Roemische Geschichte, Band 8 | Page 5

Theodor Mommsen
von dem scheinhaft chronologischen Aneinanderreihen nicht zusammenpassender Fragmente, und dafuer zu sammeln und zu ordnen, was fuer die Darstellung des roemischen Provinzialregiments die Ueberlieferung und die Denkmaeler bieten, der Muehe wert, durch diese oder durch jene zufaellig erhaltene Nachrichten, in dem Gewordenen aufbewahrte Spuren des Werdens, allgemeine Institutionen in ihrer Beziehung auf die einzelnen Landesteile, mit den fuer jeder. derselben, durch die Natur des Bodens und der Bewohner gegebenen Bedingungen, durch die Phantasie, welche wie aller Poesie so auch aller Historie Mutter ist, nicht zu einem Ganzen, aber zu dem Surrogat eines solchen zusammenzufassen. Aber die Epoche Diocletians habe ich dabei nicht hinausgehen wollen, weil das neue Regiment, welches damals geschaffen wurde, hoechstens im zusammenfassenden Ausblick den Schlussstein dieser Erzaehlung bilden kann; seine volle Wuerdigung verlangt eine besondere Erzaehlung und einen anderen Weltrahmen, ein bei schaerferem Verstaendnis des Einzelnen in dem grossen Sinn und mit dem weiten Blick Gibbons durchgefuehrtes selbstaendiges Geschichtswerk. Italien und seine Inseln sind ausgeschlossen worden, da diese Darstellung von der des allgemeinen Reichsregiments nicht getrennt werden kann. Die sogenannte aeussere Geschichte der Kaiserzeit ist aufgenommen als integrierender Teil der Provinzialverwaltung; was wir Reichskriege nennen wuerden, sind gegen das Ausland unter der Kaiserzeit nicht gefuehrt worden, wenngleich die durch die Arrondierung oder Verteidigung der Grenzen hervorgerufenen Kaempfe einige Male Verhaeltnisse annahmen, dass sie als Kriege zwischen zwei gleichartigen Maechten erscheinen, und der Zusammensturz der roemischen Herrschaft in der Mitte des dritten Jahrhunderts, welcher einige Dezennien hindurch ihr definitives Ende werden zu sollen schien, aus der an mehreren Stellen gleichzeitig ungluecklich gefuehrten Grenzverteidigung sich entwickelte. Die grosse Vorschiebung und Regulierung der Nordgrenze, wie sie unter Augustus teilweise ausgefuehrt ward, teilweise misslang, leitet die Erzaehlung ein. Auch sonst sind die Ereignisse auf einem jeden der drei hauptsaechlichsten Schauplaetze der Grenzverteidigung, des Rheins, der Donau, des Euphrat, zusammengefasst worden. Im uebrigen ist die Darstellung nach den Landschaften geordnet. Im einzelnen fesselndes Detail, Stimmungsschilderungen und Charakterkoepfe hat sie nicht zu bieten; es ist dem Kuenstler, aber nicht dem Geschichtschreiber erlaubt, das Antlitz des Arminius zu erfinden. Mit Entsagung ist dies Buch geschrieben und mit Entsagung moechte es gelesen sein. 1. Kapitel Die Nordgrenze Italiens Die roemische Republik hat ihr Gebiet hauptsaechlich auf den Seewegen gegen Westen, Sueden und Osten erweitert; nach derjenigen Richtung hin, in welcher Italien und die von ihm abhaengigen beiden Halbinseln im Westen und im Osten mit dem grossen Kontinent Europas zusammenhaengen, war dies wenig geschehen. Das Hinterland Makedoniens gehorchte den Roemern nicht und nicht einmal der noerdliche Abhang der Alpen; nur das Hinterland der gallischen Suedkueste war durch Caesar zum Reiche gekommen. Bei der Stellung, die das Reich im allgemeinen einnahm, durfte dies so nicht bleiben; die Beseitigung des traegen und unsicheren Regiments der Aristokratie musste vor allem an dieser Stelle sich geltend machen. Nicht so geradezu wie die Eroberung Britanniens hatte Caesar die Ausdehnung des roemischen Gebiets am Nordabhang der Alpen und am rechten Ufer des Rheins den Erben seiner Machtstellung aufgetragen; aber der Sache nach war die letztere Grenzerweiterung bei weitem naeher gelegt und notwendiger als die Unterwerfung der ueberseeischen Kelten, und man versteht es, dass Augustus diese unterliess und jene aufnahm. Dieselbe zerfiel in drei grosse Abschnitte: die Operationen an der Nordgrenze der griechisch-makedonischen Halbinsel im Gebiet der mittleren und unteren Donau, in Illyricum; die an der Nordgrenze Italiens selbst, im oberen Donaugebiet, in Raetien und Noricum; endlich die am rechten Rheinufer, in Germanien. Meistens selbstaendig gefuehrt, haengen die militaerisch-politischen Vornahmen in diesen Gebieten doch innerlich zusammen, und wie sie saemtlich aus der freien Initiative der roemischen Regierung hervorgegangen sind, koennen sie auch in ihrem Gelingen wie in ihrem teilweisen Misslingen nur in ihrer Gesamtheit militaerisch und politisch verstanden werden. Sie werden darum auch mehr im oertlichen als wie zeitlichen Zusammenhang dargelegt werden; das Gebaeude, von dem sie doch nur Teile sind, wird besser in seiner inneren Geschlossenheit als in der Zeitfolge der Bauten betrachtet. Das Vorspiel zu dieser grossen Gesamtaktion machen die Einrichtungen, welche Caesar der Sohn, so wie er in Italien und Sizilien freie Hand gewonnen hatte, an den oberen Kuesten des Adriatischen Meeres und im angrenzenden Binnenland vornahm. In den hundertundfuenfzig Jahren, die seit der Gruendung Aquileias verflossen waren, hatte wohl der roemische Kaufmann von dort aus sich des Verkehrs mehr und mehr bemaechtigt, aber der Staat unmittelbar nur geringe Fortschritte gemacht. An den Haupthaefen der dalmatinischen Kueste, ebenso auf der von Aquileia in das Savetal fuehrenden Strasse bei Nauportus (Ober-Laibach) hatten sich ansehnliche Handelsniederlassungen gebildet; Dalmatien, Bosnien, Istrien und die Krain galten als roemisches Gebiet und wenigstens das Kuestenland war in der Tat botmaessig; aber die rechtliche Staedtegruendung stand noch ebenso aus wie die Baendigung des unwirtlichen Binnenlandes. Hier aber kam noch ein anderes Moment hinzu. In dem Kriege zwischen Caesar und Pompeius hatten die einheimischen Dalmater ebenso entschieden fuer den letzteren Partei ergriffen wie die dort ansaessigen Roemer fuer
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