Kontrovers-Predigt Ãuber H. Clauren und den Mann im Mond | Page 2

Wilhelm Hauff
die lebt und leben l??t; sie sind arglose Leute, die ja nichts wollen, als ihrem Nebenmenschen seine "oft trüben Stunden erheitern" und ihn auf eine natürliche, unschuldige Weise erg?tzen. Aber gerade dies sind die W?lfe in Schafskleidern, das ist der Teufel in der Kutte, und die Krallen kommen frühe genug ans Tageslicht.
Wem unter euch, meine And?chtigen, sollte bei dieser Schilderung nicht vor allem jener beifallen, der allj?hrlich im Gewande eines unschuldigen Blumenm?dchens auf die Messe zieht und "Vergi?meinnicht" feilbietet. Ich wei? wohl, da? dort drüben auf der Emporkirche, da? da unten in den Kirchstühlen manche Seele sitzt, die ihm zugetan ist, ich wei? wohl, da? er bei euch der Morgen- und Abendsegen geworden ist, ihr N?herm?dchen, ihr Putzjungfern, selbst auch ihr sonst so züchtigen Bürgerst?chterlein, ich wei?, da? ihr ihn heimlich im Herzen traget, ihr, die ihr auf etwas H?heres von Bildung und Geschmack Anspruch machen wollet, ihr Fr?ulein mit und ohne Von, ihr gn?digen Frauen und andere Mesdames! Ich wei?, da? er das A und das O eurer Literatur geworden ist, ihr Schreiber und Ladendiener, da? ihr ihn best?ndig bei euch führt, und wenn der Prinzipal ein wenig beiseite geht, ihn schnell aus der Tasche holt, um eure magere Phantasie durch einige Ballgeschichten, Champagnertreffen und Austernschm?use anzufeuchten; ich wei?, da? er bei euch allen der Mann des Tages geworden ist; aber nichtsdestoweniger, ja, gerade darum und eben deswegen will ich seinen Namen aussprechen, er nennt sich CLAUREN. _Anathema sit!_
Vor zw?lf Jahren laset ihr, was eurem Geschmack gerade keine Ehre machte, Spie? und Cramer, mitunter die k?stlichen Schriften über Erziehung von Lafontaine; wenn ihr von Mei?ner etwas anderes gelesen als einige Kriminalgeschichten &c., so habt ihr euch wohl gehütet, es in guter Gesellschaft wiederzusagen; einige aber von euch waren auf gutem Wege; denn Schiller fing an, ein gro?es Publikum zu bekommen. Gewinn für ihn und für sein Jahrhundert, wenn er, wie ihr zu sagen pflegt, in die Mode gekommen w?re; dazu war er aber auch zu gro?, zu stark. Ihr wolltet euch die Mühe nicht geben, seinen erhabenen Gedanken ganz zu folgen. Er wollte euch losrei?en aus eurer Spie?bürgerlichkeit, er wollte euch aufrütteln aus eurem Hinbrüten mit jener ehernen Stimme, die er mit den Silberkl?ngen seiner Saiten mischte; er sprach von Freiheit, von Menschenwürde, von jener erhabenen Empfindung, die in der menschlichen Brust geweckt werden kann, --gemeine Seelen! Euch langweilten seine herrlichsten Trag?dien, er war euch nicht allgemein genug. Was soll ich von Goethe reden? Kaum, da? ihr es über euch verm?gen konntet, seine Wahlverwandtschaften zu lesen, weil man euch sagte, es finden sich dort einige sogenannte pikante Stellen,--ihr konntet ihm keinen Geschmack abgewinnen, er war euch zu vornehm.
Da war eines Tages in den Buchladen ausgeh?ngt: "Mimili, eine Schweizergeschichte." Man las, man staunte. Siehe da, eine neue Manier zu erz?hlen, _so angenehm, so natürlich, so rührend_ und so reizend! Und in diesen vier Worten habt ihr in der Tat die Vorzüge und den Gehalt jenes Buches ausgesprochen. Man würde lügen, wollte man nicht auf den ersten Anblick diese Manier angenehm finden. Es ist ein l?ndliches Gem?lde, dem die Anmut nicht fehlt; es ist eine wohlt?nende, leichte Sprache, die Sprache der Gesellschaft, die sich zum Gesetz macht, keine Saite zu stark anzuschlagen, nie zu tief einzugehen, den Gedankenflug nie h?her zu nehmen als bis an den Plafond des Teezimmers. Es ist wirklich angenehm zu lesen, wie eine Musik angenehm zu h?ren ist, die dem Ohr durch sanfte T?ne schmeichelt, welche in einzelne wohllautende Akkorde gesammelt sind. Sie darf keinen Charakter haben, diese Musik, sie darf keinen eigentlichen Gedanken, keine tiefere Empfindung ausdrücken; sonst würde die arme Seele unverst?ndlich werden oder die Gedanken zu sehr affizeren. Eine angenehme Musik, so zwischen Schlafen und Wachen, die uns einwiegt und in sü?e Tr?ume hinüberlullt. Siehe, so die Sprache, so die Form jener neuen Manier, die euch entzückte!
Das Zweite, was euch gefiel, h?ngt mit diesem ersteren sehr genau zusammen: diese Manier war so _natürlich_. Es ist etwas Sch?nes, Erhabenes um die Natur, besonders um die Natur in den Alpen. Schiller ist auch einmal dort eingekehrt, ich meine, mit Wilhelm Tell. Sein Drama ist so erhaben als die Natur der Schweizerlande; es bietet Aussichten, so k?stlich und gro? wie die von der Tellskapelle über den See hin; aber nicht wahr, ihr lieben Seelen, der ist euch doch nicht natürlich genug? Zu was auch die Seele anfüllen mit unnützen Erinnerungen an die Taten einer gro?en Vorzeit? Zu was Weiber schildern wie eine Gertrude Stauffacher oder eine Bertha, oder M?nner wie einen Tell oder einen Melchthal? Da wei? es Clauren viel besser, viel natürlicher zu machen! Statt gro?artige Charaktere zu malen, für welche er freilich in seinem Kasten keine Farben finden mag, malt er euch einen Hintergrund von Schneebergen, grünen Waldwiesen mit allerlei Vieh; das ist pro primo die Schweiz. Dann einen Krieger neuerer Zeit mit schlanker Taille
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