Siddhartha | Page 7

Herman Hesse
sich selbst wegsterben, nicht mehr Ich sein, entleerten Herzens Ruhe zu finden, im entselbsteten Denken dem Wunder offen zu stehen, das war sein Ziel. Wenn alles Ich ��berwunden und gestorben war, wenn jede Sucht und jeder Trieb im Herzen schwieg, dann mu?te das Letzte erwachen, das Innerste im Wesen, das nicht mehr Ich ist, das gro?e Geheimnis.
Schweigend stand Siddhartha im senkrechten Sonnenbrand, gl��hend vor Schmerz, gl��hend vor Durst, und stand, bis er nicht Schmerz noch Durst mehr f��hlte. Schweigend stand er in der Regenzeit, aus seinem Haare troff das Wasser ��ber frierende Schultern, ��ber frierende H��ften und Beine, und der B��?er stand, bis Schultern und Beine nicht mehr froren, bis sie schwiegen, bis sie still waren. Schweigend kauerte er im Dorngerank, aus der brennenden Haut tropfte das Blut, aus Schw?ren der Eiter, und Siddhartha verweilte starr, verweilte regungslos, bis kein Blut mehr flo?, bis nichts mehr stach, bis nichts mehr brannte.
Siddhartha sa? aufrecht und lernte den Atem sparen, lernte mit wenig Atem auskommen, lernte den Atem abzustellen. Er lernte, mit dem Atem beginnend, seinen Herzschlag beruhigen, lernte die Schl?ge seines Herzens vermindern, bis es wenige und fast keine mehr waren.
Vom ?ltesten der Samanas belehrt, ��bte Siddhartha Entselbstung, ��bte Versenkung, nach neuen Samanaregeln. Ein Reiher flog ��berm Bambuswald--und Siddhartha nahm den Reiher in seine Seele auf, flog ��ber Wald und Gebirg, war Reiher, fra? Fische, hungerte Reiherhunger, sprach Reihergekr?chz, starb Reihertod. Ein toter Schakal lag am Sandufer, und Siddharthas Seele schl��pfte in den Leichnam hinein, war toter Schakal, lag am Strande, bl?hte sich, stank, verweste, ward von Hy?nen zerst��ckt, ward von Geiern enth?utet, ward Gerippe, ward Staub, wehte ins Gefild. Und Siddharthas Seele kehrte zur��ck, war gestorben, war verwest, war zerst?ubt, hatte den tr��ben Rausch des Kreislaufs geschmeckt, harrte in neuem Durst wie ein J?ger auf die L��cke, wo dem Kreislauf zu entrinnen w?re, wo das Ende der Ursachen, wo leidlose Ewigkeit beg?nne. Er t?tete seine Sinne, er t?tete seine Erinnerung, er schl��pfte aus seinem Ich in tausend fremde Gestaltungen, war Tier, war Aas, war Stein, war Holz, war Wasser, und fand sich jedesmal erwachend wieder, Sonne schien oder Mond, war wieder Ich, schwang im Kreislauf, f��hlte Durst, ��berwand den Durst, f��hlte neuen Durst.
Vieles lernte Siddhartha bei den Samanas, viele Wege vom Ich hinweg lernte er gehen. Er ging den Weg der Entselbstung durch den Schmerz, durch das freiwillige Erleiden und ��berwinden des Schmerzes, des Hungers, des Dursts, der M��digkeit. Er ging den Weg der Entselbstung durch Meditation, durch das Leerdenken des Sinnes von allen Vorstellungen. Diese und andere Wege lernte er gehen, tausendmal verlie? er sein Ich, stundenlang und tagelang verharrte er im Nicht-Ich. Aber ob auch die Wege vom Ich hinwegf��hrten, ihr Ende f��hrte doch immer zum Ich zur��ck. Ob Siddhartha tausendmal dem Ich entfloh, im Nichts verweilte, im Tier, im Stein verweilte, unvermeidlich war die R��ckkehr, unentrinnbar die Stunde, da er sich wiederfand, im Sonnenschein oder im Mondschein, im Schatten oder im Regen, und wieder Ich und Siddhartha war, und wieder die Qual des auf erlegten Kreislaufes empfand.
Neben ihm lebte Govinda, sein Schatten, ging dieselben Wege, unterzog sich denselben Bem��hungen. Selten sprachen sie anderes miteinander, als der Dienst und die ��bungen erforderten. Zuweilen gingen sie zu zweien durch die D?rfer, um Nahrung f��r sich und ihre Lehrer zu betteln.
"Wie denkst du, Govinda," sprach einst auf diesem Bettelgang Siddhartha, "wie denkst du, sind wir weiter gekommen? Haben wir Ziele erreicht?"
Antwortete Govinda: "Wir haben gelernt, und wir lernen weiter. Du wirst ein gro?er Samana sein, Siddhartha. Schnell hast du jede ��bung gelernt, oft haben die alten Samanas dich bewundert. Du wirst einst ein Heiliger sein, o Siddhartha."
Sprach Siddhartha: "Mir will es nicht so erscheinen, mein Freund. Was ich bis zu diesem Tage bei den Samanas gelernt habe, das, o Govinda, h?tte ich schneller und einfacher lernen k?nnen. In jeder Kneipe eines Hurenviertels, mein Freund, unter den Fuhrleuten und W��rfelspielern h?tte ich es lernen k?nnen."
Sprach Govinda: "Siddhartha macht sich einen Scherz mit mir. Wie h?ttest du Versenkung, wie h?ttest du Anhalten des Atems, wie h?ttest du Unempfindsamkeit gegen Hunger und Schmerz dort bei jenen Elenden lernen sollen?"
Und Siddhartha sagte leise, als spr?che er zu sich selber: "Was ist Versenkung? Was ist Verlassen des K?rpers? Was ist Fasten? Was ist Anhaltendes Atems? Es ist Flucht vor dem Ich, es ist ein kurzes Entrinnen aus der Qual des Ichseins, es ist eine kurze Bet?ubung gegen den Schmerz und die Unsinnigkeit des Lebens. Dieselbe Flucht, dieselbe kurze Bet?ubung findet der Ochsentreiber in der Herberge, wenn er einige Schalen Reiswein trinkt oder gegorene Kokosmilch. Dann f��hlt er sein Selbst nicht mehr, dann f��hlt er die Schmerzen des Lebens nicht mehr, dann findet er kurze Bet?ubung. Er findet, ��ber seiner Schale mit Reiswein eingeschlummert, dasselbe, was Siddhartha und Govinda finden, wenn sie in langen ��bungen aus ihrem K?rper entweichen, im Nicht-Ich verweilen. So ist es, o
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