viele kleine Duar (Zeltdörfer) und Tschar (Häuserdörfer)
kommend, die alle von hübschen Gärten umgeben waren, zog ich trotz
meiner halbmarokkanischen Kleidung überall die Blicke der
Eingeborenen auf mich, und Si-Embark (so nannte sich mein Gefährte)
hatte genug zu thun, die Neugier der Leute zu befriedigen. Aber kaum
hatte er gesagt: "er geht zu Sidi, ist ein zum Islam übergetretener
Inglese" (Engländer), als alle beruhigt waren. Der Name "Sidi" (so wird
schlecht weg der Grossscherif von Uesan genannt, er bedeutet
Meinherr) wirkte überall wie Zauber. Ich liess es ruhig geschehen, dass
sie glaubten, ich sei Engländer, die Mühe, ihnen auseinanderzusetzen,
welcher Nationalität ich angehöre, würde überdies bei ihren kindlichen
geographischen Kenntnissen vergebliche Arbeit gewesen sein.
Bald nach Sonnenuntergang erreichten wir ein ziemlich hoch am Berge
gelegenes Dörfchen. Alle Häuser und Gehöfte waren von hohen
Cactushecken umgeben, ebenso die einzelnen Gärten. Vor einem Hause
wurde Halt gemacht, und Si-Embark wurde vom Besitzer mit grosser
Freude empfangen. "Wie ist Dein ich? Wie bist Du? Wie ist Dein
Zustand? Nicht wahr, gut?" Das waren die Fragen, die Beide sich
unzählige Male, nachdem der erste _"ssalamu alikum"_ ausgetauscht
worden war, wiederholten. Dabei küssten sie sich recht herzlich, und
allmählich, als etwas mehr Ruhe in die rasch erfolgenden und, wie es
schien, stereotypen Fragen kam, wurden diese häufig untermischt mit
anderen Fragen, nach den Kornpreisen, ob die Pferde auf dem letzten
Markte theuer gewesen seien, ob der Sultan wirklich die und die Tribe
gebrandschatzt habe, und dergleichen mehr. Natürlich wurde die
Neugier in Betreff meiner auch gestillt.
Das Haus, in welches wir sodann geführt wurden, bestand wie alle
übrigen nur aus Einem Zimmer. Die Wände waren auswendig und
innen überkalkt, der Fussboden war aus gestampftem Lehm, der
Plafond aus Rohr, welches auf Stämmen aus Aloes ruhte. Fenster
waren nicht vorhanden, und die einzige Thür so niedrig, dass ein
fünfjähriges Kind allenfalls aufrecht hindurch gehen konnte. Das
äussere Dach, à cheval darüber gelegt, war aus Stroh. Eine Matte, ein
Teppich, auf einer Erderhöhung eine Art Matratze war das ganze
Ameublement.
Gegenüber dem Hause befanden sich zwei Zelte, für je eine Frau, denn
das Haus war von zwei Brüdern bewohnt. Man findet es in Marokko
überhaupt sehr oft, dass zwei verheirathete Brüder Eine Wirthschaft
haben. Der alte Vater der beiden Brüder lebte noch und bewohnte das
Haus.--Der ganze folgende Tag wurde auch noch in diesem Dorfe,
dessen Namen ich leider nicht erfuhr, zugebracht. Hier wurde ich in
den Augen der Eingeborenen nun zum wirklichen Mohammedaner
gestempelt; sie riethen mir nämlich, oder vielmehr befahlen, mein
Kopfhaar glatt abzurasiren. Sie wollten sich allerdings herbeilassen,
mir eine Gotaya, d.h. einen Zopf stehen zu lassen; aber diese chinesiche
[chinesische] Art, das Haar zu tragen, wollte ich nicht, und Morgens
nach Sonnenaufgang bekam mein Kopf auf einmal das Ansehen,
welches Mirza-Schaffy für den schönsten Schmuck des Mannes hält.
Der alte Papa hatte selbst das Rasiren besorgt, freilich unter grossen
Qualen meinerseits: er bediente sich dazu seines ganz gewöhnlichen
Messers. Ein Fötha (d.h. Segen) wurde gesprochen, ein "Gottlob"
entquoll jeder Brust, und nun war ich ihrer Meinung nach
vollkommener Muselmann.
Die Beschneidung wird bei vielen Berbertriben, wie ich das später
näher erörtern werde, nicht als zum Islam unumgänglich nothwendig
gehalten[2].
[Fußnote 2: Siehe darüber auch Höst, S. 208.]
Natürlich musste ich von nun an alle Gebräuche, die der Islam erfordert,
mitmachen. Zum ersten Male ass ich mit der Hand aus einer irdenen
Schüssel mit dem männlichen Hauspersonal. Die Leute unterrichteten
mich, wie der Bissen zu fassen und zum Munde zu führen sei, und
Nachts musste ich mich bequemen, auf hartem Erdboden zu schlafen,
froh für diesmal eine Matte zu haben. Die Beleuchtung Abends bestand
aus einer kleinen thönernen Lampe, ganz ähnlich in Form und Gestalt
den antiken griechischen und römischen. Ein Klumpen Butter wurde
hineingeworfen, irgend ein baumwollener Fetzen zu einem Dochte
zusammen gedreht, und fertig war die alte Grossmama der brillanten
Gaslampe.
Am dritten Tage Morgens wurde die Reise fortgesetzt, ich natürlich
immer zu Fusse. Vor Sonnenaufgang aufgebrochen, erreichten wir um
"Dhaha" beim Ued Aisascha die grosse von Tanger nach L'xor
(Alcassar) führende Karavanenstrasse. Eine Uhr besass ich damals
nicht, und bald lernte ich wie die Marokkaner meine Zeit nach der
Sonne, dem Schatten, den Magenbedürfnissen und anderen
Kleinigkeiten erkennen. Der Marokkaner hat als Zeiteintheilung vor
allem Sonnenaufgang, Sonnenhöhe oder Mittag, und Sonnenuntergang.
Sodann die halbe Zeit zwischen Sonnenaufgang und Mittag, endlich
zwischen Mittag und Sonnenuntergang ebenfalls die halbe Zeit. Für
alle diese Zeitpunkte hat man auch bestimmte Namen[3]. Wenn ich
sagte, dass wir die grosse Karavanenstrasse erreichten, so denke man
dabei ja nicht an eine gepflasterte oder makadamisirte Chaussee,
dergleichen giebt es im ganzen marokkanischen Reiche nicht, wie denn
auch der Gebrauch des Wagens noch ganz unbekannt ist. Eine solche
Strasse besteht aus verschiedenen mehr oder weniger parallel neben
einander herlaufenden Pfaden. Je betretener eine solche Strasse ist, um
so mehr Pfade gehen neben
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