jeden, dem das
dauernde Kriegsunheil noch nicht allen Glauben an Menschlichkeit
geraubt hat.
Ein Lager diesseits Verdun wird aufgeschlagen, und man zählt auf
einige Tage Rast.
Den 31. morgens war ich im Schlafwagen, gewiss der trockensten,
wärmsten und erfreulichsten Lagerstätte, halb erwacht, als ich etwas an
den Ledervorhängen ruaschen hörte und bei Eröffnung derselben den
Herzog von Weimar erblickte, der mir einen unerwarteten Fremden
vorstellte. Ich erkannte sogleich den abenteuerlichen Grothaus, der,
seine Parteigängerrolle auch hier zu spielen nicht abgeneigt, angelangt
war, um den bedenklichen Auftrag der Aufforderung Verduns zu
übernehmen. In Gefolg dessen war er gekommen, unsern fürstlichen
Anführer um einen Stabstrompeter zu ersuchen, welcher, einer solchen
besondern Auszeichnung sich erfreuend, alsobald zu dem Geschäft
beordert wurde. Wir begrüßten uns, alter Wunderlichkeiten eingedenk,
auf das heiterste, und Grothaus eilte zu seinem Geschäft; worüber denn,
als es vollbracht war, gar mancher Scherz getrieben wurde. Man
erzählte sich, wie er, den Trompeter voraus, den Husaren hinterdrein,
die Fahrstraße hinab geritten, die Verduner aber als Sansculotten, das
Völkerrecht nicht kennend oder verachtend, auf ihn kanoniert; wie er
ein weißes Schnupftuch an die Trompete befestigt und immer heftiger
zu blasen befohlen; wie er, von einem Kommando eingeholt und mit
verbundenen Augen allein in die Festung geführt, alldort schöne Reden
gehalten, aber nichts bewirkt -- und was dergleichen mehr war,
wodurch man denn nach Weltart den geleisteten Dienst zu verkleinern
und dem Unternehmenden die Ehre zu verkümmern wusste.
Als nun die Festung, wie natürlich, auf die erste Forderung, sich zu
ergeben, abgeschlagen, musste man mit Anstalten zum Bombardement
vorschreiten. Der Tag ging hin, indessen besorgt' ich noch ein kleines
Geschäft, dessen gute Folgen sich mir bis auf den heutigen Tag
erstrecken. In Mainz hatte mich Herr von Stein mit dem Jägerischen
Atlas versorgt, welcher den gegenwärtigen, hoffentlich auch den
nächstkünftigen Kriegsschauplatz in mehreren Blättern darstellte. Ich
nahm das eine hervor, das achtundvierzigste, in dessen Bezirk ich bei
Longwy herein getreten war, und da unter des Herzogs Leuten sich
gerade ein Boßler befand, so ward es zerschnitten und aufgezogen und
dient mir noch zur Wiedererinnerung jener für die Welt und mich so
bedeutenden Tage.
Nach solchen Vorbereitungen zum künftigen Nutzen und
augenblicklicher Bequemlichkeit sah ich mich um auf der Wiese, wo
wir lagerten und von wo sich die Zelte bis auf die Hügel erstreckten.
Auf dem großen, grünen, ausgebreiteten Teppich zog ein wunderliches
Schauspiel meine Aufmerksamkeit an sich: eine Anzahl Soldaten
hatten sich in einen Kreis gesetzt und hantierten etwas innerhalb
desselben. Bei näherer Untersuchung fand ich sie um einen
trichterförmigen Erdfall gelagert, der, von dem reinsten Quellwasser
gefüllt, oben etwa dreißig Fuß im Durchmesser haben konnte. Nun
waren es unzählige kleine Fischchen, nach denen die Kriegsleute
angelten, wozu sie das Gerät neben ihrem übrigen Gepäck mitgebracht
hatten. Das Wasser war das klarste von der Welt, und die Jagd lustig
genug anzusehen. Ich hatte jedoch nicht lange diesem Spiel zugeschaut,
als ich bemerkte, dass die Fischlein, indem sie sich bewegten,
verschiedene Farben spielten. Im ersten Augenblick hielt ich diese
Erscheinung für Wechselfarben der beweglichen Körperchen, doch
blad eröffnete sich mir eine willkommene Aufklärung. Eine Scherbe
Steingut war in den Trichter gefallen. Welche mir aus der Tiefe herauf
die schönsten prismatischen Farben gewährte. Heller als der Grund,
dem Auge entgegen gehoben, zeigte sie an dem von mir abstehenden
Rand die Blau- und Violettfarbe, an dem mir zugekehrten Rande
dagegen die rote und gelbe. Als ich mich darauf um die Quelle ringsum
bewegte, folgte mir, wie natürlich bei einem solchen subjektiven
Versuche, das Phänomen, und die Farben erschienen, bezüglich auf
mich, immer dieselbigen.
Leidenschaftlich ohnehin mit diesen Gegenständen beschäftigt, machte
mir's die größte Freude, dasjenige hier unter freiem Himmel so frisch
und natürlich zu sehen, weshalb sich die Lehrer der Physik schon fast
hundert Jahre mit ihren Schülern in eine dunkle Kammer einzusperren
pflegten. Ich verschaffte mir noch einige Scherbenstücke, die ich
hineinwarf, und konnte gar wohl bemerken, dass die Erscheinung unter
der Oberfläche des Wassers sehr bald anfing, beim Hinabsinken immer
zunahm, und zuletzt ein kleiner weißer Körper, ganz überfärbt, in
Gestalt eines Flämmchens am Boden anlangte. Dabei erinnerte ich
mich, dass Agricola schon dieser Erscheinung gedacht und sie unter die
feurigen Phänomene zu rechnen sich bewogen gesehen.
Nach Tisch ritten wir auf den Hügel, der unseren Zelten die Ansicht
von Verdun verbarg. Wir fanden die Lage der Stadt als einer solchen
sehr angenehm, von Wiesen, Gärten umgeben, in einer heitern Fläche,
von der Maas in mehreren Ästen durchströmt, zwischen näheren und
ferneren Hügeln; als Festung freilich einem Bombardement von allen
Seiten ausgesetzt. Der Nachmittag ging hin mit Errichtung der
Batterien, da die Stadt sich zu ergeben geweigert hatte. Mit guten
Ferngläsern beschauten wir indessen die Stadt und konnten ganz genau
erkennen, was auf dem gegen uns gekehrten Wall vorging: mancherlei
Volk, das sich hin und her bewegte und besonders an einem Fleck sehr
tätig zu sein schien.
Um
Continue reading on your phone by scaning this QR Code
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the
Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.