Mein Weg als Deutscher und Jude | Page 8

Jakob Wasserman
seinen Augen zuerst ein Aufblitzen von Stolz
war, das aber bald dem Zorn, der Angst, der Ratlosigkeit wich.
Es gab schlimme Szenen, Vorwürfe, Drohungen, Beschimpfungen,
Hohn. Auch in der Schule wurde ich zur Rechenschaft verhalten, vor
den Rektor zitiert und wegen verbotener Publikation zu
zwölfstündigem Karzer verurteilt. Der Vater aber wurde mein
unerbittlicher Verfolger, und die Frau war seine getreue Spionin, so daß
ich keine ruhige Arbeitsstunde mehr fand und des Nachts bisweilen bei
Mondschein das Bett verließ und am Fenster, in einem
leidenschaftlichen inneren Zustand, Blatt um Blatt vollschrieb. In einer
solchen Nacht brach in der hofseitig gelegenen Fabrik meines Vaters
Feuer aus. Ich bemerkte die Flamme zuerst, schlug Lärm, und als ich
den Vater mit entsetzten Mienen, halb angekleidet, die Stiegen

hinuntereilen sah, bildete ich mir ein, er werde durch dieses Unglück
für seine Härte gegen mich bestraft.

5
Schwer und dunkel waren die Jahre des Werdens. Um von der Unbill
und dem Gefühl erlittenen Unrechts nicht erdrückt zu werden, flüchtete
ich mich gern in die Vorstellung, daß der Weltgeist für mich im stillen
wirkte. Es war ziemlich wunderbar, daß ich an der kerkerhaften
Wirklichkeit nicht zerschellte.
Ich hatte den Forderungen, mit denen man meine Natur vergewaltigen
wollte, nur Trotz entgegenzusetzen, schweigenden Trotz, schweigendes
Anderssein. Zwei Freunde halfen mir, jeder in seiner Weise. Beide
waren Juden, beide spielten eine typische Rolle in meiner Entwicklung.
Der eine war ein schlanker, großer, blondlockiger Mensch, mit einem
Antinouskopf. Es war der Sohn einer reichen Witwe und besaß eine
ansehnliche Bibliothek. Die Stunden unseres Beisammenseins und die
Beschäftigung mit den Werken der Dichter waren erstohlen, ihr
Gepräge war Schwärmerei. Mit unersättlichem Hunger nahm ich Vers
und Prosa in mich auf, Gestalt und Szene. Alles war mir schaurig heilig,
was in diesem Bereich webte; zwischen dem Alltäglichen und der
Region der Hingabe und Ergriffenheit war nur eine schmale Brücke,
die heimlich passiert werden mußte; hier war Kälte, Angst, Beengung,
Kahlheit, Dumpfheit; dort Glut, Innigkeit, Passion; und Wort, Bild,
Traum waren die Altäre eines verschwiegenen Dienstes. Möglich, daß
der Freund mit mir von mir hingerissen wurde; er war weich,
sentimental, eitel auf seine Schönheit; mir war er eine Zeitlang Idol.
Wie ich zum Kaufmann bestimmt, wollte er Schauspieler werden, und
da ich den künftigen Garrick der deutschen Bühne in ihm erblickte, war
die Tragödie unser eigentliches Feld. Der Ehrgeiz erwachte in mir,
meinem bewunderten Garrick ein Shakespeare zu werden, und ich ging
selbst an die Verfertigung von Trauerspielen. Ich kannte keine
Richtung oder Schule; es war Sturm und Drang in mir, aus mir, Pathos
und Überschwang aus eigenen Quellen, erfundene Welt voll Mord,

Blutdurst, Raserei; und der Freund glaubte. In seinen Augen hatte ich
schon die Unsterblichkeit erlangt. Als uns das Geschick voneinander
getrennt hatte und ich in die Fabrik des Onkels nach Wien gekommen
war, hielt ein enthusiastischer Briefwechsel das Feuer lebendig, und in
zahlreichen, umfangreichen Episteln gab ich ihm Rechenschaft von
allem, was ich schrieb und dachte. Er aber verlosch bald. Ich merkte,
daß ihm meine intransigente Haltung unbequem wurde, denn er hatte
paktiert. Statt meinen geistigen Qualen wenigstens Echo zu sein,
erschöpfte er sich in rührseligen und verlogenen Schilderungen seiner
Liebesabenteuer, und eines Tages, als er wieder lang und breit von der
Leidenschaft zu einer Artistin geschrieben hatte, beschloß ich, nicht
mehr zu antworten und habe dann auch nie wieder von ihm gehört.
Der andere Freund war der Sohn eines Handelsmannes in
Gunzenhausen, der in München die Rechte studierte, drei Jahre älter als
ich war, und den ich stets in den Ferien zum Genossen hatte, schroffer
Gegensatz zu jenem ersten. Im Wachstum zurückgeblieben, zwerghaft
klein, war ihm der durchdringendste jüdische Verstand gegeben, eine
Fähigkeit, die Schwächen und Blößen der Menschen wahrzunehmen
und zu geißeln, die mich ihn fürchten ließ. Meine dichterische Neigung
verfolgte er mit beißendem Spott, namentlich, wenn junge Mädchen
dabei waren, vor denen er zu glänzen liebte, und denen seine Witzworte
in Heinescher Manier, seine Belesenheit und Schlagfertigkeit
imponierten.
In dieser kleinen Welt war er das große Licht, die letzte Instanz der
Kritik, während ich als Poetaster und haltloser Schwärmer, der nicht
einmal den Weg humanistischer Bildung einschlug, eine
mitleidswürdige Figur machte. Durch nichts konnte ich mich vor ihm
behaupten, durch keine Anstrengung, keine Verheißung, keinen
Hinweis; er zerpflückte mir Wort und Leistung, verdächtigte das
Bestreben sogar, und doch war ihm zu gefallen, von ihm gebilligt zu
werden mein schmerzliches Bemühen. Nicht bloß, daß er Mißtrauen in
meiner Umgebung säte, rief er auch Schwanken in mir selbst hervor,
und eingeschüchtert von seiner Beredsamkeit und
Argumentierungskunst, der scheinbar unbeugsamen Strenge seines
Urteils, der Überlegenheit seines Wissens und der Bosheit seiner Zunge,

betrachtete ich ihn als Richter und Führer. Als er sich endlich zur
Anerkennung meines Werbens und Kämpfens herbeiließ, legte ich in
einer wichtigen Stunde die Entscheidung über mein Schicksal in seine
Hand. Das kam so:
Meine Situation im Hause meines Onkels
Continue reading on your phone by scaning this QR Code

 / 47
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.