Kater Martinchen | Page 9

Ernst Moritz Arndt
wiederkommen. Das ist aber ein uraltes Gesetz, das bei den
Unterirdischen gilt, daß sie je alle fünfzig Jahre wieder an das Licht
lassen müssen, was sie eingefangen haben. Und das ist gut für die,
welche so gefangen sitzen und da unten den kleinen Leuten dienen
müssen, daß ihnen diese Jahre nicht gerechnet werden, und daß keiner
da älter werden kann als zwanzig Jahre, und wenn er volle fünfzig
Jahre in den Bergen gesessen hätte. Und es kommen auf die Weise alle,
die wieder herauskommen, jung und schön heraus. Auch haben die
meisten Menschen, die bei ihnen gewesen sind, nachher auf der Erde
viel Glück gehabt: entweder, daß sie da unten so klug und witzig und
anschlägisch werden, oder daß die kleinen Leute, wie einige erzählen,
ihnen unsichtbar bei der Arbeit helfen und Gold und Silber zutragen.
Die Unterirdischen, welche in den Neun Bergen wohnen, gehören zu
den braunen, und die sind nicht schlimm. Es gibt aber auch schwarze,
das sind Tausendkünstler und Kunstschmiede, geschickt und fertig in
allerlei Werk, aber auch arge Zauberer und Hexenmeister, voll
Schalkheit und Trug, und ist ihnen nicht zu trauen. Sie sind auch
Wilddiebe, denn sie essen gern Braten. Sie dürfen aber das Wild mit
keinem Gewehr fällen, sondern sie stricken eigene Netze, die kein
Mensch sehen kann; darin fangen sie es. Darum sind sie auch Feinde

der Jäger und haben schon manchem Jäger sein Gewehr behext, daß er
nicht treffen kann. Das glauben aber bis diesen Tag viele Leute, daß
nichts eine größere Gewalt über diese Schwarzen hat als Eisen,
worüber gebetet worden, oder was in Christenhänden gewesen ist.
Solche Schwarzen wohnen hier aber gar nicht.
In zwei Bergen wohnen von den weißen, und das sind die
freundlichsten, zartesten und schönsten aller Unterirdischen, fein und
anmutig von Gliedern und Gebärden und ebenso fein und
liebenswürdig drinnen im Gemüte. Diese Weißen sind ganz unschuldig
und rein und necken niemand, auch nicht einmal im Scherze, sondern
ihr Leben ist licht und zart, wie das Leben der Blumen und Sterne, mit
welchen sie auch am meisten Umgang halten. Diese niedlichen Kleinen
sitzen den Winter, wann es auf der Erde rauh und wüst und kalt ist,
ganz still in ihren Bergen und tun da nichts anders, als daß sie die
feinste Arbeit wirken aus Silber und Gold, daß die Augen der meisten
Sterblichen zu grob sind, sie zu sehen; die sie aber sehen können, sind
besonders feine und zarte Geister. So leben sie den trüben Winter durch,
wann es da draußen unhold ist, in ihren verborgenen Klausen. Sobald
es aber Frühling geworden und den ganzen Sommer hindurch, leben sie
hier oben im Sonnenschein und Sternenschein sehr fröhlich und tun
dann nichts als sich freuen und andern Freude machen. Sobald es auch
im ersten Lenze zu sprossen und zu keimen beginnt an Bäumen und
Blumen, sind sie husch aus ihren Bergen heraus und schlüpfen in die
Reiser und Stengel und von diesen in die Blüten und Blumenknospen,
worin sie gar anmutig sitzen und lauschen. Des Nachts aber, wann die
Menschen schlafen, spazieren sie heraus und schlingen ihre fröhlichen
Reihentänze im Grünen um Hügel und Bäche und Quellen und machen
die allerlieblichste und zarteste Musik, welche reisende Leute so oft
hören und sich verwundern, weil sie die Spieler nicht sehen können.
Diese kleinen Weißen dürfen auch bei Tage immer heraus, wann sie
wollen, aber nicht in Gesellschaft, sondern einzeln, und sie müssen sich
dann verwandeln. So fliegen viele von ihnen umher als bunte Vögelein
oder Schmetterlinge oder als schneeweiße Täubchen und bringen den
kleinen Kindern oft Schönes und den Erwachsenen zarte Gedanken und
himmlische Träume, von welchen sie nicht wissen, wie sie ihnen
kommen. Das ist bekannt, daß sie sich häufig in Träume verwandeln,

wenn sie in geheimer Botschaft reisen. So haben sie manchen
Betrübten getröstet und manchen Treuliebenden erquickt. Wer ihre
Liebe gewonnen hat, der ist im Leben besonders glücklich, und wenn
sie nicht so reich machen an Schätzen und Gütern als die andern
Unterirdischen, so machen sie reich an Liedern und Träumen und
fröhlichen Gesichten und Phantasien. Und das sind wohl die besten
Schätze, die ein Mensch gewinnen kann.

Abenteuer des Johann Dietrich
In Rambin lebte einst ein Arbeitsmann, der hieß Jakob Dietrich, ein
Mann schlecht und recht und gottesfürchtig, und der auch eine gute und
gottesfürchtige Frau hatte. Die beiden Eheleute besaßen dort ein
Häuschen und ein Gärtchen und nährten sich redlich von der Arbeit
ihrer Hände; denn andere Künste kannten sie nicht. Sie hatten viele
liebe Kinder, von welchen das jüngste, Johann Dietrich genannt, ihnen
fast das liebste war. Denn es war ein schöner und munterer Junge,
aufgeweckt und quick, fleißig in der Schule und gehorsam zu Hause,
und behielt alle Lehren und Geschichten sehr gut, welche die Eltern
ihm versagten. Auch von vielen andern Leuten lernte er und hielt jeden
fest, der Geschichten wußte, und ließ
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