Schnock | Page 4

Friedrich Hebbel
zu jung. "--"Gibt's denn Aufstand? Rebellieren die
Bürger? Empört sich, was Hosen trägt?"--"Bewahre uns Gott vor
Rebellion! Dazu haben wir auch gar keine Zeit, man muß sich tummeln,
ums liebe Brot zu verdienen und die hohen Steuern zu erschwingen.
Nein, die Sache, es kurz zu vermelden, ist die. Ein höchst gefährlicher
Verbrecher, ein Bösewicht, der einen greulichen Diebstahl begangen
hat und einer Mordtat fähig gehalten wird, wurde gestern zur Haft
gebracht und heute, als ihm der Gefangenenwärter das Frühstück in den
alten verfallenen Turm bringen wollte, vermißt. Da hat denn der
Amtmann die gesamte Bürgerschaft aufgeboten, um ihn wieder
einzufangen, und wie man vernimmt, so ist's, wunderbar genug!
geglückt. Nun ist man natürlich begierig--" Der Postmeister unterbrach
sich; denn er bemerkte, daß ich schon längst nicht mehr auf ihn hörte,
weil ich sonst über die Explikation das Schauspiel versäumt hätte. Ein
Zug, abenteuerlicher, als ich ihn je gesehen, kam die Straße herauf.
Zuerst, in grellroten Röcken mit messingnen Knöpfen, an der Seite
mächtige Säbel, die das Gehen erschwerten und den Mut gewiß nicht
vermehrten, zwei ehrenfeste Männer, voll edlen Selbstgefühls, in denen
sich ehemalige Unteroffiziere der Reichsarmee, die vielleicht manche
Schlacht mit hatten verlieren helfen, und jetzige Gerichts--und
Polizeidiener nicht verkennen ließen. Dann, von zwei lahmen Pferden
gezogen, ein Leiterwagen, auf dem der Held des Tages, der
Triumphator, saß, dreifach gebunden, als ob er ein Herkules wäre und
noch etwas mehr. Hinterher die ganze waffenfähige Mannschaft des
Fleckens, mit Mistgabeln, Äxten und Beilen, Stricken, genug mit allen
möglichen Dingen, die der Leser nicht erwartet, armiert und nicht ohne
Stolz zu Frauen und Töchtern aufblickend und sie mit leichtem
Kopfnicken, da die Zeit nichts weiteres erlaubte, begrüßend. Der
Wagen hielt; zwei alte Weiber, wovon eine der andern ihren breiten
Rücken, der ihr das Sehen unmöglich mache, vorwarf, fingen an, sich

zu prügeln, der Amtmann trat vor mit einem Gesicht, welches halb
Fragezeichen war, halb aber auch, der Würde des Amts gemäß,
Gedankenstrich. Die Gerichtsdiener machten Front und statteten beide
zugleich, also so unverständlich wie möglich, Rapport ab, der
Amtmann warf auf den Triumphator einen vernichtenden Blick, den
dieser mit seinem ungezogensten Gähnen erwiderte, dann rief er finster
aus: "Wo bleibt denn aber Schnock, der Schreiner, daß man ihn
beloben, ihm seine Zufriedenheit bezeigen kann?"--"Heda, Meister
Schnock, aufgepaßt!" schrien die Gerichtsdiener, das verdrießliche
Gesicht des Amtmanns und den mürrischen Ton seiner Stimme
möglichst getreu kopierend. Jetzt merkt' ich auf; wer noch nie einen
Glücklichen gesehen hat, der betrachte sich einen deutschen Bürger,
dem bei irgendeinem Anlaß von Gerichts wegen die Versicherung
erteilt wird, daß er ein ganzer Kerl sei. Nicht so schnell, als ich erwartet
hatte, aber doch schnell genug, um die Stirnfalten des Amtmanns nicht
durch sein Zögern zu verdoppeln, trat aus dem Haufen ein Mann heraus,
breitschultrig, von gewaltigem Knochenbau, aber mit einem Gesicht,
worauf das erste Kindergreinen über empfangene Rutenstreiche
versteinert zu sein schien; ein Bär mit einer Kaninchenphysiognomie.
Der Amtmann erteilte ihm ein sparsames Lob wegen seiner bewiesenen
Herzhaftigkeit, Schnock senkte wehmütig den Kopf und schickte einen
ängstlichen Blick zu dem Gefangenen hinüber, der auf seinem Wagen
in sanften Schlummer gefallen war oder sich doch stellte, als ob er es
wäre. Der Amtmann zog sich in das Heiligtum der Amtsstube zurück,
die Gerichtsdiener rissen den Gefangenen von seinem Sitz herunter und
schwuren, er soll ihnen nicht zum zweitenmal entkommen, und wenn er
auch die Kunst besäße, sich in eine Fledermaus zu verwandeln. Die
Menge zerstreute sich, nur Schnock blieb, als hätt' er einen Basilisken
gesehen, regungslos auf dem Platze stehn. Der Mann interessierte mich,
ich trat zu ihm heran. "Mein Freund," begann ich, "Ihr seid sehr in
Gedanken vertieft!"--"Weil ich ein geschlagener Mann bin", gab er zur
Antwort. Ich stutzte und fragte weiter: "Wieso? Wie kommt's, daß Ihr
dies eben heut, wo Ihr Euch in so hohem Grade die Zufriedenheit Eurer
Obrigkeit erworben zu haben scheint, so lebhaft fühlt?"--"Eben darum,"
versetzte er heftig, "wer bürgt mir, daß der sich im Gefängnis erdrosselt,
oder sich mit Glasscherben die Pulsader aufreißt? Gibt's der Herr," er
meinte mich, "mir etwa schwarz auf weiß, daß diesen heillosen Sünder

in der Einsamkeit die Verzweiflung packt? Und darf ich hoffen, daß er
außer dem Diebstahl, wegen dessen ihn der strengste Richter nicht zum
Tode verurteilen, ja nicht einmal auf zeitlebens einstecken kann, noch
eine Mordtat oder ein anderes Halsverbrechen begangen hat?"--"Von
wem sprecht Ihr denn eigentlich?" unterbrach ich ihn. "Nun, von wem
anders, als von dem Bösewicht, den ich das Unglück gehabt habe zu
arretieren. Hätt' ich doch lieber zuvor ein Bein gebrochen! Aber
niemand entgeht seinem schlimmen Stern, am wenigsten ich."--"Ich
begreife Euch bei Gott nicht!" versetzte ich. "Für jeden ordentlichen
Bürger pflegt es ein Fest zu sein, wenn ein dem öffentlichen Wohl
gefährlicher Mensch zur Haft gebracht wird."--"O freilich, wenn er nur
nicht selbst die Falle war, in der der Fuchs sich erwischen ließ!"--"Ich
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