Reise in die Aequinoctial-Gegenden des neuen Continents. Band 1. | Page 5

Alexander von Humboldt
einen vom ersten Staatsecretär, den anderen
vom Rath von Indien. Nie war einem Reisenden mit der Erlaubniß, die
man ihm ertheilte, mehr zugestanden worden, nie hatte die spanische
Regierung einem Fremden größeres Vertrauen bewiesen. Um alle
Bedenken zu beseitigen, welche die Vicekönige oder Generalcapitäne,
als Vertreter der königlichen Gewalt in Amerika, hinsichtlich des
Zweckes und Wesens meiner Beschäftigungen erheben könnten, hieß
es im Paß der primera secretaria de estado: »ich sey ermächtigt, mich
meiner physikalischen und geodätischen Instrumente mit voller Freiheit
zu bedienen; ich dürfe in allen spanischen Besitzungen astronomische
Beobachtungen anstellen, die Höhen der Berge messen, die
Erzeugnisse des Bodens sammeln und alle Operationen ausführen, die
ich zur Förderung der Wissenschaft gut finde«. Diese Befehle von
Seiten des Hofes wurden genau befolgt, auch nachdem infolge der
Ereignisse Don D´Urquijo vom Ministerium hatte abtreten müssen. Ich
meinerseits war bemüht, diese sich nie verleugnende Freundlichkeit zu
erwidern. Ich übergab während meines Aufenthaltes in Amerika den
Statthaltern der Provinzen Abschriften des von mir gesammelten
Materials über die Geographie und Statistik der Colonien, das dem
Mutterlande von einigen Werth seyn konnte. Dem von mir vor meiner
Abreise gegebenen Versprechen gemäß übermachte ich dem
naturhistorischen Cabinet zu Madrid mehrere geologische Sammlungen.
Da der Zweck unserer Reise ein rein wissenschaftlicher war, so hatten
Bonpland und ich das Glück, uns das Wohlwollen der Colonisten wie
der mit der Verwaltung dieser weiten Landstriche betrauten Europäer
zu erwerben. In den fünf Jahren, während wir den neuen Continent
durchzogen, sind wir niemals einer Spur von Mißtrauen begegnet. Mit
Freude spreche ich es hier aus; unter den härtesten Entbehrungen, im
Kampfe mit einer wilden Natur, haben wir uns nie über menschliche
Ungerechtigkeit zu beklagen gehabt.
Verschiedene Gründe hätten uns eigentlich bewegen sollen, noch
länger in Spanien zu verweilen. Abbé Cavanilles, ein Mann gleich
geistreich wie mannigfaltig unterrichtet; Née, der mit Hänke die
Expedition Malaspinas als Botaniker mitgemacht und allein eine der
größten Kräutersammlungen, die man je in Europa gesehen,
zusammengebracht hat; Don Casimir Ortega, Abbé Pourret und die

gelehrten Verfasser der Flora von Peru, Ruiz und Pavon, stellten uns
ihre reichen Sammlungen zur unbeschränkten Verfügung. Wir
untersuchten zum Theil die mexicanischen Pflanzen, die von Sesse,
Mociño und Cervantes entdeckt worden, und von denen Abbildungen
an das naturhistorische Museum zu Madrid gelangt waren. In dieser
großen Anstalt, die unter der Leitung Clavijos stand, des Herausgebers
einer gefälligen Uebersetzung der Werke Buffons, fanden wir
allerdings keine geologischen Suiten aus den Cordilleren; aber Proust,
der sich durch die große Genauigkeit seiner chemischen Arbeiten
bekannt gemacht hat, und ein ausgezeichneter Mineralog, Hergen,
gaben uns interessante Nachweisungen über verschiedene mineralische
Substanzen Amerikas. Mit bedeutendem Nutzen hätten wir uns wohl
noch länger mit den Naturprodukten der Länder beschäftigt, die das
Ziel unserer Forschungen waren, aber es drängte uns zu sehr, von der
Vergünstigung, die der Hof uns gewährt, Gebrauch zu machen, als daß
wir unsere Abreise hätten verschieben können. Seit einen Jahr war ich
so vielen Hindernissen begegnet, daß ich es kaum glauben konnte, daß
mein sehnlichster Wunsch endlich in Erfüllung gehen sollte.
Wir verließen Madrid gegen die Mitte Mais. Wir reisten durch einen
Theil von Altcastilien, durch das Königreich Leon und Galizien nach
Corunna, wo wir uns nach der Insel Cuba einschiffen sollten. Der
Winter war streng und lang gewesen, und jetzt genossen wir auf der
Reise der milden Frühlingstemperatur, die schon so weit gegen Süd
gewöhnlich nur den Monaten Mai und April eigen ist. Schnee bedeckte
noch die hohen Granitgipfel der Guadarama; aber in den tiefen Thälern
Galiziens, welche an die malerischen Landschaften der Schweiz und
Tirols erinnern, waren alle Felsen mit Cistus in voller Blüthe und
baumartigem Heidekraut überzogen. Man ist froh, wenn man die
castilische Hochebene hinter sich hat, welche fast ganz von
Pflanzenwuchs entblöst und wo es im Winter empfindlich kalt, im
Sommer drückend heiß ist. Nach den wenigen Beobachtungen, die ich
selbst anstellen konnte, besteht das Innere Spaniens aus einer weiten
Ebene, die 300 Toisen (584 Meter) über dem Spiegel des Meeres mit
secundären Gebirgsbildungen, Sandstein, Gips, Steinsalz, Jurakalk
bedeckt ist; das Klima von Castilien ist weit kälter als das von Toulon
oder Genua; die mittlere Temperatur errecht kaum 15 Grad der

hunderttheiligen Scale. Man wundert sich, daß unter der Breite von
Calabrien, Thessalien und Kleinasien die Orangenbäume im Freien
nicht mehr fortkommen. Die Hochebene in der Mitte des Landes ist
umgeben von einer tiefgelegenen, schmalen Zone, wo an mehreren
Punkten Chamärops, der Dattelbaum, das Zuckerrohr, die Banane und
viele Spanien und dem nördlichen Afrika gemeinsame Pflanzen
vorkommen, ohne vom Winterfrost zu leiden. Unter dem 36 - 40. Grad
der Breite beträgt die mittlere Temperatur 17 - 20 Grad, und durch den
Verein von Verhältnissen, die hier nicht aufgezählt werden können, ist
dieser glückliche Landstrich der vornehmste Sitz des Gewerbfleißes
und der Geistesbildung geworden.
Kommt man im Königreich Valencia von der Küste des Mittelmeeres
gegen die Hochebene von Mancha und Castilien herauf,
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