Novelle | Page 4

Johann Wolfgang von Goethe
über neuen Baumgruppen das alte Schlo?, den Zielpunkt ihrer Wallfahrt, als Fels- und Waldgipfel hervorragen sahen.
Rückw?rts aber--denn niemals gelangte man hierher, ohne sich umzukehren--erblickten sie durch zuf?llige Lücken der hohen B?ume das fürstliche Schlo? links, von der Morgensonne beleuchtet, den wohlgebauten h?hern Teil der Stadt, von leichten Rauchwolken ged?mpft, und so fort nach der Rechten zu die untere Stadt, den Flu? in einigen Krümmungen mit seinen Wiesen und Mühlen, gegenüber eine weite nahrhafte Gegend.
nachdem sie sich an dem Anblick ers?ttigt oder vielmehr, wie es uns bei dem Umblick auf so hoher Stelle zu geschehen pflegt, erst recht verlangend geworden nach einer weitern, weniger begrenzten Aussicht, ritten sie eine steinige, breite Fl?che hinan, wo ihnen die m?chtige Ruine als ein grüngekr?nter Gipfel entgegenstand, wenig alte B?ume tief unten um seinen Fu?; sie ritten hindurch, und so fanden sie sich gerade vor der steilsten, unzug?nglichsten Seite.
M?chtige Felsen standen von Urzeiten her, jedem Wechsel unangetastet, fest, wohlgegründet voran, und so türmte sichs aufw?rts; das sazwischen Herabgestürzte lag in m?chtigen Platten und Trümmern unregelm??ig übereinander und schien dem Kühnsten jeden Angriff zu verbieten.
Aber das Steile, J?he scheint der Jugend zuzusagen; dies zu unternehmen, zu erstürmen, zu erobern, ist jungen Gliedern ein Genu?.
Die Fürstin bezeigte Neigung zu einem Versuch, Honorio war bei der Hand, der fürstliche Oheim, wenn schon bequemer, lie? sichs gefallen und wollte sich doch auch nicht unkr?ftig zeigen; die Pferde sollten am Fu? unter den B?umen halten, und man wollte bis zu einem gewissen Punkte gelangen, wo ein vorstehender m?chtiger Fels einen Fl?chenraum darbot, von wo man eine Aussicht hatte, die zwar schon in den Blick des Vogels überging, aber sich doch noch malerisch genug hintereinander schob.
Die Sonne, beinahe auf ihrer h?chsten Stelle, verlieh die klarste Beleuchtung; das fürstliche Schlo? mit seinen Teilen, Hauptgeb?uden, Flügeln, Kuppeln und Türmen erschien gar stattlich, die obere Stadt in ihrer v?lligen Ausdehnung; auch in die untere konnte man bequem hineinsehen, ja durch das Fernrohr auf dem Markte sogar die Buden unterscheiden.
Honorio war immer gewohnt, ein so f?rderliches Werkzeug überzuschnallen; man schaute den Flu? hinauf und hinab, diesseits das bergartig terrassenweis unterbrochene, jenseits das aufgleitende flache und in m??igen Hügeln abwechselnde fruchtbare Land, Ortschaften unz?hlige; denn es war l?ngst herk?mmlich, über die Zahl zu streiten, wieviel man deren von hier oben gewahr werde.
über die gro?e Weite lag eine heitere Stille, wie es am Mittag zu sein pflegt, wo die Alten sagten, Pan schlafe und alle Natur halte den Atem an, um ihn nicht aufzuwecken.
"Es ist nicht das erstemal", sagte die Fürstin, "da? ich auf so hoher, weitumschauender Stelle die Betrachtung machte, wie doch die klare Natur so reinlich und friedlich aussieht und den Eindruck verleiht, als wenn gar nichts Widerw?rtiges in der Welt sein k?nne, und wenn man denn wieder in die Menschenwohnung zurückkehrt, sie sei hoch oder niedrig, weit oder eng, so gibts immer etwas zu k?mpfen, zu streiten, zu schlichten und zurechtzulegen".
Honorio, der indessen durch das Sehrohr nach der Stadt geschaut hatte, rief: "seht hin! Seht hin! Auf dem Markte f?ngt es an zu brennen!". Sie sahen hin und bemerkten wenigen Rauch; die Flamme d?mpfte der Tag.
"Das Feuer greift weiter um sich!" rief man, immer durch die Gl?ser schauend; auch wurde das Unheil den guten, unbewaffneten Augen der Fürstin bemerklich.
Von Zeit zu Zeit erkannte man eine rote Flammenglut, der Dampf stieg empor, und Fürst Oheim sprach: "la?t uns zurückkehren! Das ist nicht gut! Ich fürchtete immer, das Unglück zum zweiten Male zu erleben".
Als sie, herabgekommen, den Pferden wieder zugingen, sagte die Fürstin zu dem alten Herrn: "reiten Sie hinein, eilig, aber nicht ohne den Reitknecht! Lassen Sie mir Honorio! Wir folgen sogleich".
Der Oheim fühlte das Vernünftige, ja das Notwendige dieser Worte und ritt, so eilig als der Boden erlaubte, den wüsten, steinigen Hang hinunter.
Als die Fürstin aufsa?, sagte Honorio: "reiten Euer Durchlaucht, ich bitte, langsam!
In der Stadt wie auf dem Schlo? sind die Feueranstalten in bester Ordnung, man wird sich durch einen so unerwartet au?erordentlichen Fall nicht irre machen lassen.
Hier aber ist ein b?ser Boden, kleine Steine und kurzes Gras, schnelles Reiten ist unsicher; ohnehin, bis wir hineinkommen, wird das Feuer schon nieder sein".
Die Fürstin glaube nicht daran; sie sah den Rauch sich verbreiten, sie glaubte einen aufflammenden Blitz gesehen, einen Schlag geh?rt zu haben, und nun bewegten sich in ihrer Einbildungskraft alle die Schreckbilder, welche des trefflichen Oheims wiederholte Erz?hlung von dem erlebten Jahrmarktsbrande leider nur zu tief eingesenkt hatte.
Fürchterlich wohl war jener Fall, überraschend und eindringlich genug, um zeitlebens eine Ahnung und Vorstellung wiederkehrenden Unglücks ?ngstlich zurückzulassen, als zur Nachtzeit auf dem gro?en, budenreichen Marktraum ein pl?tzlicher Brand Laden auf Laden ergriffen hatte, ehe noch die in und an diesen leichten Hütten Schlafenden aus tiefen Tr?umen geschüttelt wurden, der Fürst selbst als ein ermüdet angelangter, erst eingeschlafener Fremder ans Fenster sprang, alles fürchterlich erleuchtet sah, Flamme nach Flamme, rechts und links sich überspringend,
Continue reading on your phone by scaning this QR Code

 / 9
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.