Mein erster Aufenthalt in Marokko und Reise südlich vom Atlas durch die Oasen Draa und Tafilet | Page 5

Gerhard Rohlfs
das Dhaha-Gebet nicht obligatorisch]
Die Gegend war immer gleich strotzend von Ueppigkeit, und die weissen Gipfel der Rifberge im Osten trugen nur dazu bei, den Reiz derselben zu erh?hen. Wir waren jetzt im Monat April. Man fing schon an hie und da die Gerste zu ernten. Die Verh?ltnisse sind in dieser Beziehung in Marokko ganz anders als bei uns. Der Acker wird gemeiniglich im December, auch wohl Anfang Januar bestellt, mittelst eines primitiven Pfluges, wohl ganz derselben Art, wie sich die Araber vor 2000 Jahren desselben bedienten. Ob die Berber den Pflug vor der arabischen Invasion gekannt haben, ist nicht mit Bestimmtheit zu sagen, von allen übrigen V?lkern Afrika's kennt nur der Abessinier den Pflug, und nach Abbessinien ist er auch wahrscheinlich aus Arabien herübergekommen. Südlich vom Atlas, in den Oasen der Sahara, in Centralafrika wird der Boden nur mit der Hacke bearbeitet. Das Schneiden der Frucht geschieht mittelst krummer Messer, Sicheln kann man kaum sagen, und so nahe unter der Aehre, dass fast das ganze Stroh stehen bleibt, dies soll dann zugleich für die n?chste Bestellung des Ackers als Düngungsmittel dienen. In Haufen l?sst man alsdann das Getreide einige Zeit auf dem Felde trocknen und hernach wird das Korn durch Rinder, _denen das Maul verbunden ist_[4] und die im Kreise herumgetrieben werden, ausgetreten. Eine aus Lehm gestampfte Tenne dient in der Regel einem ganzen Dorfe. Das Getreide, was man für den n?chsten Gebrauch nicht im Hause beh?lt, wird in grosse L?cher geschüttet. Diese Gruben von birnf?rmiger Gestalt mit engem Halse als Oeffnung nach oben, sind mehr als mannstief und unten 4 bis 5 Fuss breit; man legt sie immer auf Erh?hungen und im trockenen Erdreich an, das Getreide soll sich jahrelang darin halten.
[Fu?note 4: H?st (S. 129) behauptet zwar das Gegentheil, ich habe es aber nur so ausdreschen sehen.]
Es war an dem Tage ungemein warm; obschon an Gehen gew?hnt, war mir der Marsch mit blossen Füssen in den dünnen gelben Pantoffeln ?usserst beschwerlich; nach der Sitte der Marokkaner hatte ich meine Hosen eingerichtet, d.h. bis zu den Knieen abgeschnitten und die Folge davon war, dass hier die empfindliche Haut von einem Sonnenstich bald blauroth wurde und schmerzhaft brannte. Glücklicherweise hatte Si-Embark eine kleine Rkuá[5] bei sich, woraus wir unseren Durst stillen konnten. Abends erreichten wir einen Duar, d. i. ein Zeltdorf, in dem gen?chtigt wurde. Es war ein Kreis von 17 Zelten; eins, das sich durch gr?ssere Feinheit des Stoffes auszeichnete, auch ger?umiger als die übrigen war, geh?rte dem Mul el Duar (Dorfherr), der zu gleicher Zeit Aeltester der Familie und ihr Kaid war. Sein Zelt stand mit den übrigen im selben Kreise, manchmal lagern die Kaids in der Mitte oder auch abseits vom Duar. Nicht bei allen Triben herrscht überdies die Sitte, die Zelte kreisf?rmig aufzuschlagen; viele lieben es, in Einer Front die Zelte zu errichten oder auch die Behausungen den ?rtlichen Verh?ltnissen der Gegend anzupassen. Si-Embark hatte mir den ganzen Tag über gute Lehren gegeben, wie ich mich zu verhalten h?tte, und ich ersah daraus, dass es vor Allem darauf ankam, fortw?hrend Gott im Munde zu haben. Doch waren manche andere Kleinigkeiten darunter, die uns l?cherlich erscheinen werden. Als er mich das Wort "rsass", Blei, für Kugel anwenden h?rte, unterbrach er mich rasch und meinte, es sei unanst?ndig, dies Wort, womit man Menschen t?dte, zu nennen; er sagte mir darauf, wie ich zu sagen habe. Das Wort entfiel mir damals, aber sp?ter fand ich, dass man in Marokko allgemein für Bleikugel das Wort "chfif", d.h. "leicht" sagt. Gerade die dem Blei entgegenstehende Eigenschaft. Er sagte mir, ich solle nie die Frauen und jungen M?dchen ansehen und als Fremder nicht mit ihnen sprechen, kurz, er gab mir goldene Lehren, machte sich freilich auch am folgenden Tag dafür bezahlt.
[Fu?note 5: Rkuá, kleiner Schlauch, den man selbst tr?gt; Girba, Schlauch, den das Vieh zu tragen bekommt.]
Im Duar logirten wir nicht im Gitun el diaf oder Fremdenzelt, sondern Si-Embark hatte auch hier seinen speciellen Freund, bei dem er Unterkommen fand und ich mit ihm. Hatte ich am Abend vorher zum ersten Male eine einheimische feste Behausung kennen gelernt, so war jetzt das Leben und Weben einer Zeltfamilie mir erschlossen. Ich sah jetzt ein, welch ungemeinen Vortheil ich aus der Maske des Islam ziehen würde. H?tte man einen Christen oder auch einen unter Gepr?nge reisenden Mohammedaner so ohne Weiteres ins geheiligte Innere eines Familienzeltes zugelassen? Nie. Auf diese Art, unscheinbar, ohne alle Mittel, aber ganz wie die dortige Bev?lkerung selbst lebt--auf diese Art reisend, durfte ich hoffen, genau die Sitten und Gebr?uche der Eingeborenen kennen zu lernen. Vor mir war keine Scheu, keine Zurückhaltung, Jeder gab sich, wie er war, ja, ich kann sagen, auf dem Lande beeiferte man sich, mich mit Allem, was mir neu und unbekannt war, bekannt zu machen. Freilich war ich auch geplagt dafür vom Morgen bis zum Abend.
Continue reading on your phone by scaning this QR Code

 / 124
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.