Schnipsel | Page 3

Cory Doctorow
voll, sein Kopf pochte gefŠhrlich.
Jedes Mal gab er die Datei vorsichtig an das Netzwerk weiter und wartete ab, bis der
stampfende und klirrende Handshaking-Kanal die †bertragung abgeschlossen hatte. Das
Warten machte ihm nichts aus: es verschaffte ihm einen Moment, bis die synŠsthetischen
AnstŸrme vergangen waren. Die Zeit wurde knapp, sein Bauch knurrte protestierend und
entlie§ ketonische RŸlpser, die den geschlossenen Raum mit EstergerŸchen fŸllten.
Eins noch, nur noch eins, von Mohan diese Nacht persšnlich zur sicheren Verwahrung
hinterlassen. Mohan sa§ am Oberlauf des Flusses, der Quelle aller Bootlegs. Er war der
theoretisch nichtexistente Knoten, an den das Backup-Netzwerk die abgelaufenen
Dateien ablud. Wenn der einen Verwahrer identifizierte, musste es wohl gut sein. Adrian
hatte es sich als Letztes aufgehoben, jetzt spielte er es ab und jagte es sich ins Gehirn.
Gott. Gott. Die Person war so alt, saurierhaft und langsam, fast 300, ein
Original-Revoluzzer aus der DŠmmerung der Bitchun-Gesellschaft. Damals blo§ ein Kid,
barrikadenstŸrmend, kirchenzerstšrend, als er in einer selbstgemachten Polizeiuniform
die erste Ad-hoc Polizeitruppe grŸndete. Dreist mit einer Ladung GemŸse in den Armen,
fŸr das er keinen Cent bezahlt hatte, aus einem Laden tretend, rief er unbeschwert Ÿber
die Schulter: ãVerrechnet mirÕ s mit dem guten alten Whuffie, in Ordnung?Ò
Was fŸr eine Zeit! Die Gesellschaft im Umbruch, zur HŠlfte Bitchun. Die Religišsen
scheuten sich vor dem Backup und starben ohne Hoffnung auf Wiederherstellung. Sie
vertrauten ihre Seelen dem Himmel an statt einem beschleunigt gezogenen Klon, der ein
Upload ihres Backups empfangen wŸrde, wenn die Zeit gekommen wŠre. Leute echt
sterbend, in solchen Zahlen dahingerafft, dass ganze Industrien drumherum existierten:
TotengrŠber und Bestattungsunternehmer in dunklen AnzŸgen! Menschen, die
kostenlose Energie, unbegrenzte Nahrung, Unsterblichkeit ablehnten.
Die Bitchun-Gesellschaft hatte den lŠngeren Atem. Sie starben einer nach dem anderen
und die RevolutionŠre waren froh, sie abtreten zu sehen. Jeder Einzelne bedeutete einen
Abweichler weniger. Bis nur mehr die Reputationsškonomie Ð der allmŠchtige
Whuffiepunkt Ð und ein †berma§ an allem, au§er Platz, Ÿbrig blieb.
Adrian grinste mit offenem Mund, die harte Fršhlichkeit der Revoluzzer, als die letzten
Verweigerer in den Boden gepflanzt, ihre Leichen einbalsamiert anstatt wiederverwertet
wurden. Jahre, Jahrzehnte, Jahrhunderte tickten vorŸber, Lehren wurden gelehrt,
vergessen, erneut gelernt. Liebhaber, fremde Welten, Erfindungen und Symphonien und
gro§artige Kunstwerke und vor ihm, oh vor ihm, entfalteten sich die Jahrhunderte. Eine
Ewigkeit der Wiedergeburt und des Neulernens, des ewig weiterlebenden Bewusstseins.
Und dann war es vorbei. Adrian schwitzte und grinste noch immer. Das triumphierende
Hurra des RevolutionŠrs echote in seinem Verstand, die Welt war seine Auster.
ãOh, MohanÒ, hauchte er bei sich. ãOh, das war wundervoll.Ò Er durchsuchte das
Netzwerk auf seinem HUD und hielt nach einem verlŠsslichen Mitglied der Million
Ausschau, nach jemandem, bei dem er es abladen und nach dem eigenen Backup

wiederbekommen konnte. Da ein MŠdchen in Frankreich, mit einem weit offenen
Verzeichnis. Er startete den Transfer, dann lehnte er sich zurŸck, um sich am erinnerten
Frohlocken seines letzten Blitzbackens wohlig zu wŠrmen.
Sein Innenohr klingelte. Das HUD zeigte seine Mutter an. Verdammt.
ãHi, MamÒ, sagte er.
ãAdrian!Ò, sagte sie. ãWo warst du?Ò Sie war in keiner guten Stimmung, soviel war
klar.
ãUhÒ, erwiderte er. ãIn der U-Bahn. Ich werde versuchen, bei Mr. Bosco
vorzusprechen.Ò Bosco war der Zulassungsberater der UniversitŠt Toronto, dem er
kŸrzlich in den Arsch gekrochen war, um ihn dazu zu bewegen, ihn zum Herbstsemester
an die Uni zuzulassen. Es war nicht leicht: Das Angebot fŸr niedere Semester wurde
zugunsten der exklusiven Viel-Whuffie Einzelstudienangebote heruntergeschraubt. Die
spŠrlich gesŠten StudienanfŠnger der Million zu unterrichten, war alles andere als ein
angesehener Auftritt.
ãBosco?Ò, sagte seine Mutter besŠnftigt. ãNun, das ist ... gut. Hšr einmal, ich will nicht,
dass du mit ihm Ÿber deine Idee fŸr diese Aufnahmearbeit redest Ð niemand will davon
hšren, dass du und deine Freunde die letzte Generation von Menschen seid. Jede
Generation glaubt, sie sei etwas Besonderes Ð es ist nur nicht so.Ò
ãIn OrdnungÒ, antwortete er. Er wŸrde in nŠchster Zeit nicht mit Bosco sprechen,
zumindest nicht, wenn er es vermeiden konnte.
ãDein Vater hat mit dir an diesem NP-VollstŠndigkeitsbe­weis gearbeitet.
PrŠsentiere den stattdessen.Ò
ãSicherÒ, sagte er. Der RevolutionŠr echote noch immer wie fernes Gewehrfeuer in
seinem Verstand.
Seine Mutter redete weiter und er hielt seine Antworten einsilbig, bis sie ihn in Ruhe lie§.
ZurŸck in der Stille der Boje entfernte er rasch alle Raubkopien aus seinem šffentlichen
Verzeichnis, zog seine Kutte eng um sich und kletterte widerstrebend nach drau§en,
zurŸck zur Insel, um dort auf die FŠhre zu warten.
Adrians Backup verlief ohne ZwischenfŠlle, ein Augenblick vor einem Breitbandterminal,
wŠhrend sein Leben vor seinen Augen ablief, extrahiert und verteilt wurde an eine
Ÿberreichliche Auswahl von Knoten im Netzwerk aus fŸnfzehn Milliarden Personen, das
die Erde bedeckte.
Nachdem diese Huldigung der Bitchun-Gesellschaft verrichtet war, machte er sich auf zu
den Stra§en der Innenstadt und wartete, dass die Dateien zurŸcksickerten, die er
ausgelagert und gelšscht hatte. Er
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