Romeo und Juliette | Page 9

William Shakespeare
bey mir zusammen;
sie stossen, indem sie sich begegnen, die Köpfe so hart an einander an,
daß mir alle Glieder davon wakeln. Ich will mich entfernen, aber er soll
mir diese Zudringlichkeit bezahlen!
(Tybalt geht ab.)
Romeo (zu Juliette.) * [Wenn meine unwürdige Hand diesen heiligen
Leib entweiht hat, so laß dir diese Busse gefallen: Meine Lippen,
zween erröthende Pilgrimme, stehen bereit den Frefel, mit einem
zärtlichen Kuß abzubüssen.
{ed.-* Dieser Dialogus ist im Original eine Elegie mit verschränkten
Reimen.}
Juliette. Ihr thut eurer Hand unrecht, mein lieber Pilgrim; sie hat nichts
gethan, als was die bescheidenste Andacht zu thun pflegt; Heilige
haben Hände, die von den Händen der Wallfahrenden berührt werden,
und Hand auf Hand ist eines Pilgrims Kuß.
Romeo. Haben Heilige nicht Lippen, und andächtige Pilgrimme auch?
Juliette. Ja, Pilgrim, sie haben Lippen, aber zum Beten.
Romeo. O so erlaube, theure Heilige, erlaube den Lippen nur, was du
den Händen gestattest; sie bitten, (und du, erhöre sie,) daß du den
Glauben nicht in Verzweiflung fallen lassest.
Juliette. Heilige rühren sich nicht, wenn sie gleich unser Gebet erhören.
Romeo. O so rühre du dich auch nicht, indem ich mich der Würkung
meines Gebets versichre--
(Er küßt sie.)
Die Sünde meiner Lippen ist durch die deinige getilgt.]
Juliette. Also tragen nun meine Lippen die Sünde, die sie von den
deinigen weggenommen haben.
Romeo. Sünde von meinen Lippen? O! angenehme Strenge! Gebt mir
meine Sünde nur wieder zurük.
Juliette. Ihr habt küssen gelernt; ich verstehe mich nicht darauf.
Amme. Gnädiges Fräulein, eure Frau Mutter möchte gern ein Wort mit
euch sprechen--

(Juliette entfernt sich.)
Romeo. Wer ist ihre Mutter?
Amme. Sapperment, junger Herr, ihre Mutter ist hier die Frau vom
Hause, und eine brave, gescheidte, tugendsame Frau. Ich säugte ihre
Tochter, mit der ihr geredet habt; und ich sag euch, wer sie kriegt,
bekommt so gewiß eine Jungfer--
Romeo (indem er sich entfernt, vor sich.) Eine Capulet? O Himmel!
Mein Herz und mein Leben sind unwiderbringlich in der Gewalt
meiner Feindin.
Benvolio. Weg, wir wollen gehen, der gröste Spaß ist vorbey.
Romeo. Das fürcht' ich selbst, das übrige wird mich mehr als meinen
Schlaf kosten.
Capulet. Nein, ihr Herren, geht noch nicht weg, wir haben noch ein
kleines schlechtes Nachtessen vor uns--Wie, muß es denn seyn? Nun
dann, so dank ich euch allen--Ich dank euch, meine liebe Herren, gute
Nacht-- Mehr Fakeln her--
(Zu den übrigen:)
Kommt hinein, und dann zu Bette.--Ah, guter Freund, bey meiner Treu,
es ist schon späte. Ich will in mein Bette.
(Sie gehen nach einander ab.)
Juliette. Ein wenig hieher, Amme--Wer ist der junge Herr dort?
Amme. Der einzige Sohn des alten Tiberio.
Juliette. Wer ist der, der eben izt zur Thüre hinausgeht?
Amme. Das ist der junge Petrucchio, bild' ich mir ein.
Juliette. Wer ist der, der ihm folgt, der nicht tanzen wollte?
Amme. Ich kenn' ihn nicht.
Juliette. Geh, frage nach seinem Namen
(leise.)
Wenn er schon vermählt ist, so ist sehr wahrscheinlich, daß mein Grab
mein Braut-Bette seyn wird.
Amme. Er heißt Romeo, er ist ein Montague, der einzige Sohn von
unserm großen Feind.
Juliette (vor sich.) O Himmel! der, den ich einzig lieben kan, ist der,
den ich einzig hassen sollte--Zu früh gesehn, eh ich ihn kannte; und zu
spät erkannt; was für eine seltsame Mißgeburt ist meine Liebe--ich
liebe-- meinen verhaßtesten Feind.
Amme. Was sagtet ihr da? Was habt ihr?

Juliette. Ein paar Reime, die ich eben von einem gelernt, mit dem ich
tanzte.
(Man ruft hinter der Scene Juliette.)
Amme. Gleich, gleich; Kommt, wir wollen gehen, die Fremden sind
schon alle fort.
(Sie gehen ab.)
([Zum Beschluß dieses Aufzugs tritt ein Chor auf, und sagt den
Zuschauern in vierzehn Reimen, was sie vermuthlich von selbst
errathen hätten--daß Romeo, seit der Nacht, da er die schöne Juliette
gesehen, seine erste Liebste nicht mehr schön befunden-- daß er nun
Julietten liebe, und von ihr wieder geliebt werde)--(daß die tödtliche
Feindschaft ihrer Häuser zwar die Sympathie ihrer Herzen nicht habe
verhindern können, aber ihnen hingegen alle Gelegenheit abschneide,
sich zu sehen und zu sprechen, ohne daß jedoch dieser harte Zwang
eine andre Würkung gethan habe, als die Heftigkeit ihrer Liebe und
Sehnsucht zu verdoppeln.])

Zweyter Aufzug.

Erste Scene. (Die Strasse.) (Romeo tritt allein auf.)
Romeo. Kan ich weggehen, wenn mein Herz hier ist? Dreh dich zurük,
plumpe Erde, und suche deinen Mittelpunct.
(Er geht ab.)
(Indem er sich entfernt, treten Benvolio und Mercutio von der andern
Seite auf und werden ihn gewahr.)
Benvolio. Romeo, Vetter Romeo!
Mercutio. Er ist klug, und schleicht sich, auf mein Leben, heim zu
Bette.
Benvolio. Nein er lief diesen Weg, und sprang dort über die
Garten-Mauer. Ruf ihm, Mercutio!
Mercutio. Nicht nur das, ich will ihn gar beschwören. He! Romeo!
Grillenfänger! Wetterhahn! Tollhäusler! Liebhaber! Erscheine du,
erschein in der Gestalt eines Seufzer, rede, aber in lauter Reimen, und
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