Robur der Sieger | Page 4

Jules Verne
im
Viervierteltacte in Noten zu fixiren, welche vollkommen mit einem
Theile der Melodie des bekannten »Chant du départ« -- eines
Soldatenliedes beim Auszug zum Kampfe -- übereinstimmten.
"Sehr schön! riefen dazu die Witzbolde, da hätten wir ja ein
französisches Orchester, das seine Weisen mitten in der Luft ertönen
läßt!"
Scherzen heißt aber nicht antworten. Diese Bemerkung machte auch
das von der Atlantic Iron Works Company gegründete Observatorium
zu Boston, dessen Anschauungen in Fragen der Astronomie und
Meteorologie für die gelehrte Welt allmählich schon die Bedeutung
von Gesetzen gewannen.
Ferner gab auch noch das, Dank der Freigebigkeit des Mr. Kilgoor im
Jahre 1870 auf dem Berge Lookout entstandene Observatorium von
Cincinnati eine Erklärung ab, jenes Institut, das sich durch seine
mikrometrischen Messungen der Doppelsterne so vortheilhaft bekannt
gemacht hat. Sein Director sprach sich in vollem guten Glauben dahin
aus, daß den weitverbreiteten Gerüchten unzweifelhaft etwas zu
Grunde liege, daß sich zu nahe aneinanderliegenden Zeiten an sehr
verschiedenen Stellen in der Atmosphäre ein in Bewegung befindlicher
Körper zeige, daß über dessen Natur, Größenverhältnisse,
Geschwindigkeit und Flugbahn aber kein Urtheil möglich sei.
Da erhielt ein Journal von allergrößter Verbreitung, der New-York
Herald, von einem Abonnenten folgende anonyme Mittheilung: "Noch
dürfte der Wettkampf unvergessen sein, der vor einigen Jahren
herrschte zwischen den beiden Erben der Begum von Ragginahra, dem
französischen Arzt Sarrasin in seiner Stadt Franceville und dem
deutschen Ingenieur Herrn Schulze in seiner Stadt Stahlstadt, welche

Beide im südlichen Theile von Oregon, Vereinigte Staaten, angelegt
waren.
"Man kann auch nicht vergessen haben, daß Herr Schulze in der
Absicht, Franceville zu zerstören, ein ungeheures Geschoß, schon mehr
eine Maschine, auf letztere Stadt schleuderte, welche dieselbe mit
einem Schlage vernichten sollte.
"Noch weniger kann der Vergessenheit verfallen sein, daß dieses
Geschoß, dessen Anfangsgeschwindigkeit beim Verlassen der
Mündung der Monstrekanone falsch berechnet war, mit einer
sechzehnmal größeren Geschwindigkeit, als gewöhnliche Geschosse --
nämlich fünfundsiebzig bis achtzig geographische Meilen in der Stunde
-- hinweg getragen wurde, daß es auf die Erde nicht niedergefallen ist
und nach seinem Uebergang in den Zustand etwa einer Feuerkugel
noch jetzt um unseren Planeten kreist und in alle Ewigkeit kreisen muß.
"Warum sollte dieses Riesengeschoß, dessen Vorhandensein nicht
anzuzweifeln ist, nicht der in Frage stehende Körper sein?"
Das war ja recht scharfsinnig von dem Abonnenten des New-York
Herald ... aber die Trompete ...? In dem Projectil des Herrn Schulze
hatte sich bestimmt keine Trompete befunden.
Alle bisherigen Erklärungen erklärten also nichts, alle Beobachter
beobachteten einfach falsch.
Es blieb sonach nur noch die von dem Director von Zi-Ka-Wey
aufgestellte Hypothese. Aber, mein Gott, der Mann war ja Chinese!
Man darf nicht etwa glauben, daß sich der Bevölkerung der Alten und
der Neuen Welt endlich ein gewisser Ueberdruß bemächtigt hätte. Im
Gegentheil, die Erörterungen dauerten in gleicher Lebhaftigkeit fort,
ohne daß irgendwo eine Uebereinstimmung erzielt wurde. Gleichwohl
trat einmal eine Art Pause ein. Es vergingen nämlich einige Tage, ohne
daß etwas von dem fraglichen Gegenstande, von der Feuerkugel oder
was es sonst war, gemeldet wurde und ohne daß sich der bekannte
Trompetenton aus der Luft hören ließ. War jener Körper also irgendwo

auf die Erde niedergefallen, vielleicht an einem Punkte, der sein
Wiederauffinden besonders erschwerte -- etwa gar in's Meer? Lag er
jetzt in der unendlichen Tiefe des Atlantischen, des Pacifischen oder
des Indischen Oceans? Wer hätte das sagen können?
Da vollzog sich aber zwischen dem 2. und dem 9. Juni eine neue Reihe
von Thatsachen, deren Erklärung durch die Annahme eines rein
kosmischen Phänomens schlechterdings unmöglich war.
Im Laufe jener acht Tage fand man nämlich auf den entlegensten
Punkten eine Fahne gerade an den schwerst zugänglichen Stellen von
Kirchen u. s. w. befestigt; so wurden die Hamburger überrascht durch
eine solche an der Spitze des Thurmes von St. Michael, die Türken auf
dem höchsten Minaret der heiligen Sophien-Moschee, die Einwohner
von Rouen an der Spitze des metallenen Pfeiles ihrer Kathedrale, die
Straßburger am obersten Punkte des Münsters, die Amerikaner auf dem
Kopfe ihrer Bildsäule der Freiheit am Eingange des Hafens und am
Gipfel des Washington-Denkmals in Boston, die Chinesen an der
Spitze des Tempels der fünfhundert Geister in Canton, die Hindus am
sechzehnten Stockwerk der Pyramide des Tempels zu Tanjur, die
Römer am Kreuze des St. Peters-Domes, die Engländer am Kreuz der
St. Pauls-Kirche in London, die Egypter an der obersten Spitze der
Pyramide von Gizeh, die Wiener an dem Reichsadler auf der Spitze des
St. Stephansthurmes, die Pariser am Blitzableiter des dreihundert Meter
hohen eisernen Thurmes der Ausstellung von 1889 und noch andere
mehr.
Diese Fahne aber zeigte ein schwarzes Flaggentuch, das in der Mitte
eine goldene Sonne und ringsum verstreut einzelne Sterne enthielt.

II.
In welchem die Mitglieder des Weldon-Instituts mit einander streiten,
ohne zu einer Uebereinstimmung zu gelangen.

"Und der Erste, der das Gegentheil behauptet ...
-- Oho, das wird man behaupten, wenn ein Grund dafür vorliegt!
-- Und auch trotz Ihrer
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