Memoiren einer Sozialistin | Page 4

Lily Braun
und Behaglichkeit einer
Familienwohnung verwirklichte sie hier. Da war der grüne Salon mit
den tiefen englischen Lehnstühlen, dem geräumigen Sofa am breiten
Fensterpfeiler, mit dem runden, von einer Tuchdecke bedeckten großen
Tisch davor, dem mächtigen roten Marmorkamin an der Längswand
ihm gegenüber; daneben, nur durch Portieren getrennt, das helle
Boudoir mit seinen kretonneüberzogenen Wänden und Möbeln, dem
Schreibtisch voller Familienbilder, überragt von Thorwaldsens
segnendem Christus; und auf der andern Seite des Vaters Zimmer mit
seinen schweren geschnitzten Eichenmöbeln, in deren Arabesken das
Wappentier der Kleves, die gekrönte Eule, sich vielfach wiederholte.
Für das Speisezimmer hatte die Großmutter die alten Empiremöbel
ihrer Mutter hergegeben: Mahagoni mit Bronzebeschlägen und
gelbseidnen Sesselbezügen. Hier prangte auch eine Reihe alter
Familienbilder an den Wänden: Frauen im Reifrock mit märchenhaft
dünner Taille und gepuderten Haaren, Männer in goldstrotzender
Uniform und mächtiger Lockenperücke, und mitten unter ihnen ein
rosiges, lächelndes, goldlockiges Frauenköpfchen, das die Mutter in
spätern Jahren immer in den dunkelsten Winkel zu hängen pflegte: Alix,
die Urgroßmutter, das Königsliebchen.
Ein großes, helles Schlafzimmer, eine Fremdenstube und ein sorgfältig
abgeschlossner, von der Großmutter streng behüteter Raum -- als hätte
Blaubart seine Frauen darin -- vollendeten die Wohnung. In Ost und
West, in Süd und Nord -- wohin immer das Soldatenschicksal uns
getrieben hat, -- dieser Rahmen des Lebens ist sich stets gleich
geblieben. Ein Gesellschaftszimmer, ein Tanzsaal kamen später wohl
hinzu, sie haben mich aber immer wie etwas Fremdes angemutet. »Ihr
habt keine Heimat,« pflegte die Großmutter zu sagen, »da müßt ihr sie
als Ersatz, wie die Schnecke ihr Haus, mit euch tragen.«
Als die Eltern nach der Hochzeitsreise diese Räume, die geschaffen
schienen, Liebe und Freude in sich zu schließen, betraten, war auf ihr
Eheglück schon ein Reif gefallen. Ahnungslos, wie alle wohlgehüteten
Mädchen ihrer Zeit und ihrer Lebenskreise, war Ilse in die Ehe getreten.
Keusch wie sie war der Mann, dem sie sich vermählt hatte, aber um so
gewaltiger war die Glut seiner Liebe und seines Begehrens, während

ihre Sinne noch schliefen und das große, tiefe Geheimnis des
Geschlechts sich ihr wie eine gräßliche Untat offenbarte. Sie hat mir oft
erzählt, daß sie in den ersten acht Tagen ihres Zusammenlebens mit
ihrem Mann am liebsten davongelaufen wäre, wenn sie sich nicht vor
ihren Eltern geschämt hätte. Erst ganz allmählich kam ihr die
Erkenntnis, daß ihr Gatte kein Verbrecher, ihr Schicksal kein abnormes
war. Zu den seelischen Leiden, mit denen sie ihn, der so liebevoll, so
zartfühlend und weichherzig war, wohl noch mehr quälte als sich selbst,
kamen körperliche Beschwerden hinzu, deren Ursachen sie ebenso
verständnislos gegenüberstand. Sie suchte sie mit der ihr eignen
Energie zu beherrschen, um so mehr, als sie sich unter den ihr fremden
Kleveschen Verwandten befand; sie teilte auch ihrer Mutter nichts
davon mit, um die Überängstliche nicht unnötig, wie sie meinte,
aufzuregen. Tapfer beteiligte sie sich an allen Ausflügen, allen
ländlichen Festen; tanzte und ritt, obwohl es ihr oft vor den Augen
dunkelte und der Schwindel sie zu übermannen drohte. So kehrte die
junge Frau bleich und müde zurück, die, ein Bild blühender Gesundheit,
das Elternhaus verlassen hatte. Der Schatten dieser ersten Schmerzen
und Enttäuschungen fiel über ihr ganzes Leben.
Der Großmutter blutete das Herz, als sie ihr Kind wiedersah. Bald aber
war sie beruhigt und zärtlicher Freude voll in dem Gedanken an das
junge Leben, das sich im Schoße der Tochter entwickelte. Nur allzu
früh sollte die Hoffnung, die von Ilse selbst nur qualvoll empfunden
wurde, zerstört werden; und statt einer Wöchnerin pflegte die
Großmutter eine schwer kranke junge Frau. Erst die würzige Herbstluft
von Pirgallen heilte sie, und der Königsberger Karneval sah sie als eine
der schönsten der Schönen im fröhlichen Kreise der Jugend wieder. Sie
tanzte gern, sie sah sich gern von Bewunderern umgeben, und ihr Mann
war überglücklich, wenn er sie heiter wußte.
Im zweiten Jahre ihrer Ehe stellten sich wieder Hoffnungen ein; mit
hellem Jubel begrüßte sie Hans Kleve, mit tiefer Rührung die
Großmutter; nur die, unter deren Herzen das neue Leben erwachte,
spürte nichts von alledem. Die Fassung, mit der sie sich in ihr Schicksal
ergab, das Vorgefühl ernster kommender Pflichten war das einzige, was
sie ihm gegenüber aufbringen konnte.

Indessen richtete die Großmutter des Enkelkindes erstes Stübchen ein:
Alles darin war weiß und rot, einfach und freundlich, nur das Sofa war
mit braunem Rips bezogen und der Tisch davor mit braunem
Wachstuch. Du gutes altes Sofa! Auf dir hab ich die Glieder im ersten
Lebensgefühl gestreckt, auf dir bin ich umhergeklettert, als ich die
Beinchen regen konnte; in deinen Winkeln hab ich mein
Lieblingsspielzeug geheimnisvoll verwahrt, habe, tief in deine Polster
geschmiegt, meine Märchenbücher verschlungen und meine ersten
Träume auf dir geträumt!
Mitten in den Vorbereitungen zum Empfange des kleinen Erdenbürgers
warf eine Lungenentzündung den alten Golzow aufs Krankenlager. Bei
einer der häufig wiederkehrenden Überschwemmungen, die durch die
wilden, alle Dämme durchreißenden Wogen des kurischen
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