Phäenomenologie des Geistes | Page 2

Georg Wilhelm Friedrich Hegel
Die Pflanze und das Tier c. Der Werkmeister
B. Die Kunst-Religion
a. Das abstrakte Kunstwerk b. Das lebendige Kunstwerk c. Das geistige
Kunstwerk
C. Die offenbare Religion
VIII. Das absolute Wissen

Vorrede
Eine ErklÄrung, wie sie einer Schrift in einer Vorrede nach der
Gewohnheit vorausgeschickt wird--Über den Zweck, den der Verfasser
sich in ihr vorgesetzt, sowie über die Veranlassungen und das
Verhältnis, worin er sie zu andern frühern oder gleichzeitigen
Behandlungen desselben Gegenstandes zu stehen glaubt--scheint bei
einer philosophischen Schrift nicht nur überflüssig, sondern um der
Natur der Sache willen sogar unpassend und zweckwidrig zu sein.
Denn wie und was von Philosophie in einer Vorrede zu sagen
schicklich wäre--etwa eine historische Angabe der Tendenz und des
Standpunkts, des allgemeinen Inhalts und der Resultate, eine
Verbindung von hin und her sprechenden Behauptungen und
Versicherungen über das Wahre--, kann nicht für die Art und Weise

gelten, in der die philosophische Wahrheit darzustellen sei.--Auch weil
die Philosophie wesentlich im Elemente der Allgemeinheit ist, die das
Besondere in sich schließt, so findet bei ihr mehr als bei andern
Wissenschaften der Schein statt, als ob in dem Zwecke oder den letzten
Resultaten die Sache selbst und sogar in ihrem vollkommenen Wesen
ausgedrückt wäre, gegen welches die Ausführung eigentlich das
Unwesentliche sei. In der allgemeinen Vorstellung hingegen, zum
Beispiel was Anatomie sei, etwa die Kenntnis der Teile des KÖrpers
nach ihrem unlebendigen Dasein betrachtet, ist man überzeugt, die
Sache selbst, den Inhalt dieser Wissenschaft, noch nicht zu besitzen,
sondern außerdem um das Besondere sich bemühen zu müssen.--Ferner
ist bei einem solchen Aggregate von Kenntnissen, das den Namen
Wissenschaft nicht mit Recht führt, eine Konversation über Zweck und
dergleichen Allgemeinheiten nicht von der historischen und
begrifflosen Weise verschieden, worin von dem Inhalte selbst, diesen
Nerven, Muskeln und so fort, gesprochen wird. Bei der Philosophie
hingegen würde die Ungleichheit entstehen, daß von einer solchen
Weise Gebrauch gemacht, und diese doch von ihr selbst als unfähig, die
Wahrheit zu fassen, aufgezeigt würde.
So wird auch durch die Bestimmung des Verhältnisses, das ein
philosophisches Werk zu andern Bestrebungen über denselben
Gegenstand zu haben glaubt, ein fremdartiges Interesse hereingezogen,
und das, worauf es bei der Erkenntnis der Wahrheit ankommt,
verdunkelt. So fest der Meinung der Gegensatz des Wahren und des
Falschen wird, so pflegt sie auch entweder Beistimmung oder
Widerspruch gegen ein vorhandenes philosophisches System zu
erwarten, und in einer Erklärung über ein solches nur entweder das eine
oder das andre zu sehen. Sie begreift die Verschiedenheit
philosophischer Systeme nicht so sehr als die fortschreitende
Entwicklung der Wahrheit, als sie in der Verschiedenheit nur den
Widerspruch sieht. Die Knospe verschwindet in dem Hervorbrechen
der Blüte, und man könnte sagen, daß jene von dieser widerlegt wird,
ebenso wird durch die Frucht die Blüte für ein falsches Dasein der
Pflanze erklärt, und als ihre Wahrheit tritt jene an die Stelle von dieser.
Diese Formen unterscheiden sich nicht nur, sondern verdrängen sich
auch als unverträglich miteinander. Aber ihre flüssige Natur macht sie
zugleich zu Momenten der organischen Einheit, worin sie sich nicht

nur nicht widerstreiten, sondern eins so notwendig als das andere ist,
und diese gleiche Notwendigkeit macht erst das Leben des Ganzen aus.
Aber der Widerspruch gegen ein philosophisches System pflegt teils
sich selbst nicht auf diese Weise zu begreifen, teils auch weiß das
auffassende Bewußtsein gemeinhin nicht, ihn von seiner Einseitigkeit
zu befreien oder frei zu erhalten, und in der Gestalt des streitend und
sich zuwider Scheinenden gegenseitig notwendige Momente zu
erkennen.
Die Foderung von dergleichen Erklärungen sowie die Befriedigungen
derselben scheinen vielleicht das Wesentliche zu betreiben. Worin
könnte mehr das Innere einer philosophischen Schrift ausgesprochen
sein als in den Zwecken und Resultaten derselben, und wodurch diese
bestimmter erkannt werden als durch ihre Verschiedenheit von dem,
was das Zeitalter sonst in derselben Sphäre hervorbringt? Wenn aber
ein solches Tun für mehr als für den Anfang des Erkennens, wenn es
für das wirkliche Erkennen gelten soll, ist es in der Tat zu den
Erfindungen zu rechnen, die Sache selbst zu umgehen, und dieses
beides zu verbinden, den Anschein des Ernstes und Bemühens um sie,
und die wirkliche Ersparung desselben.--Denn die Sache ist nicht in
ihrem Zwecke erschöpft, sondern in ihrer _Ausführung_, noch ist das
Resultat das wirkliche Ganze, sondern es zusammen mit seinem
Werden; der Zweck für sich ist das unlebendige Allgemeine, wie die
Tendenz das bloße Treiben, das seiner Wirklichkeit noch entbehrt, und
das nackte Resultat ist der Leichnam, der sie hinter sich gelassen.
--Ebenso ist die Verschiedenheit vielmehr die Grenze der Sache; sie ist
da, wo die Sache aufhört, oder sie ist das, was diese nicht ist. Solche
Bemühungen mit dem Zwecke oder den Resultaten, sowie mit den
Verschiedenheiten und Beurteilungen des einen und des andern, sind
daher eine leichtere Arbeit, als sie vielleicht scheinen. Denn statt mit
der Sache sich zu befassen, ist solches Tun immer über sie hinaus, statt
in
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