Salambo | Page 3

Gustave Flaubert
vor sich her.

Kleine kegelförmige Mützen aus schwarzem Filz bedeckten die glatt
geschorenen Köpfe. Alle trugen sie Holzsandalen, und ihre Ketten
klirrten wie das Rasseln rollender Wagen.
Als sie die Zypressenallee erreichten, mischten sie sich unter die
Menge, die sie ausfragte. Einer von ihnen war abseits stehen geblieben.
Durch die Risse seiner Tunika erblickte man lange Striemen an seinen
Schultern. Mit gesenktem Haupte blickte er mißtrauisch um sich und
kniff, vom Fackelschein geblendet, die Augen zu. Als er aber sah, daß
ihm keiner von den bewaffneten Männern etwas zuleide tat, entrang
sich seiner Brust ein tiefer Seufzer. Er stammelte und lachte unter
hellen Tränen, die ihm über das Antlitz rannen. Dann ergriff er eine bis
zum Rande volle Trinkschale an den Henkeln, hob sie hoch in die Luft
mit den Armen, von denen noch die Ketten herabhingen, blickte gen
Himmel und rief, das Gefäß immerfort hochhaltend:
»Gruß zuerst dir, Gott Eschmun, du Befreier, den die Menschen meiner
Heimat Äskulap nennen! Und euch, ihr Geister der Quellen, des Lichts
und der Wälder! Und euch, ihr Götter, die ihr in den Bergen und
Höhlen der Erde verborgen lebt! Und euch, ihr tapferen Männer in
glänzender Rüstung, die ihr mich befreit habt!«
Dann ließ er das Gefäß sinken und erzählte seine Geschichte. Er hieß
Spendius. Die Karthager hatten ihn in der Schlacht bei den Ägatischen
Inseln gefangen genommen. In griechischer, ligurischer und punischer
Sprache dankte er nochmals den Söldnern, küßte ihnen die Hände und
beglückwünschte sie schließlich zu dem Gelage. Dabei sprach er seine
Verwunderung darüber aus, daß er nirgends die Trinkschalen der
karthagischen Garde erblickte. Diese Schalen, die auf jeder ihrer sechs
goldenen Flächen das Bild eines Weinstocks aus Smaragden trugen,
gehörten einem Regiment, das ausschließlich aus den stattlichsten
Patriziersöhnen bestand. Ihr Besitz war ein Vorrecht, und so ward denn
auch nichts aus dem Schatze der Republik von den Söldnern heißer
begehrt. Um dieser Gefäße willen haßten sie die Garde, und schon
mancher hatte sein Leben gewagt, des eingebildeten Vergnügens wegen,
aus jenen Schalen zu trinken.
Jetzt befahlen die Söldner, die Schalen herbeizuholen. Die befanden
sich im Gewahrsam der Syssitien. Das waren staatsrechtlich
organisierte Familienverbände. Die Sklaven kamen zurück mit der
Mitteilung, zu dieser Stunde schliefen alle Mitglieder der Syssitien.

»So weckt sie!« riefen die Söldner daraufhin.
Die Sklaven gingen und kehrten mit der Nachricht wieder, die Schalen
seien in einem Tempel eingeschlossen.
»Man öffne ihn!« brüllten die Söldner.
Zitternd gestanden nun die Sklaven, die Gefäße wären in den Händen
des Generals Gisgo.
»So soll er sie selber herbringen!« schrien die Soldaten.
Bald erschien Gisgo im Hintergrunde des Gartens, von einer
Leibwache aus Gardisten umgeben. Sein weiter schwarzer Mantel, an
der goldnen, edelsteingeschmückten Mitra auf seinem Haupte befestigt,
umwallte ihn bis auf die Hufe seines Pferdes und verschwamm in der
Ferne mit dem Dunkel der Nacht. Man sah nichts als seinen weißen
Bart, das Gefunkel seines Kopfschmuckes und die dreifache Halskette
aus breiten blauen Schildern, die ihm auf die Brust herabhing.
Als er nahte, begrüßten ihn die Söldner mit lautem
Willkommengeschrei.
»Die Schalen!« riefen sie. »Die Schalen!«
Er begann mit der Erklärung, sie seien der Schalen in Anbetracht ihres
Mutes durchaus würdig.
Die Menge heulte vor Freude und klatschte Beifall.
Er wisse das wohl, fuhr Gisgo fort, er, der sie dadrüben geführt habe
und mit der letzten Kompagnie auf der letzten Galeere zurückgekehrt
sei!
»Das ist wahr! Das ist wahr!« rief man.
Die Republik, redete er weiter, habe ihre Teilung nach Völkern, ihre
Bräuche und ihren Glauben geachtet. Sie seien frei in Karthago! Was
aber die Schalen der Garde anbeträfe, so sei das Privateigentum.
Da sprang ein Gallier, der neben Spendius gestanden hatte, über die
Tische weg, gerade auf Gisgo zu und fuchtelte drohend mit zwei
bloßen Schwertern vor ihm herum.
Ohne seine Rede zu unterbrechen, schlug ihn der General mit seinem
schweren Elfenbeinstab auf den Kopf. Der Barbar brach zusammen.
Die Gallier heulten. Ihre Wut teilte sich den andern mit und drohte sich
gegen die Leibwache zu richten. Gisgo zuckte die Achseln, als er die
Gardisten erbleichen sah. Er sagte sich, daß sein eigner Mut gegenüber
rohen, erbitterten Bestien nutzlos sei. Besser wäre es, dachte er, sich
später durch eine Hinterlist an ihnen zu rächen.

Er gab seinen Kriegern einen Wink und zog sich langsam zurück. Unter
der Pforte aber wandte er sich noch einmal nach den Söldnern um und
rief ihnen zu, das solle sie eines Tages gereuen.
Das Gelage begann von neuem. Doch Gisgo konnte zurückkommen
und sie durch Umstellung der Vorstadt, die an die äußeren Wälle stieß,
gegen die Mauern drücken. Trotz ihrer Anzahl fühlten sie sich mit
einem Male verlassen; und die große Stadt, die im Dunkel unter ihnen
schlief, flößte ihnen plötzlich Furcht ein mit ihrem Treppengewirr, mit
ihren hohen düstern Häusern und ihren unbekannten Göttern, die noch
grauenhafter waren als selbst die Bewohner. In der Ferne spielten
Scheinwerfer
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