Roemische Geschichte, Band 3 | Page 9

Theodor Mommsen
Jahre 406 (348) freigab, dagegen durch den vom Jahre 448 (306) sie ihnen mit Ausnahme des eigenen karthagischen saemtlich schloss. Die Verfassung Karthagos bezeichnet Aristoteles, der etwa fuenfzig Jahre vor dein Anfang des Ersten Punischen Krieges starb, als uebergegangen aus der monarchischen in eine Aristokratie oder in eine zur Oligarchie sich neigende Demokratie; denn mit beiden Namen benennt er sie. Die Leitung der Geschaefte stand zunaechst bei dem Rat der Alten, welcher gleich der spartanischen Gerusia bestand aus den beiden jaehrlich von der Buergerschaft ernannten Koenigen und achtundzwanzig Gerusiasten, die auch, wie es scheint, Jahr fuer Jahr von der Buergerschaft erwaehlt wurden. Dieser Rat ist es, der im wesentlichen die Staatsgeschaefte erledigt, zum Beispiel die Einleitungen zum Kriege trifft, die Aushebungen und Werbungen anordnet, den Feldherrn ernennt und ihm eine Anzahl Gerusiasten beiordnet, aus denen dann regelmaessig die Unterbefehlshaber genommen werden; an ihn werden die Depeschen adressiert. Ob neben diesem kleinen Rat noch ein grosser stand, ist zweifelhaft; auf keinen Fall hatte er viel zu bedeuten. Ebensowenig scheint den Koenigen ein besonderer Einfluss zugestanden zu haben; hauptsaechlich funktionierten sie als Oberrichter, wie sie nicht selten auch heissen (Schofeten, praetores). Groesser war die Gewalt des Feldherrn; Isokrates, Aristoteles' aelterer Zeitgenosse, sagt, dass die Karthager sich daheim oligarchisch, im Felde aber monarchisch regierten und so mag das Amt des karthagischen Feldherrn mit Recht von roemischen Schriftstellern als Diktatur bezeichnet werden, obgleich die ihm beigegebenen Gerusiasten tatsaechlich wenigstens seine Macht beschraenken mussten, und ebenso nach Niederlegung des Amtes ihn eine den Roemern unbekannte ordentliche Rechenschaftslegung erwartete. Eine feste Zeitgrenze bestand fuer das Amt des Feldherrn nicht, und es ist derselbe also schon deshalb vom Jahrkoenig unzweifelhaft verschieden gewesen, von dem ihn auch Aristoteles ausdruecklich unterscheidet; doch war die Vereinigung mehrerer Aemter in einer Person bei den Karthagern ueblich, und so kann es nicht befremden, dass oft derselbe Mann zugleich als Feldherr und als Schofet erscheint. Aber ueber der Gerusia und ueber den Beamten stand die Koerperschaft der Hundertvier-, kuerzer Hundertmaenner oder der Richter, das Hauptbollwerk der karthagischen Oligarchie. In der urspruenglichen karthagischen Verfassung fand sie sich nicht, sondern sie war gleich dem spartanischen Ephorat hervorgegangen aus der aristokratischen Opposition gegen die monarchischen Elemente derselben. Bei der Kaeuflichkeit der Aemter und der geringen Mitgliederzahl der hoechsten Behoerde drohte eine einzige durch Reichtum und Kriegsruhm vor allen hervorleuchtende karthagische Familie, das Geschlecht des Mago, die Verwaltung in Krieg und Frieden und die Rechtspflege in ihren Haenden zu vereinigen; dies fuehrte ungefaehr um die Zeit der Dezemvirn zu einer Aenderung der Verfassung und zur Einsetzung dieser neuen Behoerde. Wir wissen, dass die Bekleidung der Quaestur ein Anrecht gab zum Eintritt in die Richterschaft, dass aber dennoch der Kandidat einer Wahl unterlag durch gewisse sich selbst ergaenzende Fuenfmaennerschaften; ferner dass die Richter, obwohl sie rechtlich vermutlich von Jahr zu Jahr gewaehlt wurden, doch tatsaechlich laengere Zeit, ja lebenslaenglich im Amt blieben, weshalb sie bei den Roemern und Griechen gewoehnlich Senatoren genannt werden. So dunkel das einzelne ist, so klar erkennt man das Wesen der Behoerde als einer aus aristokratischer Kooptation hervorgehenden oligarchischen; wovon eine vereinzelte, aber charakteristische Spur ist, dass in Karthago neben dem gemeinen Buerger- ein eigenes Richterbad bestand. Zunaechst waren sie bestimmt zu fungieren als politische Geschworene, die namentlich die Feldherren, aber ohne Zweifel vorkommendenfalls auch die Schofeten und Gerusiasten nach Niederlegung ihres Amtes zur Verantwortung zogen und nach Gutduenken, oft in ruecksichtslos grausamer Weise, selbst mit dem Tode bestraften. Natuerlich ging hier wie ueberall, wo die Verwaltungsbehoerden unter Kontrolle einer anderen Koerperschaft gestellt werden, der Schwerpunkt der Macht ueber von der kontrollierten auf die kontrollierende Behoerde; und es begreift sich leicht, teils dass die letztere allenthalben in die Verwaltung eingriff, wie denn zum Beispiel die Gerusia wichtige Depeschen erst den Richtern vorlegt und dann dem Volke, teils dass die Furcht vor der regelmaessig nach dem Erfolg abgemessenen Kontrolle daheim den karthagischen Staatsmann wie den Feldherrn in Rat und Tat laehmte. Die karthagische Buergerschaft scheint, wenn auch nicht wie in Sparta ausdruecklich auf die passive Assistenz bei den Staatshandlungen beschraenkt, doch tatsaechlich dabei nur in einem sehr geringen Grade von Einfluss gewesen zu sein. Bei den Wahlen in die Gerusia war ein offenkundiges Bestechungssystem Regel; bei der Ernennung eines Feldherrn wurde das Volk zwar befragt, aber wohl erst, wenn durch Vorschlag der Gerusia der Sache nach die Ernennung erfolgt war; und in anderen Faellen ging man nur an das Volk, wenn die Gerusia es fuer gut fand oder sich nicht einigen konnte. Volksgerichte kannte man in Karthago nicht. Die Machtlosigkeit der Buergerschaft ward wahrscheinlich wesentlich durch ihre politische Organisierung bedingt; die karthagischen Tischgenossenschaften, die hierbei genannt und den spartanischen Pheiditien verglichen werden, moegen oligarchisch geleitete Zuenfte gewesen sein. Sogar ein Gegensatz zwischen "Stadtbuergern" und "Handarbeitern" wird erwaehnt, der auf eine sehr niedrige, vielleicht rechtlose Stellung der letzteren schliessen laesst. Fassen wir die einzelnen Momente zusammen,
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