Minna von Barnhelm | Page 3

Gotthold Ephraim Lessing
versiegelte
Beutelchen-- fünfhundert Taler Louisdor stehet drauf--welches Ihro
Gnaden in dem Schreibepulte stehen gehabt--ist in guter Verwahrung.--
Tellheim Das will ich hoffen; so wie meine übrige Sachen.--Just soll
sie in Empfang nehmen, wenn er Ihnen die Rechnung bezahlt hat.--
Wirt Wahrhaftig, ich erschrak recht, als ich das Beutelchen fand.--Ich
habe immer Ihro Gnaden für einen ordentlichen und vorsichtigen Mann
gehalten, der sich niemals ganz ausgibt.--Aber dennoch--wenn ich bar
Geld in dem Schreibepulte vermutet hätte--
Tellheim Würden Sie höflicher mit mir verfahren sein. Ich verstehe
Sie.--Gehen Sie nur, mein Herr; lassen Sie mich; ich habe mit meinem
Bedienten zu sprechen.--
Wirt Aber, gnädiger Herr--
Tellheim Komm, Just, der Herr will nicht erlauben, daß ich dir in
seinem Hause sage, was du tun sollst.--
Wirt Ich gehe ja schon, gnädiger Herr!--Mein ganzes Haus ist zu Ihren
Diensten.

4. Szene
(v. Tellheim. Just.)
Just (der mit dem Fuße stampft und dem Wirte nachspuckt). Pfui!
Tellheim Was gibt's?
Just Ich ersticke vor Bosheit.
Tellheim Das wäre soviel als an Vollblütigkeit.
Just Und Sie--Sie erkenne ich nicht mehr, mein Herr. Ich sterbe vor
Ihren Augen, wenn Sie nicht der Schutzengel dieses hämischen,
unbarmherzigen Rackers sind! Trotz Galgen und Schwert und Rad
hätte ich ihn--hätte ich ihn mit diesen Händen erdrosseln, mit diesen
Zähnen zerreißen wollen.--
Tellheim Bestie!
Just Lieber Bestie als so ein Mensch!
Tellheim Was willst du aber?
Just Ich will, daß Sie es empfinden sollen, wie sehr man Sie beleidiget.
Tellheim Und dann?
Just Daß Sie sich rächten.--Nein, der Kerl ist Ihnen zu gering.--
Tellheim Sondern, daß ich es dir auftrüge, mich zu rächen? Das war
von Anfang mein Gedanke. Er hätte mich nicht wieder mit Augen
sehen und seine Bezahlung aus deinen Händen empfangen sollen. Ich
weiß, daß du eine Handvoll Geld mit einer ziemlich verächtlichen
Miene einem hinwerfen kannst.--
Just So? eine vortreffliche Rache!--
Tellheim Aber die wir noch verschieben müssen. Ich habe keinen

Heller bares Geld mehr; ich weiß auch keines aufzutreiben.
Just Kein bares Geld? Und was ist denn das für ein Beutel mit
fünfhundert Taler Louisdor, den der Wirt in Ihrem Schreibpulte
gefunden?
Tellheim Das ist Geld, welches mir aufzuheben gegeben worden.
Just Doch nicht die hundert Pistolen, die Ihnen Ihr alter Wachtmeister
vor vier oder fünf Wochen brachte?
Tellheim Die nämlichen, von Paul Wernern. Warum nicht?
Just Diese haben Sie noch nicht gebraucht? Mein Herr, mit diesen
können Sie machen, was Sie wollen. Auf meine Verantwortung--
Tellheim Wahrhaftig?
Just Werner hörte von mir, wie sehr man Sie mit Ihren Forderungen an
die Generalkriegskasse aufzieht. Er hörte--
Tellheim Daß ich sicherlich zum Bettler werden würde, wenn ich es
nicht schon wäre.--Ich bin dir sehr verbunden, Just.--Und diese
Nachricht vermochte Wernern, sein bißchen Armut mit mir zu
teilen.--Es ist mir doch lieb, daß ich es erraten habe.--Höre, Just, mache
mir zugleich auch deine Rechnung; wir sind geschiedene Leute.--
Just Wie? was?
Tellheim Kein Wort mehr; es kömmt jemand.--

5. Szene
(Eine Dame in Trauer. v. Tellheim. Just.)
Dame Ich bitte um Verzeihung, mein Herr!--
Tellheim Wen suchen Sie, Madame?--

Dame Eben den würdigen Mann, mit welchem ich die Ehre habe zu
sprechen. Sie kennen mich nicht mehr? Ich bin die Witwe Ihres
ehemaligen Stabsrittmeisters--
Tellheim Um des Himmels willen, gnädige Frau! welche
Veränderung!--
Dame Ich stehe von dem Krankenbette auf, auf das mich der Schmerz
über den Verlust meines Mannes warf. Ich muß Ihnen früh
beschwerlich fallen, Herr Major. Ich reise auf das Land, wo mir eine
gutherzige, aber eben auch nicht glückliche Freundin eine Zuflucht
vors erste angeboten.--
Tellheim (zu Just). Geh, laß uns allein.--

6. Szene
(Die Dame. v. Tellheim.)
Tellheim Reden Sie frei, gnädige Frau! Vor mir dürfen Sie sich Ihres
Unglücks nicht schämen. Kann ich Ihnen worin dienen?
Dame Mein Herr Major--
Tellheim Ich beklage Sie, gnädige Frau! Worin kann ich Ihnen dienen?
Sie wissen, Ihr Gemahl war mein Freund; mein Freund, sage ich; ich
war immer karg mit diesem Titel.
Dame Wer weiß es besser als ich, wie wert Sie seiner Freundschaft
waren, wie wert er der Ihrigen war? Sie würden sein letzter Gedanke,
Ihr Name der letzte Ton seiner sterbenden Lippen gewesen sein, hätte
nicht die stärkere Natur dieses traurige Vorrecht für seinen
unglücklichen Sohn, für seine unglückliche Gattin gefordert--
Tellheim Hören Sie auf, Madame! Weinen wollte ich mit Ihnen gern;
aber ich habe heute keine Tränen. Verschonen Sie mich! Sie finden
mich in einer Stunde, wo ich leicht zu verleiten wäre, wider die

Vorsicht zu murren.--O mein rechtschaffner Marloff! Geschwind,
gnädige Frau, was haben Sie zu befehlen? Wenn ich Ihnen zu dienen
imstande bin, wenn ich es bin--
Dame Ich darf nicht abreisen, ohne seinen letzten Willen zu vollziehen.
Er erinnerte sich kurz vor seinem Ende, daß er als Ihr Schuldner sterbe,
und beschwor mich, diese Schuld mit der ersten Barschaft zu tilgen. Ich
habe seine Equipage verkauft und komme, seine Handschrift
einzulösen.--
Tellheim
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