Novelle | Page 5

Johann Wolfgang von Goethe
ihm entgegenzüngelte.

Novelle, Kapitel 4
Die H?user des Marktes, vom Widerschein ger?tet, schienen schon zu glühen, drohend sich jeden Augenblick zu entzünden und in Flammen aufzuschlagen; unten wütete das Element unaufhaltsam, die Bretter prasselten, die Latten knackten, Leinwand flog auf, und ihre düstern, an den Enden flammend ausgezackten Fetzen trieben in der H?he sich umher, als wenn die b?sen Geister in ihrem Elemente, um und um gestaltet, sich mutwillig tanzend verzehren und da und dort aus den Gluten wieder auftauchen wollten.
Dann aber mit kreischendem Geheul rettete jeder, was zur Hand lag; Diener und Knechte mit den Herren bemühten sich, von Flammen ergriffene Ballen fortzuschleppen, von dem brennenden Gestell noch einiges wegzurei?en, um es in die Kiste zu packen, die sie denn doch zuletzt den eilenden Flammen zum Raube lassen mu?ten.
Wie mancher wünschte nur einen Augenblick Stillstand dem heranprasselnden Feuer, nach der M?glichkeit einer Besinnung sich umsehend, und er war mit aller seiner Habe schon ergriffen; an der einen Seite brannte, glühte schon, was an der andern noch in finsterer Nacht stand.
Hartn?ckige Charaktere, willensstarke Menschen widersetzten sich grimmig dem grimmigen Feinde und retteten manches mit Verlust ihrer Augenbraunen und Haare.
Leider nun erneuerte sich vor dem sch?nen Geiste der Fürstin der wüste Wirrwarr, nun schien der heitere morgendliche Gesichtskreis umnebelt, ihre Augen verdüstert; Wald und Wiese hatten einen wunderbaren, b?nglichen Anschein.
In das friedliche Tal einreitend, seiner labenden Kühle nicht achtend, waren sie kaum einige Schritte von der lebhaften Quelle des nahen flie?enden Baches herab, als die Fürstin ganz unten im Gebüsche des Wiesentals etwas Seltsames erblickte, das sie alsobald für den Tiger erkannte; heranspringend, wie sie ihn vor kurzem gemalt gesehen, kam er entgegen, und dieses Bild zu den furchtbaren Bildern, die sie soeben besch?ftigten, machte den wundersamsten Eindruck.
"Flieht! Gn?dige Frau", rief Honorio, "flieht!". Sie wandte das Pferd um, dem steilen Berg zu, wo sie herabgekommen waren.
Der Jüngling aber, dem Untier entgegen, zog die Pistole und scho?, als er sich nahe genug glaubte.
Leider jedoch war gefehlt; der Tiger sprang seitw?rts, das Pferd stutzte, das ergrimmte Tier aber verfolgte seinen Weg aufw?rts, unmittelbar der Fürstin nach.
Sie sprengte, was das Pferd vermochte, die steile, steinige Strecke hinan, kaum fürchtend, da? ein zartes Gesch?pf, solcher Anstrengung ungewohnt, sie nicht aushalten werde.
Es übernahm sich, von der bedr?ngten Reiterin angeregt, stie? am kleinen Ger?lle des Hanges an und wieder an und stürzte zuletzt nach heftigem Bestreben kraftlos zu Boden.
Die sch?ne Dame, entschlossen und gewandt, verfehlte nicht, sich strack auf ihre Fü?e zu stellen, auch das Pferd richtete sich auf, aber der Tiger nahte schon, obgleich nicht mit heftiger Schnelle; der ungleiche Boden, die scharfen Steine schienen seinen Antrieb zu hindern, und nur da? Honorio unmittelbar hinter ihm herflog, neben ihm gem??igt heraufritt, schien seine Kraft aufs neue anzuspornen und zu reizen.
Beide Renner erreichten zugleich den Ort, wo die Fürstin am Pferde stand; der Ritter beugte sich herab, scho? und traf mit der zweiten Pistole das Ungeheuer durch den Kopf, da? es sogleich niederstürzte und ausgestreckt in seiner L?nge erst recht die Macht und Furchtbarkeit sehen lie?, von der nur noch das K?rperliche übriggeblieben dalag.
Honorio war vom Pferde gesprungen und kniete schon auf dem Tiere, d?mpfte seine letzten Bewegungen und hielt den gezogenen Hirschf?nger in der rechten Hand.
Der Jüngling war sch?n, er war herangesprengt, wie ihn die Fürstin oft im Lanzen- und Ringelspiel gesehen hatte.
Ebenso traf in der Reitbahn seine Kugel im Vorbeisprengen den Türkenkopf auf dem Pfahl gerade unter dem Turban in die Stirne, ebenso spie?te er, flüchtig heransprengend, mit dem blanken S?bel das Mohrenhaupt vom Boden auf.
In allen solchen Künsten war er gewandt und glücklich, hier kam beides zustatten.
"Gebt ihm den Rest", sagte die Fürstin; "ich fürchte, er besch?digt Euch noch mit den Krallen".--"Verzeiht!" erwiderte der Jüngling, "er ist schon tot genug, und ich mag das Fell nicht verderben, das n?chsten Winter auf Eurem Schlitten gl?nzen soll".--"Frevelt nicht!" sagte die Fürstin; "alles, was von Fr?mmigkeit im tiefen Herzen wohnt, entfaltet sich in solchem Augenblick".--"Auch ich", rief Honorio, "war nie fr?mmer als jetzt eben; deshalb aber denk ich ans Freudigste; ich blicke dieses Fell nur an, wie es Euch zur Lust begleiten kann". --"Es würde mich immer an diesen schrecklichen Augenblick erinnern", versetzte sie.
"Ist es doch", erwiderte der Jüngling mit glühender Wange, "ein unschuldigeres Triumphzeichen, als wenn die Waffen erschlagener Feinde vor dem Sieger her zur Schau getragen wurden".--"Ich werde mich an Eure Kühnheit und Gewandtheit dabei erinnern und darf nicht hinzusetzen, da? Ihr auf meinen Dank und auf die Gnade des Fürsten lebensl?nglich rechnen k?nnt.
Aber steht auf!
Schon ist kein Leben mehr im Tiere.
Bedenken wir das Weitere!
Vor allen Dingen steht auf!"--"Da ich nun einmal kniee", versetzte der Jüngling, "da ich mich in einer Stellung befinde, die mir auf jede andere Weise untersagt w?re, so la?t mich bitten, von der Gunst und von der Gnade, die Ihr mir zuwendet, in diesem Augenblick versichert zu werden.
Ich habe schon so oft Euren
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