Phantasten | Page 2

Erich von Mendelssohn

Als die drei Herren in der Kajüte bei einem Glase Punsch
zusammensaßen und der Kapitän mit dem Ersten Offizier alle
Eventualitäten und die vorzunehmenden Maßnahmen besprach, zog
sich Paul Seebeck in eine Ecke zurück und schwieg, wobei er doch
aufmerksam dem Gespräch lauschte, das immer mehr an Fluß verlor
und zuletzt ganz aufhörte. Schließlich saßen die Drei schweigend da,
und jeder hing seinen Gedanken nach.
Endlich sah der Kapitän nach der Uhr:
»Meine Herren, jetzt sind wir schon drei Stunden hier unten. Wie wäre
es, wenn wir wieder hinaufgingen und nach unserer Wolkeninsel
sähen?«
Paul Seebeck lachte laut auf:
»Bravo, Herr Kapitän. Vielleicht hat sie sich schon längst aufgelöst,
während wir sie hier in aller Ruhe erobern.«
Als sie auf Deck hinaustraten, sahen sie, daß Nebel und Regen völlig
verschwunden waren, und daß klar der Mond schien. Passagiere gingen
plaudernd und rauchend auf und ab, oder saßen, in Plaids gehüllt, auf
Feldstühlen. Paul Seebeck hatte aber seine gewohnte Zurückhaltung
völlig aufgegeben und folgte zusammen mit dem Ersten Offizier dem
Kapitän auf die Kommandobrücke.
Jetzt war kein Zweifel mehr möglich: vor ihnen lag, steil dem Meere
entsteigend, ein Vulkan, über dessen kegelförmiger Spitze - aber ohne
diese zu berühren - eine ungeheure, blauschwarze Wolke schwebte.
Durch das Fernglas sah man in einigen Rissen am Krater die Lava

glühend herabsinken.
Als Erster brach Paul Seebeck das Schweigen:
»Wie weit, Herr Kapitän -?« fragte er. Der Kapitän drehte sich schnell
herum und betrachtete Paul Seebeck ganz fremd, als ob er seine
Gedanken erst sammeln müßte. Dann schaute er wieder auf den Vulkan
und sagte:
»Sechzig Seemeilen schätze ich.«
»Dann sind wir also in vier Stunden dort?«
»Ja, wenn die Lotungen uns nicht zu lange aufhalten.«
»Ach, Sie glauben, daß sich der ganze Meeresboden gehoben hat?«
»Ich muß wenigstens mit der Möglichkeit rechnen.«
Der Erste Offizier hatte inzwischen unausgesetzt den Vulkan durch das
Nachtglas angesehen. Jetzt sagte er:
»Herr Kapitän, der Vulkan liegt auf einem ziemlich breiten Hochlande.
Wir scheinen eine Insel von ganz achtbarer Größe da vor uns zu
haben.«
Paul Seebeck senkte den Kopf und sah vor sich hin. Dann ging
gleichsam ein Ruck durch ihn; er strammte sich auf, sah dem Kapitän
fest in die Augen und sagte langsam:
»Herr Kapitän, jetzt ist es zehn Uhr; Sie sagten selbst, daß wir vor vier
Stunden nicht dort sein können, also nicht vor zwei Uhr nachts. Um
Zwölf wird aber alles elektrische Licht ausgelöscht, so daß dann kein
Passagier mehr auf sein kann. Sie, der Herr Erste Offizier und ich sind
die Einzigen, die wissen, daß wir dort eine neu entstandene Insel vor
uns haben. Die anderen haben nichts gesehen, oder wenn sie die Insel
gesehen haben, ist sie ihnen nicht weiter aufgefallen. Wollen Sie mich
um zwei Uhr an Land setzen und Schweigen bewahren?«

Der Kapitän sah ihn überrascht an: »Herr Seebeck - überlegen Sie
sich's - eine neuentstandene, vulkanische Insel! Heißer Boden! Ich habe
doch die Verantwortung, auch für Sie. Und dann - in das Schiffsbuch
muß ich die Sache doch eintragen.«
Paul Seebeck preßte die Lippen zusammen: »Gewiß, gewiß -«
Nach kurzem Schweigen fuhr er auf. »Herr Kapitän, ich habe nichts
Unrechtes vor. Ich will die Insel für das Deutsche Reich in Besitz
nehmen. Machen Sie Ihre Eintragungen in das Schiffsbuch, es wird sie
ja niemand anders als die Rhederei sehen. Wollen Sie Beide mir aber
versprechen, das heißt, können Sie mir versprechen, absolutes
Schweigen zu bewahren, Sie und die Herren in Bremen, die das
Schiffsbuch eventuell lesen? Absolutes Schweigen nur drei Tage lang
zu bewahren? Wenn im Laufe dieser drei Tage nicht telegraphisch eine
Bitte vom Reichskolonialamt eingelaufen ist, länger zu schweigen, sind
Sie völlig frei.«
Der Kapitän sah Paul Seebeck an.
»Einem andern würde ich ein solches Versprechen nicht geben, das mir
meine Stellung kosten kann. Ihnen gebe ich es.«
»Ich danke Ihnen, Herr Kapitän, Sie werden es nicht zu bereuen
haben.«
»Auch ich gebe Ihnen das Versprechen«, fügte der Erste Offizier hinzu.
Paul Seebeck senkte dankend den Kopf.
Nach einer Weile wandte sich der Kapitän wieder Paul Seebeck zu:
»Verstehe ich Sie recht, wollen Sie sofort von Bremen nach Berlin
fahren?«
Paul Seebeck schaute auf:
»Nein, ich bleibe dort und gebe Ihnen einen Brief an einen Freund mit,
der alles für mich ordnen wird.«

Der Kapitän schüttelte den Kopf:
»Ich kann Sie nicht an Land setzen lassen, Herr Seebeck. Die
Verantwortung übernehme ich nicht.«
»Ich werde in meinem eigenen Motorboot hinüberfahren.«
»Ich werde Sie leider daran verhindern müssen.«
»Herr Kapitän! Glauben Sie das verantworten zu können?«
Der Kapitän stutzte einen Augenblick. Dann schlug er Seebeck lachend
auf die Schulter und sagte:
»Ich kann Sie ja nicht mit Gewalt festhalten, dazu wissen Sie zu genau,
was Sie wollen. Aber erklären Sie mir doch, wie Sie sich alles denken.«
Wieder sah Paul Seebeck dem Kapitän fest ins Gesicht und sagte ganz
langsam:
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