Schnock | Page 7

Friedrich Hebbel
sind, in dem Marktflecken Y. einen ganzen
Tag auf die Post zu warten und muß darum den größten Teil von
Schnocks Mitteilungen für mich behalten; denn bei mir hatten sie nur
mit einem alten Kalender, den ich durchblättern, mit den
Fensterscheiben, die ich hätte zählen können, zu rivalisieren, was
hoffentlich bei keinem meiner Leser der Fall ist. Ich glaube jedoch, daß
einiges daraus sie auch in einer weniger verzweifelten Situation
ergötzen kann, und bitte sie, wenn ich mich hierin täusche, den Grund
nicht in dem Mann und seinen Erlebnissen zu suchen, sondern in
meiner Unfähigkeit, ihn treu, bis in das Haargewebe seiner
Bestimmungsgründe hinein, zu zeichnen. Um dieser Unfähigkeit
möglichst zu Hilfe zu kommen, lasse ich ihn selbst reden.

Zweites Kapitel
Schnock erzählt:
Fragt man mich, warum ich ein Weib genommen habe, das ich jetzt
selbst fürchten muß, so kann ich auf diese Frage vernünftiger antworten
als Tausende von Ehemännern, die mein Schicksal teilen. Sie pflegen
schmachvollerweise für sich anzuführen, daß ihre Drachen ihnen in

Engelsgestalt entgegengetreten seien, als ob dies nicht eben die Natur
des Weibes wäre, und als ob es, Adam ausgenommen, der das freilich
nicht wissen konnte, da kein anderer ihm seine Erfahrungen vermacht
hatte, irgend jemandem zur Entschuldigung gereichen könnte! Solche
Toren darf ich verachten; denn ich habe mich niemals über meinen
Hausteufel und das Geschlecht, dem es angehört, getäuscht, und wenn
ich dennoch sein Gespons geworden bin, so ist das wenigstens nicht
meiner Verblendung beizumessen. Nie wär's mir eingefallen, mich aus
eigener Bewegung nach einem Weibe umzusehen, und wer das zu
ruhmredig findet, der lasse sich sagen, was ich schon in meinem
zehnten Jahre erlebte, dann wird er's begreifen. Ich stand dabei, als
meine Mutter meinem Vater die Oberlippe abbiß, weil er nach einem
heftigen Zank zu früh auf den Versöhnungskuß drang, ich sah sein Blut
stromweis in den Bart rinnen und den Hemdkragen färben. Wer an
meiner Stelle hätte nicht schaudern, wie ich, das Gelübde getan,
niemals wieder einen Menschen an dem Ort, wo er Zähne hat, zu
küssen, und wer könnte dies Gelübde halten und zugleich doch
beweiben wollen? Aber meine jähzornige Mutter bestand, als ich in die
Jahre kam, mit Ungestüm darauf, daß ich mich verheiraten solle, sie
fragte mich, ob ich ein sonstiges Mittel wüßte, ihr Enkel zu verschaffen,
oder ob sie andern alten Frauen in ihren Ansprüchen auf die
großmütterlichen Würden und Freuden nachstünde, und darauf ließ sich
nicht viel erwidern. Ich mußte mich also in den Gedanken ergeben, daß
ich ihretwegen mit irgendeiner Person weiblichen Geschlechts früher
oder später eine eheliche Verbindung würde eingehen müssen, wenn
sie nicht wieder Erwarten und Verhoffen früh wegstürbe, und da das
letztere nicht geschah, so irrte ich mich hierin auch keineswegs. Zwar
zog ich die Entscheidung noch lange hinaus und feierte noch manchen
Geburtstag als Junggesell, worin für mich zu der Zeit, von der ich
spreche, der Hauptreiz dieses Festes lag. Aber als unsre alte
Familienkatze verreckte und bald darauf unser Mops an einem Kloß,
den er zu heiß hineinfraß, erstickte, da wurde meiner Mutter die Stille,
die nun in unserm Hause eintrat, so unerträglich, daß mir alle meine
Ausflüchte nichts mehr halfen, und daß sie die entstandene Lücke um
jeden Preis mit einer Schwiegertochter ausgefüllt sehen wollte. Auch
begünstigte der Zufall sie; denn Jungfer Magdalena Kotzschneuzel, die
Stickerin, mietete sich eben damals in unsrer Nachbarschaft ein und

wußte sie durch einige wohlangebrachte Aufmerksamkeiten, die sie ihr
erwies, namentlich dadurch, daß sie bei einer gewissen Gelegenheit
ihren Rat einzog und ihn auch treu befolgte, so sehr für sich
einzunehmen, daß ich bald beim Frühstück, beim Mittags- und
Abendessen nur noch von ihren Vorzügen reden hörte. "Weißt du, daß
Lene keinen Faden am Leibe trägt, den sie nicht selbst gesponnen hat?"
wurde ich des Morgens regelmäßig befragt, und die dritte Tasse Kaffee
wurde mir gewiß nicht eingeschenkt, wenn ich diesen schlagenden
Beweis der Altmütterlichkeit nicht mit vollen Backen pries. Des
Mittags ward mir gewöhnlich mitgeteilt, daß sie einmal einige hundert
Gulden aus der Lotterie gewonnen habe, und als ich darauf das
erstemal spitzig bemerkte: sie spiele also! ward ich mit einem hastigen:
"Nein! sie hat das Los auf der Straße gefunden!" zurechtgewiesen. Des
Abends mußte ich mir die Auseinandersetzung gefallen lassen, daß sie
sich im Gegensatz zu andern Älter mache als sie sei, weil sie's für eine
größere Ehre halte, mit zu den ehrbaren Matronen gerechnet zu werden,
als zu den leichtsinnigen, jungen Mädchen, deren Klasse sie bei ihren
fünfundzwanzig Jahren doch noch angehöre, und daß ein Mann, der das
wisse und nicht um sie würbe, ein Narr sein müsse. Da dies alles bei
mir nicht anschlug, nahm sie sie plötzlich, ohne mir vorher auch nur ein
Wort zu sagen, auf einige Tage zu sich ins Haus, eines Kleides wegen,
das geändert werden mußte, wie sie vorgab, das sie aber niemals wieder
trug. Ich wußte
Continue reading on your phone by scaning this QR Code

 / 25
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.