Roemische Elegien | Page 2

Johann Wolfgang von Goethe
wandert, die
fürstliche Jungfrau, den Tiber,
Wasser zu schöpfen, hinab, und sie
ergreifet der Gott.
So erzeugte die Söhne sich Mars!--Die Zwillinge
tränket
Eine Wölfin, und Rom nennt sich die Fürstin der Welt.
4.
Fromm sind wir Liebende, still verehren wir alle Dämonen,

Wünschen uns jeglichen Gott, jegliche Göttin geneigt.
Und so
gleichen wir euch, o römische Sieger! Den Göttern
Aller Völker der
Welt bietet ihr Wohnungen an,
Habe sie schwarz und streng aus
altem Basalt der Ägypter,
Oder ein Grieche sie weiß, reizend, aus
Marmor geformt.
Doch verdrießet es nicht die Ewigen, wenn wir
besonders
Weihrauch köstlicher Art einer der Göttlichen streun.
Ja,
wir bekennen euch gern: es bleiben unsre Gebete,
Unser täglicher
Dienst Einer besonders geweiht.
Schalkhaft, munter und ernst
begehen wir heimliche Feste,
Und das Schweigen geziemt allen
Geweihten genau.
Eh' an die Ferse lockten wir selbst durch gräßliche
Taten
Uns die Erinnyen her, wagten es eher, des Zeus
Hartes
Gericht am rollenden Rad und Felsen zu dulden,
Als dem reizenden
Dienst unser Gemüt zu entziehn.
Diese Göttin, sie heißt Gelegenheit,
lernet sie kennen!
Sie erscheinet euch oft, immer in andrer Gestalt.

Tochter des Proteus möchte sie sein, mit Thetis gezeuget,
Deren
verwandelte List manchen Heroen betrog.
So betrügt nun die Tochter

den Unerfahrnen, den Blöden:
Schlummernde necket sie stets,
Wachende fliegt sie vorbei;
Gern ergibt sie sich nur dem raschen,
tätigen Manne,
Dieser findet sie zahm, spielend und zärtlich und hold.

Einst erschien sie auch mir, ein bräunliches Mädchen, die Haare
Fielen ihr dunkel und reich über die Stirne herab,
Kurze Locken
ringelten sich ums zierliche Hälschen,
Ungeflochtenes Haar krauste
vom Scheitel sich auf.
Und ich verkannte sie nicht, ergriff die Eilende:
lieblich
Gab sie Umarmung und Kuß bald mir gelehrig zurück.
O
wie war ich beglückt!--Doch stille, die Zeit ist vorüber, Und umwunden
bin ich, römische Flechten, von euch.
5.
Froh empfind ich mich nun auf klassischem Boden begeistert, Vor- und
Mitwelt spricht lauter und reizender mir.
Hier befolg ich den Rat,
durchblättre die Werke der Alten
Mit geschäftiger Hand, täglich mit
neuem Genuß.
Aber die Nächte hindurch hält Amor mich anders
beschäftigt; Werd ich auch halb nur gelehrt, bin ich doch doppelt
beglückt. Und belehr ich mich nicht, indem ich des lieblichen Busens

Formen spähe, die Hand leite die Hüften hinab?
Dann versteh ich den
Marmor erst recht: ich denk und vergleiche, Sehe mit fühlendem Aug,
fühle mit sehender Hand.
Raubt die Liebste denn gleich mir einige
Stunden des Tages, Gibt sie Stunden der Nacht mir zur Entschädigung
hin.
Wird doch nicht immer geküßt, es wird vernünftig gesprochen,
Überfällt sie der Schlaf, lieg ich und denke mir viel.
Oftmals hab ich
auch schon in ihren Armen gedichtet
Und des Hexameters Maß leise
mit fingernder Hand
Ihr auf den Rücken gezählt. Sie atmet in
lieblichem Schlummer, Und es durchglühet ihr Hauch mir bis ins
Tiefste die Brust. Amor schüret die Lamp' indes und gedenket der
Zeiten,
Da er den nämlichen Dienst seinen Triumvirn getan.
6.
"Kannst du, o Grausamer, mich mit solchen Worten betrüben?
Reden
so bitter und hart liebende Männer bei euch?
Wenn das Volk mich

verklagt, ich muß es dulden! und bin ich Etwa nicht schuldig? Doch
ach! Schuldig nur bin ich mit dir! Diese Kleider, sie sind der neidischen
Nachbarin Zeugen,
Daß die Witwe nicht mehr einsam den Gatten
beweint.
Bist du ohne Bedacht nicht oft bei Mondschein gekommen,

Grau, im dunklen Surtout, hinten gerundet das Haar?
Hast du dir
scherzend nicht selbst die geistliche Maske gewählet? Soll's ein Prälate
denn sein--gut, der Prälate bist du!
In dem geistlichen Rom, kaum
scheint es zu Glaubens, doch schwör ich: Nie hat ein Geistlicher sich
meiner Umarmung gefreut.
Arm bin ich, leider! und jung, und
wohlbekannt den Verführern: Falconieri hat mir oft in die Augen
gegafft,
Und ein Kuppler Albanis mich mit gewichtigen Zetteln

Bald nach Ostia, bald nach den vier Brunnen gelockt.
Aber wer nicht
kam, war das Mädchen. So hab ich von Herzen Rotstrumpf immer
gehaßt und Violettstrumpf dazu.
Denn ›ihr Mädchen bleibt am Ende
doch die Betrognen‹
Sagte der Vater, wenn auch leichter die Mutter
es nahm.
Und so bin ich denn auch am Ende betrogen! Du zürnest

Nur zum Scheine mit mir, weil du zu fliehen gedenkst.
Geh! Ihr seid
der Frauen nicht wert! Wir tragen die Kinder Unter dem Herzen, und so
tragen die Treue wir auch;
Aber ihr Männer, ihr schüttet mit eurer
Kraft und Begierde
Auch die Liebe zugleich in den Umarmungen
aus!"
Also sprach die Geliebte und nahm den Kleinen vom Stuhle,

Drückt ihn küssend ans Herz, Tränen entquollen dem Blick.
Und wie
saß ich beschämt, daß Reden feindlicher Menschen
Dieses liebliche
Bild mir zu beflecken vermocht!
Dunkel brennt das Feuer nur
augenblicklich und dampfet,
Wenn das Wasser die Glut stürzend und
jählings verhüllt;
Aber sie reinigt sich schnell, verjagt die trübenden
Dämpfe, Neuer und mächtiger dringt leuchtende Flamme hinauf.
7.
O wie fühl ich in Rom mich so froh, gedenk ich der Zeiten,
Da mich
ein graulicher Tag hinten im Norden umfing,
Trübe der Himmel und
schwer auf meine Scheitel sich senkte, Farb- und gestaltlos die Welt
um den Ermatteten lag,
Und ich über mein Ich, des unbefriedigten

Geistes
Düstre Wege zu spähn, still in Betrachtung versank.
Nun
umleuchtet der Glanz des helleren Äthers die Stirne.
Phöbus rufet, der
Gott, Formen und
Continue reading on your phone by scaning this QR Code

 / 9
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.