sie wirklich war. An den Schläfen festgesteckte
Perlenschnüre hingen bis an die Winkel ihres Mundes herab, der wie
ein aufgesprungener Granatapfel glühte. Auf der Brust trug sie einen
Schmuck aus blitzenden Edelsteinen, bunt wie das Schuppenkleid einer
Muräne. Ihre diamantgeschmückten Arme traten nackt aus der
ärmellosen schwarzen Tunika hervor, die mit roten Blumen bestickt
war. Zwischen den Knöcheln trug sie ein goldnes Kettchen, das ihre
Schritte regelte, und ihr weiter dunkelpurpurner Mantel aus
fremdländischem seltenen Stoffe schleppte hinter ihr her.
Von Zeit zu Zeit griffen die Priester auf ihren Leiern halb erstickte
Akkorde, und wenn diese Musik schwieg, vernahm man das leise
Geklirr des Goldkettchens und das taktmäßige Klappen der
Papyrussandalen Salambos.
Niemand kannte sie bis dahin. Man wußte nur, daß sie zurückgezogen
in frommer Andacht lebte. Soldaten hatten sie manchmal nachts auf
dem flachen Dache des Palastes gesehen, wie sie zwischen den Wirbeln
qualmender Räucherpfannen vor den Sternen auf den Knien lag. Der
Mondschein hatte sie blaß gemacht, und etwas Göttliches umwob sie
wie leiser Duft. Ihre Augen schienen über das Irdische hinweg in weite
Fernen zu schauen. Gesenkten Hauptes schritt sie dahin, in der Rechten
eine kleine Lyra aus Ebenholz.
»Tot! Alle tot!« hörte man sie murmeln. »Nie mehr werdet ihr, meinem
Rufe gehorsam, zu mir eilen wie einst, wenn ich am Rande des Wassers
saß und euch Melonenkerne zuwarf. Der Tanit Geheimnis kreiste auf
dem Grunde eurer Augen, die klarer waren als die Wasserblasen der
Ströme.« Und sie rief sie bei ihren Namen, den Namen der Monate:
»Sivan, Thammus, Elul, Tischri, Schebar ... O Göttin, erbarme dich
meiner!«
Die Söldner umdrängten sie, ohne ihre Rede zu verstehen. Sie staunten
ihren Schmuck an. Salambo aber ließ einen langen erschrockenen Blick
über die Menge gleiten, zog dann den Kopf zwischen die Schultern und
rief, indem sie die Arme erhob, mehrere Male:
»Was habt ihr getan! Was habt ihr getan! Hattet ihr nicht Brot und
Fleisch und Öl und alles Malobathron aus den Speichern, um euch zu
erlaben? Aus Hekatompylos hatte ich Ochsen kommen lassen. Jäger
hatte ich in die Wüste geschickt ...« Ihre Stimme schwoll an, ihre
Wangen röteten sich. »Wo seid ihr denn hier? In einer eroberten Stadt
oder im Schlosse eines Herrschers? Und welches Herrschers? Meines
Vaters, des Suffeten Hamilkar, des Dieners der Götter! Er war es, der
sich weigerte, eure Waffen dem Lutatius auszuliefern, eure Waffen, an
denen jetzt das rote Blut seiner Sklaven klebt! Kennt ihr einen in euern
Heimatlanden, der besser Schlachten zu lenken weiß? Schaut empor!
Die Treppenstufen unsres Schlosses strotzen von den Zeichen unsrer
Siege. Fahrt nur fort! Verbrennt es! Ich werde den Genius meines
Hauses mit mir nehmen, meine schwarze Schlange, die da oben auf
Lotosblättern schlummert. Ich pfeife, und sie wird mir folgen. Und
wenn ich in die Galeere steige, wird sie im Kielwasser meines Schiffs
auf dem Schaume der Wogen hinter mir hereilen ...«
Ihre feinen Nasenflügel bebten. Sie zerbrach ihre Fingernägel an den
Juwelen auf ihrer Brust. Der Glanz ihrer Augen ermattete. Abermals
begann sie:
»O, armes Karthago! Beweinenswerte Stadt! Du hast zu deinem
Schutze nicht mehr die Helden der Vorzeit, die über die Ozeane
schifften, um an fernen Küsten Tempel zu erbauen! Alle Länder
arbeiteten für dich, und die Meeresfläche, von deinen Rudern gepflügt,
wiegte deine Beute!«
Dann begann sie von den Abenteuern Melkarths zu singen, des Gottes
der Sidonier und des Ahnherrn ihres Hauses.
So erzählte sie von der Besteigung der ersiphonischen Berge, von der
Fahrt nach Tartessus und dem Krieg gegen die Masisabal, um die
Königin der Schlangen zu rächen.
»Er verfolgte im Walde die Unholdin, deren Schweif sich über das
dürre Laub schlängelte wie ein silberner Bach. Und er kam auf eine
Wiese, wo Frauen auf den Flossen ihrer Drachenleiber um ein großes
Feuer standen. Der Mond, rot wie Blut, leuchtete in einem bleichen
Lichtkreis, und ihre scharlachroten Zungen, wie Fischerharpunen
gespalten, schnellten gierig bis an die Flammen ...«
Ohne innezuhalten, berichtete Salambo, wie Melkarth die Masisabal
bezwang und ihr abgeschlagenes Haupt am Bug seines Schiffes
befestigte. »Bei jedem Schlage der Wellen tauchte es in den Schaum!
Doch die Sonne balsamierte es ein, und es ward härter denn Gold. Die
Augen aber hörten nicht auf zu weinen, und die Tränen rollten
beständig in das Meer ...«
Das alles sang Salambo in einer alten kanaanitischen Mundart, die
keiner der Barbaren verstand. Sie fragten sich, was sie ihnen mit den
furchtbaren Gebärden, die ihren Gesang begleiteten, wohl sagen wollte.
Aber sie lauschten ihr, indem sie auf die Tische, die Liegebänke und in
die Äste der Sykomoren stiegen, mit offenem Mund und
vorgestrecktem Kopfe, und mühten sich, die geheimnisvolle Sage zu
fassen. Das Dunkel, das über dem Ursprung der Götter liegt, wallte vor
ihrer Phantasie, wie Gespenster in den Wolken.
Nur die bartlosen Priester verstanden Salambo. Ihre welken Hände
hingen zitternd in den Saiten der Leiern und entlockten ihnen
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