Nach Amerika! Erster Band | Page 9

Friedrich Gerstäcker
Augen haben. Ich habe fünfhundert Thaler Gehalt, und
Frau und Kind und Dienstmädchen zu ernähren, und soll anständig
dabei gekleidet gehn, denn vor zehn und zwanzig Jahren hatte ein
Aktuar in meiner Stellung auch nicht mehr, und machte das Alles
möglich, ja befand sich wohl dabei. Jetzt aber wird Brod, Butter,
Fleisch, Holz, Wohnung, kurz Alles was wir nun einmal zum Leben
brauchen, gesteigert von Tag zu Tag, aber meine fünfhundert Thaler
bleiben; vor zehn Jahren kaufte ich zwanzig Pfund Brod für dasselbe
Geld, für das ich jetzt nicht zehn bekomme -- aber meine fünfhundert
Thaler bleiben. Auch mein Hausherr verlangt höheren Zins -- schon
voriges Jahr bin ich höher gegangen, um nicht gesteigert zu werden, d.
h. für denselben Preis aus der zweiten in die dritte Etage gezogen, aber
dies Jahr muß ich ganz hinaus, denn er will wieder zehn Thaler mehr
haben und ich kann's ihm nicht geben. Ihr Leute habt Euch gut in die
Zeiten schicken, denn wenn das Brod theuer wird, schlagt Ihr desto
mehr auf Euere Waare, der kleine Beamte aber, der Staatsdiener um
geringen Lohn, das ist das geplagte, gefährdete Geschöpf, und jede
neue Taxe macht ihm keine neue Berechnung, sondern schnallt ihm nur
den Leibriemen um ein Loch enger, daß er weniger ißt, bis er in's letzte
Loch geworfen wird, zum ersten Mal von seinen irdischen Strapatzen,
ohne Furcht vor rasch abgelaufenen Ferien, wirklich ungestört
auszuruhen.«
»Ach geht mit Eueren erbärmlichen Lamentationen an solch
freundlichem Tag,« fiel ihm der Wirth hier in die Rede, der sich erst
vor ein paar Augenblicken wieder mit zum Tisch gesetzt und schon
eine ganze Weile ungeduldig mit dem Kopf geschüttelt hatte. »Das
Reden macht's nicht besser und Stöhnen und Seufzen hilft auch Nichts
-- Kopf oben, das ist die Hauptsache; das andere macht sich von selber

-- aber hallo« -- unterbrach er sich plötzlich, von seinem Sitze
aufstehend und die Straße hinunterzeigend, die in das weite Thal führte
-- »was kommt dort für ein Trupp den Weg entlang?« -- und in der That
wurde dort oben ein ganzer Zug Männer, Frauen und Kinder mit
kleinen Handkarren und ein paar einspännigen Wägelchen sichtbar.
»Das sind Auswanderer!« rief Jacob Kellmann, von seinem Stuhl
aufspringend und dem Zug entgegenschauend -- »seht nur ein Mensch
an, wieder ein ganzer Schwarm aus dem Hessischen; Heiland der Welt,
da muß doch endlich einmal Platz werden.«
»Na nu ist wieder der Frieden beim Henker,« rief aber der Apotheker
mürrisch -- »hier Lobsich setzt Euch auf Eueren Stuhl und trinkt Euer
Bier aus, und Ihr Kellmann, laßt das Volk da draußen laufen, wohin sie
wollen -- unzufriedene Bande, die es ist und die es nirgends gut genug
kriegen kann, wo ihr nicht das Confekt auf goldenen Tellern präsentirt
wird. Na kommt nur hinüber, wenn Euch hier der Hafer zu sehr sticht --
Euch werden sie schon noch das Fell über die Ohren ziehn, daß Ihr am
hellen lichten Tag die Sterne zu sehn bekommt.«
»Nein was für ein Zug!« rief aber Kellmann, die langsam näher
kommende Schaar mit unverkennbarem Interesse betrachtend; »die
armen Teufel.«
»Hört Kellmann,« rief aber Schollfeld ärgerlich, »tretet mir da ein
wenig aus dem Weg, daß ich auch was sehen kann, und setzt Euch
wieder, ich dächte doch wahrhaftig, Auswanderer hier an der Straße
wären nichts so besonders Neues, daß Ihr Maul und Nase aufsperrt und
thut, als ob Euch so etwas noch nicht im ganzen Leben vorgekommen
wäre.«
Schollfeld war übrigens nicht umsonst so mürrisch; er hatte einen Zorn
auf Auswanderer, denn er betrachtete Auswanderung als eine indirekte
Beleidigung gegen den Staat, gewissermaßen als eine Grobheit, die
man ihm geradezu unter die Nase sage -- : »ich mag nicht mehr in Dir
leben und weiß einen Platz, wo's besser ist.« Das dachten sich nämlich
die »Tölpel«, wie er sie nannte, aber Sie wußten es nicht -- gar Nichts
wußten sie und liefen blind und toll in die Welt hinein. Der Staat hätte

auch eigentlich den Skandal gar nicht dulden sollen; hunderte von
Menschen, reine Deserteure aus ihrem Vaterland, liefen da frank und
frei vorbei, Anderen noch obendrein ein böses Beispiel gebend, und er
begriff die Regierung nicht, wie sie dem Volke nur noch einen Paß
gestatten konnte.
Der Zug war indessen näher gekommen und Lobsich rasch in das Haus
gegangen Bier herbeizuschaffen, da sich bei solchen Trupps
gewöhnlich eine Menge junge Burschen befanden, die noch Geld im
Beutel und immer frischen Durst hatten; um so mehr, da das
Bergesteigen heute wirklich warm und den Hals trocken machte.
[Capitel 2]
Die ersten Wägen passirten still vorbei; die Führer warfen einen langen,
vielleicht sehnsüchtigen Blick nach den behaglich hinter ihren Tischen
sitzenden Gästen und dem kühlen funkelnden Bier hinüber, aber hielten
nicht an, sich längere Rast dafür auf den Abend versprechend. Nur von
den Fußgängern blieben mehre Trupps unfern der Linde, unter der
unsere kleine
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