Mozart auf der Reise nach Prag | Page 9

Eduard Morike
unser Quasi-Gefangener,
ziemlich unbesorgt über den Ausgang der Sache, geraume Zeit
schreibend beschäftigt. Weil sich jedoch gar niemand sehen ließ, fing
er an, unruhig hin und her zu gehen; darüber kam dringliche Botschaft
vom Wirtshaus, der Tisch sei schon lange bereit, er möchte ja gleich
kommen, der Postillon pressiere. So suchte er denn seine Sachen
zusammen und wollte ohne weiteres aufbrechen, als beide Herren vor
der Laube erschienen.
Der Graf begrüßte ihn, beinah wie einen früheren Bekannten, lebhaft
mit seinem kräftig schallenden Organ, ließ ihn zu gar keiner
Entschuldigung kommen, sondern erklärte sogleich seinen Wunsch, das
Ehepaar zum wenigsten für diesen Mittag und Abend im Kreis seiner
Familie zu haben.
»Sie sind uns, mein liebster Maestro, so wenig fremd, daß ich wohl
sagen kann, der Name Mozart wird schwerlich anderswo mit mehr
Begeisterung und häufiger genannt als hier. Meine Nichte singt und
spielt, sie bringt fast ihren ganzen Tag am Flügel zu, kennt Ihre Werke
auswendig und hat das größte Verlangen, Sie einmal in mehrerer Nähe
zu sehen, als es vorigen Winter in einem Ihrer Konzerte anging. Da wir
nun demnächst auf einige Wochen nach Wien gehen werden, so war ihr
eine Einladung beim Fürsten Gallizin, wo man Sie öfter findet, von den
Verwandten versprochen. Jetzt aber reisen Sie nach Prag, werden so

bald nicht wiederkehren, und Gott weiß, ob Sie der Rückweg zu uns
führt. Machen Sie heute und morgen Rasttag! Das Fuhrwerk schicken
wir sogleich nach Hause, und mir erlauben Sie die Sorge für Ihr
Weiterkommen.«
Der Komponist, welcher in solchen Fällen der Freundschaft oder dem
Vergnügen leicht zehnmal mehr, als hier gefordert war, zum Opfer
brachte, besann sich nicht lange; er sagte diesen einen halben Tag mit
Freuden zu, dagegen sollte morgen mit dem frühesten die Reise
fortgesetzt werden. Graf Max erbat sich das Vergnügen, Madame
Mozart abzuholen und alles Nötige im Wirtshaus abzumachen. Er ging,
ein Wagen sollte ihm gleich auf dem Fuße nachfolgen.
Von diesem jungen Mann bemerken wir beiläufig, daß er mit einem
von Vater und Mutter angeerbten heitern Sinn Talent und Liebe für
schöne Wissenschaften verband und ohne wahre Neigung zum
Soldatenstand sich doch als Offizier durch Kenntnisse und gute Sitten
hervortat. Er kannte die französische Literatur und erwarb sich, zu einer
Zeit, wo deutsche Verse in der höheren Gesellschaft wenig galten, Lob
und Gunst durch eine nicht gemeine Leichtigkeit der poetischen Form
in der Muttersprache nach guten Mustern, wie er sie in Hagedorn, in
Götz und andern fand. Für heute war ihm nun, wie wir bereits
vernahmen, ein besonders erfreulicher Anlaß geworden, seine Gabe zu
nutzen.
Er traf Madame Mozart, mit der Wirtstochter plaudernd, vor dem
gedeckten Tisch, wo sie sich einen Teller Suppe vorausgenommen
hatte. Sie war an außerordentliche Zwischenfälle, an kecke
Stegreifsprünge ihres Manns zu sehr gewöhnt, als daß sie über die
Erscheinung und den Auftrag des jungen Offiziers mehr als billig hätte
betreten sein können. Mit unverstellter Heiterkeit, besonnen und
gewandt, besprach und ordnete sie ungesäumt alles Erforderliche selbst.
Es wurde umgepackt, bezahlt, der Postillon entlassen, sie machte sich,
ohne zu große Ängstlichkeit in Herstellung ihrer Toilette, fertig und
fuhr mit dem Begleiter wohlgemut dem Schlosse zu, nicht ahnend, auf
welche sonderbare Weise ihr Gemahl sich dort eingeführt hatte.
Der befand sich inzwischen bereits sehr behaglich daselbst und auf das
beste unterhalten. Nach kurzer Zeit sah er Eugenien mit ihrem
Verlobten; ein blühendes, höchst anmutiges, inniges Wesen. Sie war
blond, ihre schlanke Gestalt in karmoisinrote, leuchtende Seide mit

kostbaren Spitzen festlich gekleidet, um ihre Stirn ein weißes Band mit
edlen Perlen. Der Baron, nur wenig älter als sie, von sanftem, offenem
Charakter, schien ihrer wert in jeder Rücksicht.
Den ersten Aufwand des Gesprächs bestritt, fast nur zu freigebig, der
gute launige Hausherr vermöge seiner etwas lauten, mit Späßen und
Histörchen sattsam gespickten Unterhaltungsweise. Es wurden
Erfrischungen gereicht, die unser Reisender im mindesten nicht
schonte.
Eines hatte den Flügel geöffnet, >Figaros Hochzeit< lag aufgeschlagen,
und das Fräulein schickte sich an, von dem Baron akkompagniert, die
Arie Susannas in jener Gartenszene zu singen, wo wir den Geist der
süßen Leidenschaft stromweise, wie die gewürzte sommerliche
Abendluft, einatmen. Die feine Röte auf Eugeniens Wangen wich zwei
Atemzüge lang der äußersten Blässe; doch mit dem ersten Ton, der
klangvoll über ihre Lippen kam, fiel ihr jede beklemmende Fessel vom
Busen. Sie hielt sich lächelnd, sicher auf der hohen Woge, und das
Gefühl dieses Moments, des einzigen in seiner Art vielleicht für alle
Tage ihres Lebens, begeisterte sie billig.
Mozart war offenbar überrascht. Als sie geendigt hatte, trat er zu ihr
und fing mit seinem ungezierten Herzensausdruck an: »Was soll man
sagen, liebes Kind, hier, wo es ist wie mit der lieben Sonne, die sich am
besten selber lobt, indem es gleich jederman wohl in ihr wird! Bei
solchem Gesang ist der Seele zumut wie dem Kindchen im Bad: es
lacht und wundert sich und weiß
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