Miss Sara Sampson | Page 6

Gotthold Ephraim Lessing
Ursache, Mi?, wie ich nun wohl sehe. Ich irrte mich in der Hand.
Sara. M?chte doch der Inhalt Ihnen so angenehm sein, als Sie es wünschen k?nnen.
Mellefont. Ich vermute, da? er sehr gleichgültig sein wird.
Sara. Man braucht sich weniger Zwang anzutun, wenn man allein ist. Erlauben Sie, da? ich mich wieder in mein Zimmer begebe.
Mellefont. Sie machen sich also wohl Gedanken?
Sara. Ich mache mir keine, Mellefont.
Mellefont (indem er sie bis an die Szene begleitet). Ich werde den Augenblick bei Ihnen sein, liebste Mi?.

Neunter Auftritt
Mellefont. Norton.
Mellefont (der den Brief noch ansieht). Gerechter Gott!
Norton. Weh Ihnen, wenn er nichts als gerecht ist!
Mellefont. Kann es m?glich sein? Ich sehe diese verruchte Hand wieder und erstarre nicht vor Schrecken? Ist sie's? Ist sie es nicht? Was zweifle ich noch? Sie ist's! Ah, Freund, ein Brief von der Marwood! Welche Furie, welcher Satan hat ihr meinen Aufenthalt verraten? Was will sie noch von mir?--Geh, mache sogleich Anstalt, da? wir von hier wegkommen.--Doch verzieh! Vielleicht ist es nicht n?tig; vielleicht haben meine ver?chtlichen Abschiedsbriefe die Marwood nur aufgebracht, mir mit gleicher Verachtung zu begegnen. Hier! erbrich den Brief; lies ihn. Ich zittere, es selbst zu tun.
Norton (er liest). "Es wird so gut sein, als ob ich Ihnen den l?ngsten Brief geschrieben h?tte, Mellefont, wenn Sie den Namen, den Sie am Ende der Seite finden werden, nur einer kleinen Betrachtung würdigen wollen--"
Mellefont. Verflucht sei ihr Name! Da? ich ihn nie geh?rt h?tte! Da? er aus dem Buche der Lebendigen vertilgt würde!
Norton (liest weiter). "Die Mühe, Sie auszuforschen, hat mir die Liebe, welche mir forschen half, versü?t."
Mellefont. Die Liebe? Frevlerin! Du entheiligest Namen, die nur der Tugend geweiht sind!
Norton (f?hrt fort). "Sie hat noch mehr getan--"
Mellefont. Ich bebe--
Norton. "Sie hat mich Ihnen nachgebracht--"
Mellefont. Verr?ter, was liest du? (Er rei?t ihm den Brief aus der Hand und liest selbst.) "Sie hat mich Ihnen--nachgebracht.--Ich bin hier; und es stehet bei Ihnen--ob Sie meinen Besuch erwarten--oder mir mit dem Ihrigen--zuvorkommen wollen. Marwood."--Was für ein Donnerschlag! Sie ist hier?--Wo ist sie? Diese Frechheit soll sie mit dem Leben bü?en.
Norton. Mit dem Leben? Es wird ihr einen Blick kosten, und Sie liegen wieder zu ihren Fü?en. Bedenken Sie, was Sie tun! Sie müssen sie nicht sprechen, oder das Unglück Ihrer armen Mi? ist vollkommen.
Mellefont. Ich Unglücklicher!--Nein, ich mu? sie sprechen. Sie würde mich bis in dem Zimmer der Sara suchen und alle ihre Wut gegen diese Unschuldige auslassen.
Norton. Aber, mein Herr--
Mellefont. Sage nichts!--La? sehen, (indem er in den Brief sieht) ob sie ihre Wohnung angezeigt hat. Hier ist sie. Komm, führe mich.
(Sie gehen ab.)
(Ende des ersten Aufzugs.)

Zweiter Aufzug

Erster Auftritt
Der Schauplatz stellt das Zimmer der Marwood vor, in einem andern Gasthofe.
Marwood im Negligé. Hannah.
Marwood. Belford hat den Brief doch richtig eingeh?ndiget, Hannah?
Hannah. Richtig.
Marwood. Ihm selbst?
Hannah. Seinem Bedienten.
Marwood. Kaum kann ich es erwarten, was er für Wirkung haben wird.-- Scheine ich dir nicht ein wenig unruhig, Hannah? Ich hin es auch.-- Der Verr?ter! Doch gemach! Zornig mu? ich durchaus nicht werden. Nachsicht, Liebe, Bitten sind die einzigen Waffen, die ich wider ihn brauchen darf, wo ich anders seine schwache Seite recht kenne.
Hannah. Wenn er sich aber dagegen verh?rten sollte?--
Marwood. Wenn er sich dagegen verh?rten sollte? So werde ich nicht zürnen--ich werde rasen. Ich fühle es, Hannah; und wollte es lieber schon itzt.
Hannah. Fassen Sie sich ja. Er kann vielleicht den Augenblick kommen.
Marwood. Wo er nur gar k?mmt! Wo er sich nur nicht entschlossen hat, mich festes Fu?es bei sich zu erwarten!--Aber wei?t du, Hannah, worauf ich noch meine meiste Hoffnung gründe, den Ungetreuen von dem neuen Gegenstande seiner Liebe abzuziehen? Auf unsere Bella.
Hannah. Es ist wahr; sie ist sein kleiner Abgott; und der Einfall, sie mitzunehmen, h?tte nicht glücklicher sein k?nnen.
Marwood. Wenn sein Herz auch gegen die Sprache einer alten Liebe taub ist, so wird ihm doch die Sprache des Bluts vernehmlich sein. Er ri? das Kind vor einiger Zeit aus meinen Armen, unter dem Vorwande, ihm eine Art von Erziehung geben zu lassen, die es bei mir nicht haben k?nne. Ich habe es von der Dame, die es unter ihrer Aufsicht hatte, itzt nicht anders als durch List wiederbekommen k?nnen; er hatte auf mehr als ein Jahr vorausbezahlt und noch den Tag vor seiner Flucht ausdrücklich befohlen, eine gewisse Marwood, die vielleicht kommen und sich für die Mutter des Kindes ausgeben würde, durchaus nicht vorzulassen. Aus diesem Befehle erkenne ich den Unterschied, den er zwischen uns beiden macht. Arabellen sieht er als einen kostbaren Teil seiner selbst an und mich als eine Elende, die ihn mit allen ihren Reizen, bis zum überdrusse, ges?ttiget hat.
Hannah. Welcher Undank!
Marwood. Ach Hannah, nichts zieht den Undank so unausbleiblich nach sich als Gef?lligkeiten, für die kein Dank zu gro? w?re. Warum habe ich sie ihm erzeigt, diese unseligen Gef?lligkeiten? H?tte ich es nicht voraussehen sollen, da? sie ihren Wert nicht immer bei ihm behalten k?nnten? Da? ihr Wert auf der
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