Schatzkaestlein des rheinischen | Page 9

Johann Peter Hebel
seid Ihr es?" sagte der Wirt und lachte aus vollem Halse. "Was
gilt's, Ihr wollt mir einen Taler bringen." Der Unteroffizier aber
lächelte nur, zwar etwas spöttisch und sagte: "Nein, ich will einen
holen. Versucht einmal Euern Branntwein, ob er nicht schmeckt
akkurat wie Brunnenwasser." Da wusste der Wirt vor Verwunderung
und Beschämung nicht, was er sagen wollte. Der Unteroffizier aber
sagte spöttisch: "Euch ist keiner schlau genug." Also hatte er den Taler
gewonnen, doch durfte der Wirt sechs Kreuzer davon abziehen, was der
Branntwein kostete, und bekam, wie das Sprichwort sagt, zum Schaden
den Spott.

Das fremde Kind
Durch den Schnee und durch die Tannen des Schwarzwalds kommt
abends am 5. Dezember 1807 ein achtjähriges Mägdlein halb barfuss,
halb nackt vor das Häuslein eines armen Taglöhners im Gebirg und
gesellt sich, mir nichts, dir nichts, zu den Kindern des armen Mannes,
die vor dem Hause waren, und gaukelt mit ihnen, geht mit ihnen, mir
nichts, dir nichts, in die Stube und denkt weiter nimmer ans Fortgehen.
Nicht anders als ein Schäflein, das sich vor der Herde verlaufen hat und
in der Wildnis herumirrt, wenn es wieder zu seinesgleichen kommt, so
hat es keinen Kummer mehr. Der Taglöhner fragt das Kind, wo es
herkomme. "Oben aben von Gutenberg."--"Wie heisst dein
Vater?"--"Ich habe keinen Vater."--"Wie heisst deine Mutter?"--"Ich
habe keine Mutter."--"Wem gehörst du denn sonst an?"--"Ich gehöre
niemand sonst an."--Aus allem, was er fragte, war nur so viel
herauszubringen, dass das Kind von den Bettelleuten sei aufgelesen
worden, dass es mehrere Jahre mit Bettlern und Gaunern sei

herumgezogen, dass sie es zuletzt in St. Peter haben sitzen lassen, und
dass es allein über St. Märgen gekommen sei und jetzt da sei. Als der
Taglöhner mit den Seinigen zu Nacht ass, setzte sich das fremde Kind
auch an den Tisch. Als es Zeit war zu schlafen, legte es sich auf den
Ofenbank und schlief auch; so den andern Tag, so den dritten. Denn der
Mann dachte: ich kann das arme Kind nicht wieder in sein Elend
hinausjagen, so schwer es mich ankommt, eins mehr zu füttern. Aber
am dritten Tag sagte er zu seiner Frau: "Frau, ich will's doch auch dem
Herrn Pfarrer anzeigen." Der Pfarrherr lobte die gute Denkungsart des
armen Mannes, der Hausfreund auch; "aber das Mägdlein", sagte der
Pfarrherr, "soll nicht das Brot mit Euern Kindern teilen, sonst werden
die Stücklein zu klein. Ich will ihm einen Vater und eine Mutter
suchen." Also ging der Pfarrherr zu einem wohlhabenden und
gutdenkenden Mann in seinem Kirchspiel, der selber wenig Kinder hat,
und der Hausfreund weiss just nicht, wie er's dem Manne sagte: "Peter",
sagte er, "wollt Ihr ein Geschenk annehmen?"--"Nach dem's ist", sagte
der Mann.--"Es kommt von unserm lieben Herr Gott.-- "Wenn's von
dem kommt, so ist's kein Fehler." Also bot ihm der Pfarrherr das
verlassene Mägdlein an und erzählte ihm die Geschichte dazu, so und
so. Der Mann sagte: "Ich will mit meiner Frau reden. Es wird nicht
fehlen." Der Mann und die Frau nahmen das Kind mit Freuden auf.
"Wenn's guttut", sagte der Mann, so will ich's erziehen, bis es sein
Stücklein Brot selber verdienen kann. Wenn's nicht guttut, so will ich's
wenigstens behalten bis im Frühjahr. Denn dem Winter darf man keine
Kinder anvertrauen." Jetzt hat er's schon viermal überwintert und
viermal übersommert auch. Denn das Kind tat gut, ist folgsam und
dankbar und fleissig in der Schule, und Speise und Trank ist nicht der
grösste Gotteslohn, den das fromme Ehepaar an ihm ausübt, sondern
die christliche Zucht, die väterliche Erziehung und die mütterliche
Pflege. Wer das fremde Töchterlein unter den andern in der Schule
sieht, sollt' es nicht erkennen, so gut sieht es aus, und so sauber ist es
gekleidet. So etwas tut dem Hausfreund wohl, und er könnte den
braven Taglöhner und die braven Pflegeeltern des Kindes mit Namen
nennen, wer sie sind, und wie sie heissen. Aber über seinen Mund
kommt's nicht.

Das letzte Wort

Zwei Eheleute in einem Dorf an der Donau herwärts Ulm lebten
miteinander, die waren nicht für einander gemacht, und ihre Ehe ward
nicht im Himmel geschlossen. Sie war verschwenderisch und hatte eine
Zunge wie ein Schwert; er war karg, was nicht etwa in den eigenen
Mund und Magen ging. Nannte er sie eine Vergeuderin, so schimpfte
sie ihn einen Knicker, und es kam nur auf ihn an, wie oft er seinen
Ehrentitel des Tags hören wollte. Denn wenn er hundertmal in einer
Stunde Vergeuderin sagte, sagte sie hundertundeinmal: "Du Knicker",
und das letzte Wort gehörte allemal ihr. Einmal fingen sie es wieder
miteinander an, als sie ins Bett gingen, und sollen's getrieben haben bis
früh um fünf Uhr, und als ihnen zuletzt vor Müdigkeit die Augen
zufielen und ihr das Wort auf der Zunge einschlafen wollte, kneipte sie
sich mit den Nägeln in den Arm und sagte noch einmal:
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