Kritik der reinen Vernunft (2nd edition) | Page 9

Immanuel Kant
keineswegs aber das Interesse der Menschen. Ich frage den unbiegsamsten Dogmatiker, ob der Beweis von der Fortdauer unserer Seele nach dem Tode aus der Einfachheit der Substanz, ob der von der Freiheit des Willens gegen den allgemeinen Mechanismus durch die subtilen, obzwar ohnm?chtigen Unterscheidungen subjektiver und objektiver praktischer Notwendigkeit, oder ob der vom Dasein Gottes aus dem Begriffe eines allerrealsten Wesens, (der Zuf?lligkeit des Ver?nderlichen, und der Notwendigkeit eines ersten Bewegers,) nachdem sie von den Schulen ausgingen, jemals haben bis zum Publikum gelangen und auf dessen ��berzeugung den mindesten Einflu? haben k?nnen? Ist dieses nun nicht geschehen, und kann es auch, wegen der Untauglichkeit des gemeinen Menschenverstandes zu so subtiler Spekulation, niemals erwartet werden; hat vielmehr, was das erstere betrifft, die jedem Menschen bemerkliche Anlage seiner Natur, durch das Zeitliche (als zu den Anlagen seiner ganzen Bestimmung unzul?nglich) nie zufrieden gestellt werden zu k?nnen, die Hoffnung eines k��nftigen Lebens, in Ansehung des zweiten die blo?e klare Darstellung der Pflichten im Gegensatze aller Anspr��che der Neigungen das Bewu?tsein der Freiheit, und endlich, was das dritte anlangt, die herrliche Ordnung, Sch?nheit und F��rsorge, die allerw?rts in der Natur hervorblickt, allein den Glauben an einen weisen und gro?en Welturheber, die sich aufs Publikum verbreitende ��berzeugung, sofern sie auf Vernunftgr��nden beruht, ganz allein bewirken m��ssen: so bleibt ja nicht allein dieser Besitz ungest?rt, sondern er gewinnt vielmehr dadurch noch an Ansehen, da? die Schulen nunmehr belehrt werden, sich keine h?here und ausgebreitetere Einsicht in einem Punkte anzuma?en, der die allgemeine menschliche Angelegenheit betrifft, als diejenige ist, zu der die gro?e (f��r uns achtungsw��rdigste) Menge auch eben so leicht gelangen kann, und sich also auf die Kultur dieser allgemein fa?lichen und in moralischer Absicht hinreichenden Beweisgr��nde allein einzuschr?nken. Die Ver?nderung betrifft also blo? die arroganten Anspr��che der Schulen, die sich gerne hierin (wie sonst mit Recht in vielen anderen St��cken) f��r die alleinigen Kenner und Aufbewahrer solcher Wahrheiten m?chten halten lassen, von denen sie dem Publikum nur den Gebrauch mitteilen, den Schl��ssel derselben aber f��r sich behalten (quod mecum nescit, solus vult scire videri). Gleichwohl ist doch auch f��r einen billigeren Anspruch des spekulativen Philosophen gesorgt. Er bleibt immer ausschlie?lich Deposit?r einer dem Publikum ohne dessen Wissen n��tzlichen Wissenschaft, n?mlich der Kritik der Vernunft; denn die kann niemals popul?r werden, hat aber auch nicht n?tig, es zu sein; weil, so wenig dem Volke die fein gesponnenen Argumente f��r n��tzliche Wahrheiten in den Kopf wollen, ebensowenig kommen ihm auch die eben so subtilen Einw��rfe dagegen jemals in den Sinn; dagegen, weil die Schule, so wie jeder sich zur Spekulation erhebende Mensch, unvermeidlich in beide ger?t, jene dazu verbunden ist, durch gr��ndliche Untersuchung der Rechte der spekulativen Vernunft einmal f��r allemal dem Skandal vorzubeugen, das ��ber kurz oder lang selbst dem Volke aus den Streitigkeiten aufsto?en mu?, in welche sich Metaphysiker (und als solche endlich auch wohl Geistliche) ohne Kritik unausbleiblich verwickeln, und die selbst nachher ihre Lehren verf?lschen. Durch diese kann nun allein dem Materialismus, Fatalismus, Atheismus, dem freigeisterischen Unglauben, der Schw?rmerei und Aberglauben, die allgemein sch?dlich werden k?nnen, zuletzt auch dem Idealismus und Skeptizismus, die mehr den Schulen gef?hrlich sind und schwerlich ins Publikum ��bergehen k?nnen, selbst die Wurzel abgeschnitten werden. Wenn Regierungen sich ja mit Angelegenheiten der Gelehrten zu befassen gut finden, so w��rde es ihrer weisen F��rsorge f��r Wissenschaften sowohl als Menschen weit gem??er sein, die Freiheit einer solchen Kritik zu beg��nstigen, wodurch die Vernunftbearbeitungen allein auf einen festen Fu? gebracht werden k?nnen, als den l?cherlichen Despotismus der Schulen zu unterst��tzen, welche ��ber ?ffentliche Gefahr ein lautes Geschrei erheben, wenn man ihre Spinneweben zerrei?t, von denen doch das Publikum niemals Notiz genommen hat, und deren Verlust es also auch nie f��hlen kann.
Die Kritik ist nicht dem dogmatischen Verfahren der Vernunft in ihrem reinen Erkenntnis als Wissenschaft entgegengesetzt, (denn diese mu? jederzeit dogmatisch, d.i. aus sicheren Prinzipien a priori strenge beweisend sein,) sondern dem Dogmatismus, d.i. der Anma?ung, mit einer reinen Erkenntnis aus Begriffen (der philosophischen), nach Prinzipien, so wie sie die Vernunft l?ngst im Gebrauche hat, ohne Erkundigung der Art und des Rechts, womit sie dazu gelangt ist, allein fortzukommen. Dogmatismus ist also das dogmatische Verfahren der reinen Vernunft, ohne vorangehende Kritik ihres eigenen Verm?gens. Diese Entgegensetzung soll daher nicht der geschw?tzigen Seichtigkeit, unter dem angema?ten Namen der Popularit?t, oder wohl gar dem Skeptizismus, der mit der ganzen Metaphysik kurzen Proze? macht, das Wort reden; vielmehr ist die Kritik die notwendige vorl?ufige Veranstaltung zur Bef?rderung einer gr��ndlichen Metaphysik als Wissenschaft, die notwendig dogmatisch und nach der strengsten Forderung systematisch, mithin schulgerecht (nicht popul?r) ausgef��hrt werden mu?; denn diese Forderung an sie, da sie sich anheischig macht, g?nzlich a priori, mithin zu v?lliger Befriedigung der spekulativen Vernunft ihr Gesch?ft auszuf��hren, ist unnachl??lich. In der Ausf��hrung also des Plans, den die Kritik vorschreibt, d.i. im k��nftigen System der Metaphysik, m��ssen wir dereinst der strengen Methode
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