Romeo und Julia | Page 4

William Shakespeare
Heut nacht verdunkelt sehn durch irdscher Sterne Tanz. Wie
muntre Jünglinge mit neuem Mut sich freuen, Wenn auf die Fersen nun
der Fuß des holden Maien Dem lahmen Winter tritt: die Lust steht Euch
bevor, Wann Euch in meinem Haus ein frischer Mädchenflor Von jeder
Seit umgibt. Ihr hört, Ihr seht sie alle, Daß, die am schönsten prangt,
am meisten Euch gefalle. Dann mögt Ihr in der Zahl auch meine
Tochter sehn, Sie zählt für eine mit, gilt sie schon nicht für schön.
Kommt, geht mit mir!--Du, Bursch, nimm das Papier mit Namen, Trab
in der Stadt herum, such alle Herrn und Damen, So hier geschrieben
stehn,
(übergibt ein Papier)
und sag mit Höflichkeit: Mein Haus und mein Empfang steh ihrem
Dienst bereit.
(Capulet und Paris gehen ab.)
DIENER Die Leute soll ich suchen, wovon die Namen hier geschrieben
stehn? Es steht geschrieben, der Schuster soll sich um seine Elle
kümmern, der Schneider um seinen Leisten, der Fischer um seinen
Pinsel, der Maler um seine Netze. Aber mich schicken sie, um die
Leute ausfindig zu machen, wovon die Namen hier geschrieben stehn,
und ich kann doch gar nicht ausfindig machen, was für Namen der
Schreiber hier aufgeschrieben hat. Ich muß zu den Gelahrten!--

DRITTE SZENE
(Ein Zimmer in Capulets Hause)
(Gräfin Capulet und die Wärterin.)
GRÄFIN CAPULET Ruft meine Tochter her; wo ist sie, Amme?
WÄRTERIN Bei meiner Jungfernschaft im zwölften Jahr, Ich rief sie
schon.--He, Lämmchen! zartes Täubchen-- Daß Gott! wo ist das Kind?
He, Juliette!
(Julia kommt.)
JULIA Was ist? Wer ruft mich?
WÄRTERIN Eure Mutter.
JULIA Hier bin ich, gnädge Mutter! Was beliebt?

GRÄFIN CAPULET Die Sach ist diese!--Amme, geh beiseit, Wir
müssen heimlich sprechen.--Amme, komm Nur wieder her, ich habe
mich besonnen, Ich will dich mit zur Überlegung ziehn. Du weißt, mein
Kind hat schon ein hübsches Alter.
WÄRTERIN Das zähl ich, meiner Treu, am Finger her.
GRÄFIN CAPULET Sie ist nicht vierzehn Jahre.
WÄRTERIN Ich wette vierzehn meiner Zähne drauf-- Zwar hab ich
nur vier Zahn, ich arme Frau--, Sie ist noch nicht vierzehn. Wie lang
ists bis Johannis?
GRÄFIN CAPULET Ein vierzehn Tag und drüber.
WÄRTERIN Nun, drüber oder drunter. Just den Tag, Johannistag zu
Abend, wird sie vierzehn. Suschen und sie--Gott gebe jedem Christen
Das ewge Leben!--waren eines Alters. Nun, Suschen ist bei Gott; Sie
war zu gut für mich. Doch wie ich sagte, Johannistag zu Abend wird sie
vierzehn. Das wird sie, meiner Treu; ich weiß recht gut. Elf Jahr ists
her, seit wir 's Erdbeben hatten; Und ich entwöhnte sie--mein Leben
lang Vergeß ichs nicht--just auf denselben Tag. Ich hatte Wermut auf
die Brust gelegt Und saß am Taubenschlage in der Sonne; Die gnädge
Herrschaft war zu Mantua. Ja, ja! Ich habe Grütz im Kopf! Nun, wie
ich sagte: Als es den Wermut auf der Warze schmeckte Und fand ihn
bitter--närrsches, kleines Ding--, Wie's böse ward und zog der Brust ein
Gsicht! Krach! sagt' der Taubenschlag; und ich, fürwahr, Ich wußte
nicht, wie ich mich tummeln sollte, Und seit der Zeit ists nun elf Jahre
her. Denn damals stand sie schon allein; mein Treu, Sie lief und
watschelt' Euch schon flink herum. Denn tags zuvor fiel sie die Stirn
entzwei, Und da hob sie mein Mann--Gott hab ihn selig! Er war ein
lustger Mann--vom Boden auf. Ei, sagt' er, fällst du so auf dein Gesicht?
Wirst rücklings fallen, wenn du klüger bist, Nicht wahr, mein Kind?
Und liebe, heilge Frau! Das Mädchen schrie nicht mehr und sagte: Ja.
Da seh man, wie so 'n Spaß zum Vorschein kommt! Und lebt ich
tausend Jahre lang, ich wette, Daß ich es nie vergaß. Nicht wahr, mein
Kind? sagt' er; Und 's liebe Närrchen ward still und sagte: Ja.
GRÄFIN CAPULET Genug davon, ich bitte, halt dich ruhig.
WÄRTERIN Ja, gnädge Frau. Doch lächerts mich noch immer, Wie 's
Kind sein Schreien ließ und sagte: Ja, Und saß ihm, meiner Treu, doch
eine Beule, So dick wie 'n Hühnerei, auf seiner Stirn, Recht gfährlich
dick, und es schrie bitterlich. Mein Mann, der sagte: Ei, fällst aufs

Gesicht? Wirst rücklings fallen, wenn du älter bist. Nicht wahr, mein
Kind? Still wards und sagte: Ja.
JULIA Ich bitt dich, Amme, sei doch auch nur still.
WÄRTERIN Gut, ich bin fertig. Gott behüte dich! Du warst das feinste
Püppchen, das ich säugte. Erleb ich deine Hochzeit noch einmal, So
wünsch ich weiter nichts.
GRÄFIN CAPULET Die Hochzeit, ja, das ist der Punkt, von dem Ich
sprechen wollte. Sag mir, liebe Tochter, Wie stehts mit deiner Lust,
dich zu vermählen?
JULIA Ich träumte nie von dieser Ehre noch.
WÄRTERIN Ein Ehre! Hättst du eine andre Amme Als mich gehabt,
so wollt ich sagen: Kind, Du habest Weisheit mit der Milch gesogen.
GRÄFIN CAPULET Gut, denke jetzt dran; jünger noch als du Sind
angesehne Fraun hier in Verona Schon Mütter
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