Salambo | Page 7

Gustave Flaubert
ganze Terrasse entlang. Bei
jedem Schritte horchte er auf und tauchte seinen Blick durch die
vergoldeten Gitterstäbe hinein in die stillen Gemächer. Endlich blieb er
verzweifelt stehen.
»Höre!« redete der Sklave ihn an. »Verachte mich nicht wegen meiner
Armseligkeit! Ich habe in diesem Palast gelebt. Wie eine Schlange
kann ich durch die Mauern schlüpfen. Komm! In der Ahnengruft liegt
ein Goldbarren unter jeder Steinfliese. Ein unterirdischer Gang führt zu
den Gräbern ...«
»Was kümmert das mich!« antwortete Matho.
Spendius schwieg.
Sie standen auf der Terrasse. Eine ungeheure Schattenmasse breitete
sich vor ihnen in phantastischer Gliederung aus, wie die gigantischen
Wogen eines schwarzen versteinerten Meeres.
Da glühte im Osten ein lichter Streifen auf. Und tief unten begannen
die Kanäle von Megara mit ihren silbernen Windungen im Grün der
Gärten aufzublitzen. Allmählich reckten die kegelförmigen Dächer der
siebenseitigen Tempel, die Treppen, Terrassen und Wälle ihre Umrisse
aus dem bleichen Morgengrau heraus. Rings um die karthagische
Halbinsel brodelte ein weißer Schaumgürtel. Das smaragdgrüne Meer
schlief noch in der Morgenfrische. Je höher die Röte am Himmel
emporstieg, um so deutlicher wurden die hohen Häuser, die sich an die
Hänge klammerten oder wie eine zu Tal ziehende Herde schwarzer
Ziegen abwärts drängten. Die menschenleeren Straßen schienen endlos
lang. Palmen, die hier und da die Mauern überragten, standen
regungslos. Die bis an den Rand gefüllten Zisternen in den Höfen
glichen silbernen dort liegen gelassenen Schilden. Das Leuchtturmfeuer
auf dem hermäischen Vorgebirge glimmte nur noch. Im Zypressenhain
oben auf dem Burgberge setzten die Rosse Eschmuns, des Tages Nahen
witternd, ihre Hufe auf die Marmorbrüstung und wieherten der Sonne
entgegen.
Sie tauchte auf. Spendius erhob die Arme und stieß einen Schrei aus.
Alles war von Rot überflutet. Der Gott goß wie in Selbstopferung den
Goldregen seines Blutes in vollen Strömen über Karthago aus. Die
Schnäbel der Galeeren blitzten, das Dach des Khamontempels schien

ein Flammenmeer, und im Innern der andern Tempel, deren Pforten
sich nun auftaten, schimmerten matte Lichter. Große Karren, die vom
Lande hereinkamen, rollten und rasselten über das Straßenpflaster.
Dromedare, mit Ballen beladen, schwankten die Abhänge hinab. Die
Wechsler in den Gassen spannten die Schutzdächer über ihren Läden
auf. Störche flogen dahin. Weiße Segel flatterten. Im Haine der Tanit
erklangen die Schellentrommeln der geheiligten Hetären, und auf der
Höhe der Mappalierstraße begann der Rauch aus den Öfen zu wirbeln,
in denen die Tonsärge gebrannt wurden.
Spendius beugte sich über das Geländer. Seine Zähne schlugen
aufeinander.
»Ja ... ja ... Herr!« wiederholte er mehrmals. »Ich begreife, warum du
soeben vom Plündern des Hauses nichts wissen wolltest!«
Matho erwachte beim Zischen dieser Stimme wie aus einem Traume.
Offenbar hatte er die Worte nicht verstanden.
»Ach, was für Reichtümer!« hob Spendius von neuem an. »Und ihre
Besitzer haben nicht einmal Schwerter, sie zu verteidigen!«
Dann wies er mit der ausgestreckten Rechten auf ein paar Leute aus
dem niedern Volke, die auf dem Sande vor dem Hafendamm
herumkrochen und Goldkörner suchten.
»Sieh!« sagte er. »Die Republik gleicht diesen Schelmen. An den
Gestaden der Meere hockend, wühlt sie mit gierigen Händen in allen
Landen. Das Rauschen der Wogen betäubt ihr Ohr, und sie hört nichts;
auch nicht wenn ihr von rückwärts der Tritt eines Herrschers nahte!«
Damit zog er Matho nach dem andern Ende der Terrasse und zeigte
ihm den Park, wo die Schwerter der Söldner an den Bäumen hingen
und in der Sonne glänzten.
»Hier aber sind starke Männer voll grimmigsten Hasses, die nichts an
Karthago fesselt: keine Familie, keine Pflicht, kein Gott!«
Matho stand an die Mauer gelehnt. Spendius trat dicht an ihn heran und
fuhr mit flüsternder Stimme fort:
»Verstehst du mich, Kriegsmann? In Purpurmänteln könnten wir
einhergehen wie Satrapen. Uns in Wohlgerüchen baden. Ich hätte dann
selber Sklaven! Bist du's nicht müde, auf harter Erde zu schlafen, den
sauren Wein der Marketender zu trinken und ewig Trompetensignale zu
hören? Später willst du dich ausruhen, nicht wahr? Wenn man dir den
Küraß vom Leibe reißt und deinen Leichnam den Geiern vorwirft!

Oder vielleicht, wenn du blind, lahm und altersschwach am Stabe
einherschleichst, von Tür zu Tür, und kleinen Kindern und Hausierern
von deinen Jugendträumen erzählst! Erinnere dich all der Schindereien
deiner Vorgesetzten, der Biwaks im Schnee, der Märsche im
Sonnenbrande, der Härte der Manneszucht und des stets drohenden
Todes am Kreuze! Nach so vielen Leiden hat man dir einen Orden
verliehen, just wie man den Eseln ein Schellenhalsband umhängt, um
sie auf dem Marsche einzulullen, damit sie die Strapazen nicht merken!
Ein Mann wie du, tapferer als Pyrrhus! Ach, wenn du nur wolltest! Ha!
Wie wohl wäre dir zumute in einem hohen kühlen Saale bei Leierklang,
auf einem Blumenlager, von Narren und Frauen umringt! Sag nicht, das
seien Phantastereien! Haben die Söldner nicht schon Rhegium und
andre feste Plätze Italiens besessen? Wer hindert dich? Hamilkar ist
weit. Das Volk verabscheut die Patrizier. Gisgo vermag mit seinen
Feiglingen nichts anzufangen! Du
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