hatte--Wer kömmt schon so früh zu mir?
Vierter Auftritt
Betty. Mellefont. Norton.
Norton. Es ist Betty.
Mellefont. Schon auf, Betty? Was macht dein Fräulein?
Betty. Was macht sie? (Schluchzend.) Es war schon lange nach
Mitternacht, da ich sie endlich bewegte, zur Ruhe zu gehen. Sie schlief
einige Augenblicke, aber Gott! Gott! was muß das für ein Schlaf
gewesen sein! Plötzlich fuhr sie in die Höhe, sprang auf und fiel mir als
eine Unglückliche in die Arme, die von einem Mörder verfolgt wird.
Sie zitterte, und ein kalter Schweiß floß ihr über das erblaßte Gesicht.
Ich wandte alles an, sie zu beruhigen, aber sie hat mir bis an den
Morgen nur mit stummen Tränen geantwortet. Endlich hat sie mich
einmal über das andre an Ihre Türe geschickt, zu hören, ob Sie schon
auf wären. Sie will Sie sprechen. Sie allein können sie trösten. Tun Sie
es doch, liebster gnädiger Herr, tun Sie es doch. Das Herz muß mir
springen, wenn sie sich so zu ängstigen fortfährt.
Mellefont. Geh, Betty, sage ihr, daß ich den Augenblick bei ihr sein
wolle--
Betty. Nein, sie will selbst zu Ihnen kommen.
Mellefont. Nun so sage ihr, daß ich sie erwarte--Ach!--
(Betty geht ab.)
Fünfter Auftritt
Mellefont. Norton.
Norton. Gott, die arme Miß!
Mellefont. Wessen Gefühl willst du durch deine Ausrufung rege
machen? Sieh, da läuft die erste Träne, die ich seit meiner Kindheit
geweinet, die Wange herunter!--Eine schlechte Vorbereitung, eine
trostsuchende Betrübte zu empfangen. Warum sucht sie ihn auch bei
mir?--Doch wo soll sie ihn sonst suchen?--Ich muß mich fassen.
(Indem er sich die Augen abtrocknet.) Wo ist die alte Standhaftigkeit,
mit der ich ein schönes Auge konnte weinen sehen? Wo ist die Gabe
der Verstellung hin, durch die ich sein und sagen konnte, was ich
wollte?--Nun wird sie kommen und wird unwiderstehliche Tränen
weinen. Verwirrt, beschämt werde ich vor ihr stehen; als ein
verurteilter Sünder werde ich vor ihr stehen. Rate mir doch, was soll
ich tun? was soll ich sagen?
Norton. Sie sollen tun, was sie verlangen wird.
Mellefont. So werde ich eine neue Grausamkeit an ihr begehen. Mit
Unrecht tadelt sie die Verzögerung einer Zeremonie, die itzt ohne unser
äußerstes Verderben in dem Königreiche nicht vollzogen werden kann.
Norton. So machen Sie denn, daß Sie es verlassen. Warum zaudern wir?
Warum vergeht ein Tag, warum vergeht eine Woche nach der andern?
Tragen Sie mir es doch auf. Sie sollen morgen sicher eingeschifft sein.
Vielleicht, daß ihr der Kummer nicht ganz über das Meer folgt; daß sie
einen Teil desselben zurückläßt, und in einem andern Lande--
Mellefont. Alles das hoffe ich selbst--Still, sie kömmt. Wie schlägt mir
das Herz--
Sechster Auftritt
Sara. Mellefont. Norton.
Mellefont (indem er ihr entgegengeht). Sie haben eine unruhige Nacht
gehabt, liebste Miß--
Sara. Ach, Mellefont, wenn es nichts als eine unruhige Nacht wäre--
Mellefont (zum Bedienten). Verlaß uns!
Norton (im Abgehen). Ich wollte auch nicht dableiben, und wenn mir
gleich jeder Augenblick mit Golde bezahlt würde.
Siebenter Auftritt
Sara. Mellefont.
Mellefont. Sie sind schwach, liebste Miß. Sie müssen sich setzen.
Sara (sie setzt sich). Ich beunruhige Sie sehr früh; und werden Sie mir
es vergeben, daß ich meine Klagen wieder mit dem Morgen anfange?
Mellefont. Teuerste Miß, Sie wollen sagen, daß Sie mir es nicht
vergeben können, weil schon wieder ein Morgen erschienen ist, ohne
daß ich Ihren Klagen ein Ende gemacht habe.
Sara. Was sollte ich Ihnen nicht vergeben? Sie wissen, was ich Ihnen
bereits vergeben habe. Aber die neunte Woche, Mellefont, die neunte
Woche fängt heute an, und dieses elende Haus sieht mich noch immer
auf eben dem Fuße als den ersten Tag.
Mellefont. So zweifeln Sie an meiner Liebe?
Sara. Ich, an Ihrer Liebe zweifeln? Nein, ich fühle mein Unglück zu
sehr, zu sehr, als daß ich mir selbst diese letzte, einzige Versüßung
desselben rauben sollte.
Mellefont. Wie kann also meine Miß über die Verschiebung einer
Zeremonie unruhig sein?
Sara. Ach, Mellefont, warum muß ich einen andern Begriff von dieser
Zeremonie haben?--Geben Sie doch immer der weiblichen Denkungsart
etwas nach. Ich stelle mir vor, daß eine nähere Einwilligung des
Himmels darin liegt. Umsonst habe ich es nur wieder erst den gestrigen
langen Abend versucht, Ihre Begriffe anzunehmen und die Zweifel aus
meiner Brust zu verbannen, die Sie, itzt nicht das erstemal, für Früchte
meines Mißtrauens angesehen haben. Ich stritt mit mir selbst; ich war
sinnreich genug, meinen Verstand zu betäuben; aber mein Herz und ein
inneres Gefühl warfen auf einmal das mühsame Gebäude von
Schlüssen übern Haufen. Mitten aus dem Schlafe weckten mich
strafende Stimmen, mit welchen sich meine Phantasie, mich zu quälen,
verband. Was für Bilder, was für schreckliche Bilder schwärmten um
mich herum! Ich wollte sie gern für Träume halten--
Mellefont. Wie? Meine vernünftige Sara sollte sie für etwas mehr
halten? Träume, liebste Miß, Träume!--Wie unglücklich ist der Mensch!
Fand sein Schöpfer in dem
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