Reise durch England und Schottland | Page 3

Johanna Schopenhauer

Winter im Freien zu ertragen.

Viele Pflanzen, die wir in Deutschland sorgfältig vor der Kälte
schützen müssen, halten den durch Seeluft gemilderten englischen
Winter aus, zum Beispiel der Laurus Tinus, da Heliotropium und der
Jasmin (Jasminum officinale). Die beiden letzteren haben wir oft in
einer Höhe von sechs bis acht Fuß sich an den Mauern hinziehen sehen.
Obstbäume aller art werden aus diesen Anlagen verbannt. Die
verständige Weise, mit welcher alle Bäume mit Hinsicht auf Höhe,
Wuchs und die dunklere oder hellere Farbe ihres Laubes geordnet sind,
gibt dem Ganzen einen Zauber, den man fühlt, ohne sich ihn gleich
erklären zu können. Alles ist zur schönsten befriedigenden Einheit
gebracht. Das Auge wird sogar in Hinsicht der Entfernung eines
Gegenstandes oft getäuscht. Die englischen Gärtner sind wahre
Landschaftsmaler im Großen, ja wir möchten sie fast für die einzigen
eigentlichen Künstler der Nation erklären. Jeden Vorteil, den Optik und
die Regeln der Perspektive ihnen darbieten, wissen sie gar gut zu
benutzen, ohne doch ins Kleinliche zu fallen. Mit den Nadelhölzern
aller Art, den verschiedenen, uns zum Teil in Deutschland unbekannten,
immergrünen Stauden und Sträuchern, deren einige sogar bisweilen im
Dezember blühen, werden sehr schöne Effekte hervorgebracht.
Gewöhnlich sieht man davon in der Nähe des Hauses eine Art
Wintergarten an einem sonnigen Platz angelegt, in welchem man sich
bei winterlichem Sonnenschein ergehen und, von allen Seiten durch das
Grün getäuscht, in den Frühling hineinträumen kann. Solche Anstalten
sind auf jener Insel notwendiger als bei uns: denn derselbe wunderliche
Geist, der die Einwohner dieses Landes die nacht zum Tage
umzuschaffen bewog, verwirrte auch den Lauf der Jahreszeiten. Der
Winter herrscht in Hinsicht auf Kleidung und Vergnügen bis über die
Mitte des Junius hinaus. Dann fängt der Frühling erst an, und so muß
der Sommer und mit ihm der Aufenthalt auf dem Lande, welcher in der
Regel erst im August und noch später beginnt, bis nach Weihnachten
verlängert werden, damit jedem neben dem Unrecht auch sein Recht
geschehe.
Der Haupteingang zum Park, ein oft sehr prächtiges Tor, hat zu beiden
Seiten zwei kleine Gebäude, die Wohnung des Türhüters und seiner
Familie, bei welchem sich jeder Einlaßbegehrende vermittelst einer

Glocke meldet. Dieses Tor mit seinen Gebäuden, the Lodge genannt,
ist eine Hauptzierde des Parks. Die beiden Pavillons sind bald im
gotischen Geschmacke, bald im ägyptischen; sie stellen Türme,
griechische Tempel oder auch nur artige, moderne Gartenhäuschen vor,
je nachdem der Geschmack des Erbauers war. Immer hat der Türhüter
eine freundliche, artige Wohnung darin, mit Küche und Keller und
allem, wessen er bedarf, wohl versehen, und manche angesehene
Familie in Deutschland würde zufrieden sein, einen solchen
Sommeraufenthalt zu besitzen.

Woburn-Abbey
[Fußnote: Johanna trat die Reise nach längerem Aufenthalt in London
mit ihrem Gatten am 30. Juni oder 31. Juli 1803 an]
Dieser Landsitz, der erste, welchen wir besuchten, ist das Eigentum des
Herzogs von Bedford, des reichsten Particuliers und zugleich des
größten Ökonomen in England. Sein Bruder, der Ökonomie mit noch
größerem Eifer ergeben, starb vor wenigen Jahren, sechsunddreißig
Jahre alt, und hinterließ dem jetzigen Besitzer, welcher sich dem
geistlichen Stande gewidmet hatte, das große Vermögen.
Woburn liegt eine Tagesreise von London entfernt. Das erste, was man
uns hier zeigt, waren natürlicherweise die Wirtschaftsgebäude, vor
allem die Viehställe: denn der Herzog, wie seine Vorgänger,
beschäftigt sich hauptsächlich mit diesem Zweige der Landwirtschaft.
Auch machen die vierbeinigen Eleven aller Art ihrem Erzieher Freude
und Ehre. Sie tragen bei den in England gewöhnlichen
Preisbewerbungen in Hinsicht der Größe, Schönheit und des Gedeihens
gewöhnlich über alle anderen Mitbewerber den Preis davon. Dafür wird
auch alles getan, um ihr Andenken nach ihrem leider fast immer
gewaltsamen Tode zu verewigen. Im Schloß wimmelt es von gemalten
oder in Stein gehauenen ähnlichen Bildnissen der wohlgeratensten
unter ihnen. Viele davon sind sogar in Kupfer gestochen, und ihr
Porträt prangt in den Londoner Kupferstichläden neben anderen
berühmten Porträts von großen Gelehrten oder Ministern.

So wenig wir auch vom Landhaus verstehen mochten, so war es uns
doch unmöglich, die Ordnung überall und die zweckmäßigen
Einrichtungen ohne Vergnügen und Bewunderung zu sehen. Man
zeigte uns viele in diesem Lande der Industrie erfundenen Maschinen,
um die ländliche Arbeit zu vereinfachen, zu erleichtern und
einträglicher zu machen. Zum Beispiel eine Dreschmaschine; eine
andere um das Getreide abzuschälen, damit kein Mehl in den Kleien
verlorengehe; noch eine, womit man in der Mühle vier Sorten Mehl mit
einem Mal durchbeutelt, und noch manches andere von dieser Art.
In den Viehställen herrscht eine unglaubliche Reinlichkeit, besonders
da, wo wir sie am wenigstens vermuten konnten, im Schweinestalle.
Die Bewohner dieses Orts hatten aber auch ein so gesegnetes Gedeihen,
waren so groß und von der Last ihres Fettes so niedergedrückt, daß sie
uns völlig lebensmüde erschienen. Noch zeigte man uns verschiedene
ihrer Schönheit wegen berühmte Stiere und einige indianische Kühe.
Letztere haben einen geraderen Rücken und einen kleineren Kopf,
übrigens sehen sie wie andere Kühe aus.
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