Miss Sara Sampson | Page 4

Gotthold Ephraim Lessing
tun, was Sie doch einmal tun werden? Erbarmen Sie sich meiner, und überlegen Sie, da?, wenn Sie mich auch dadurch nur von Qualen der Einbildung befreien, diese eingebildete Qualen doch Qualen und für die, die sie empfindet, wirkliche Qualen sind.--Ach, k?nnte ich Ihnen nur halb so lebhaft die Schrecken meiner vorigen Nacht erz?hlen, als ich sie gefühlt habe!-- Von Weinen und Klagen, meinen einzigen Besch?ftigungen, ermüdet, sank ich mit halb geschlossenen Augenlidern auf das Bett zurück. Die Natur wollte sich einen Augenblick erholen, neue Tr?nen zu sammeln. Aber noch schlief ich nicht ganz, als ich mich auf einmal an dem schroffsten Teile des schrecklichsten Felsen sahe. Sie gingen vor mir her, und ich folgte Ihnen mit schwankenden ?ngstlichen Schritten, die dann und wann ein Blick st?rkte, welchen Sie auf mich zurückwarfen. Schnell h?rte ich hinter mir ein freundliches Rufen, welches mir stillzustehen befahl. Es war der Ton meines Vaters--Ich Elende! kann ich denn nichts von ihm vergessen? Ach! wo ihm sein Ged?chtnis ebenso grausame Dienste leistet; wo er auch mich nicht vergessen kann!-- Doch er hat mich vergessen. Trost! grausamer Trost für seine Sara!-- H?ren Sie nur, Mellefont; indem ich mich nach dieser bekannten Stimme umsehen wollte, gleitete mein Fu?; ich wankte und sollte eben in den Abgrund herabstürzen, als ich mich, noch zur rechten Zeit, von einer mir ?hnlichen Person zurückgehalten fühlte. Schon wollte ich ihr den feurigsten Dank abstatten, als sie einen Dolch aus dem Busen zog. Ich rettete dich, schrie sie, um dich zu verderben! Sie holte mit der bewaffneten Hand aus--und ach! ich erwachte mit dem Stiche. Wachend fühlte ich noch alles, was ein t?dlicher Stich Schmerzhaftes haben kann; ohne das zu empfinden, was er Angenehmes haben mu?: das Ende der Pein in dem Ende des Lebens hoffen zu dürfen.
Mellefont. Ach! liebste Sara, ich verspreche Ihnen das Ende Ihrer Pein ohne das Ende Ihres Lebens, welches gewi? auch das Ende des meinigen sein würde. Vergessen Sie das schreckliche Gewebe eines sinnlosen Traumes.
Sara. Die Kraft, es vergessen zu k?nnen, erwarte ich von Ihnen. Es sei Liebe oder Verführung, es sei Glück oder Unglück, das mich Ihnen in die Arme geworfen hat, ich bin in meinem Herzen die Ihrige und werde es ewig sein. Aber noch bin ich es nicht vor den Augen jenes Richters, der die geringsten übertretungen seiner Ordnung zu strafen gedrohet hat--
Mellefont. So falle denn alle Strafe auf mich allein!
Sara. Was kann auf Sie fallen, das mich nicht treffen sollte?--Legen Sie aber mein dringendes Anhalten nicht falsch aus. Ein andres Frauenzimmer, das durch einen gleichen Fehltritt sich ihrer Ehre verlustig gemacht h?tte, würde vielleicht durch ein gesetzm??iges Band nichts als einen Teil derselben wiederzuerlangen suchen. Ich, Mellefont, denke darauf nicht, weil ich in der Welt weiter von keiner Ehre wissen will als von der Ehre, Sie zu lieben. ich will mit Ihnen nicht um der Welt willen, ich will mit Ihnen um meiner selbst willen verbunden sein. Und wenn ich es bin, so will ich gern die Schmach auf mich nehmen, als ob ich es nicht w?re. Sie sollen mich, wenn Sie nicht wollen, für Ihre Gattin nicht erkl?ren dürfen; Sie sollen mich erkl?ren k?nnen, für was Sie wollen. Ich will Ihren Namen nicht führen; Sie sollen unsere Verbindung so geheimhalten, als Sie es für gut befinden; und ich will derselben ewig unwert sein, wenn ich mir in den Sinn kommen lasse, einen andern Vorteil als die Beruhigung meines Gewissens daraus zu ziehen.
Mellefont. Halten Sie ein, Mi?, oder ich mu? vor Ihren Augen des Todes sein. Wie elend bin ich, da? ich nicht das Herz habe, Sie noch elender zu machen!--Bedenken Sie, da? Sie sich meiner Führung überlassen haben; bedenken Sie, da? ich schuldig bin, für uns weiter hinauszusehen, und da? ich itzt gegen Ihre Klagen taub sein mu?, wenn ich Sie nicht, in der ganzen Folge Ihres Lebens, noch schmerzhaftere Klagen will führen h?ren. Haben Sie es denn vergessen, was ich Ihnen zu meiner Rechtfertigung schon oft vorgestellt?
Sara. Ich habe es nicht vergessen, Mellefont. Sie wollen vorher ein gewisses Verm?chtnis retten.--Sie wollen vorher zeitliche Güter retten und mich vielleicht ewige darüber verscherzen lassen.
Mellefont. Ach Sara, wenn Ihnen alle zeitliche Güter so gewi? w?ren, als Ihrer Tugend die ewigen sind--
Sara. Meiner Tugend? Nennen Sie mir dieses Wort nicht!--Sonst klang es mir sü?e, aber itzt schallt mir ein schrecklicher Donner darin!
Mellefont. Wie? mu? der, welcher tugendhaft sein soll, keinen Fehler begangen haben? Hat ein einziger so unselige Wirkungen, da? er eine ganze Reihe unstr?flicher Jahre vernichten kann? So ist kein Mensch tugendhaft; so ist die Tugend ein Gespenst, das in der Luft zerflie?et, wenn man es am festesten umarmt zu haben glaubt; so hat kein weises Wesen unsere Pflichten nach unsern Kr?ften abgemessen; so ist die Lust, uns strafen zu k?nnen, der erste Zweck unsers Daseins; so ist--ich erschrecke vor allen den gr??lichen Folgerungen, in welche
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