns heilig schien? Was bleibt? Was bew?hrt sich? Und er sch��ttelte den Kopf.
Einstmals, als die beiden J��nglinge gegen drei Jahre bei den Samanas gelebt und ihre ��bungen geteilt hatten, da erreichte sie auf mancherlei Wegen und Umwegen eine Kunde, ein Ger��cht, eine Sage: Einer sei erschienen, Gotama genannt, der Erhabene, der Buddha, der habe in sich das Leid der Welt ��berwunden und das Rad der Wiedergeburten zum Stehen gebracht. Lehrend ziehe er, von J��ngern umgeben, durch das Land, besitzlos, heimatlos, weiblos, im gelben Mantel eines Asketen, aber mit heiterer Stirn, ein Seliger, und Brahmanen und F��rsten beugten
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