in der Welt
schon gesehen und erlebt, und das Gesehene und Erlebte mit
lebendigen Farben und Worten zu schildern wußte. Er hatte die ganzen
Vereinigten Staaten von Nord nach Süd und von Ost nach West
durchstreift, und dort theils seinen Geschäften gelebt, theils gejagt,
sogar ein kleines Dampfschiff auf dem Arkansas laufen gehabt, mit den
Indianern Handel zu treiben, und ihnen die Produkte des Ostens gegen
ihre eigenen Fabrikate und den Gewinn ihrer Jagden einzutauschen. Er
war auch einmal von jenen wilden trotzigen Stämmen, die uns Cooper
so herrlich und unübertroffen beschrieben, gefangen genommen und
zum Opfertod verdammt, und damals wirklich nur durch ein halbes
Wunder gerettet worden, und Clara hatte eine ganze Nacht nicht
schlafen können, nur in der Angst und Unruhe um die entsetzliche
Gefahr, der sich der tollkühne Mensch damals schon ausgesetzt.
Der junge Mann schien aber zwischen jenen wilden Stämmen den
Umgang mit civilisirten Menschen keineswegs verlernt zu haben, und
besaß ganz besonders ein fast wunderbares Geschick, sich seiner
Umgebung anzuschmiegen, und sich in ihre Charaktere ordentlich
hineinzuleben. Als ein tüchtiger und raffinirter Kaufmann, der
vorzüglich eine vortreffliche statistische Kenntniß der Union besaß,
gewann er sich dabei, und gleich von allem Anfang an, die Achtung des
alten Dollinger. Der Frau aber hatte er leicht ihre kleinen, oft
liebenswürdigen Schwachheiten abgelauscht, und wußte ihnen auf so
geschickte Art zu begegnen, daß Frau Dollinger, mit der Rettung des
geliebten Kindes im Hintergrund, schon nach sehr kurzer Zeit ganz
entzückt von ihm war, und sein Lob dem Gatten unaufhörlich redete.
Auch mit der älteren Schwester, Sophie, wußte sich Henkel bald auf
guten Fuß zu stellen; er hatte bei ihr das leichteste Spiel, denn ihre
Schwächen lagen offen zu Tag, denen aber schmeichelte er mit solcher
Liebenswürdigkeit, daß ihm Clara, die es fühlte wie er dabei aus sich
herausging und etwas annahm was ihm nicht natürlich war, oder doch
jedenfalls dem Mann, den sie liebte, nicht natürlich sein sollte, dennoch
nicht böse darüber werden konnte.
Desto freier, offener und natürlicher war er dafür gegen sie selber; er
las, sang und spielte Pianoforte mit ihr, lehrte sie eine Menge kleiner
reizender, schottischer und irischer Lieder, oder plauderte mit ihr leicht
und sorglos Stunden lang in den Tag hinein, und konnte oft so herzlich
dabei lachen, daß es Einem ordentlich gut that, ihm zuzuhören. Selbst
Sophie entsagte dann nicht selten ihrem sonst etwas mehr
abgeschlossenen, fast steifen Wesen und kam zu ihnen, Theil an ihrer
Fröhlichkeit zu nehmen.
Nur in den letzten Tagen war der junge »Amerikaner« wie er im Hause
gewöhnlich scherzhaft hieß, oder der »Delaware« wie ihn Sophie, wenn
sie manchmal bei recht guter Laune war, nannte, auffällig
niedergeschlagen gewesen; er hatte Briefe von Amerika bekommen,
wie er sagte, und ein sehr lieber Freund von ihm war dort schwer
erkrankt, auch ein Schiff das ihm gehörte, und das nicht versichert
worden, so lange ausgeblieben, daß sein Compagnon fast den
Untergang desselben befürchte. Der alte Herr Dollinger tröstete ihn
deshalb, und er schien sich auch darüber hinwegzusetzen, die sonst so
blühende Farbe seiner Wangen wollte aber doch nicht sogleich wieder
dorthin zurückkehren, und das Auge hatte etwas Unsicheres, Unstätes,
ihm sonst gar nicht Eigenes bekommen.
Nur heute, zu dem Fest der holden Jungfrau, die er bald die seine zu
nennen hoffte, hatte er all die trüben Gedanken, welcher Art sie auch
gewesen, und woher sie stammten, von sich abgeschüttelt, und war
ganz wieder der frohe glückliche Mann, wie ihn Clara kennen -- lieben
gelernt. Auf seinen Wunsch nur, womit Frau Dollinger eigentlich nicht
ganz einverstanden gewesen, war auch heute keine größere
Gesellschaft geladen worden, sondern die kleine Familie speiste ganz
»unter sich« in dem festlich mit Blumen und Guirlanden geschmückten
Zimmer des jungen liebenswürdigen Geburtstagkindes. Frau Dollinger
hatte sich eigentlich schon länger auf eine zu diesem Zweck
einzuladende, größere Gesellschaft gefreut. Herr Dollinger selber hielt
aber nicht viel von solchen Fêten; dafür jedoch bedung sie sich aus, daß
sie wenigstens den Nachmittag spatzieren fahren wollten, wobei sie der
junge Henkel gewöhnlich zu Pferde begleitete.
Etwas that aber der alte Herr Dollinger gern, und zwar ein Glas
Champagner trinken, und der zweite Stöpsel war eben lustig
hinausgeknallt, der Gesundheit des »jungen Brautpaares« zu Ehren, als
die Thür aufging und Loßenwerder, ein Comptoirdiener des Hauses,
mit einem kleinen Paket in's Zimmer trat.
Loßenwerder war schon seit elf oder zwölf Jahren im Haus, und seinem
Aeußern nach eben keine angenehme Persönlichkeit; er hinkte auf dem
linken Bein, das er als Kind einmal gebrochen, war überhaupt häßlicher
und magerer Natur, und schielte auf dem rechten Auge, wodurch sein
sonst gerade nicht unangenehmes Gesicht einen etwas falschen
Ausdruck bekam. Das Störendste aber an dem ganzen Menschen war
sein Stottern, wegen dem man sich auf ein längeres Gespräch gar nicht
mit ihm einlassen konnte, und kam er einmal in Affekt, konnte er kein
Wort mehr herausbringen. Frau Dollinger sowohl
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