der Welt läßt sich die Dramatik des Umbruchs so
unmittelbar verfolgen wie hier. In Deutschland treffen die Kräfte und
Werte, die zu den großen historischen Errungenschaften und den
katastrophalen historischen Fehlleistungen dieses Landes geführt haben,
mit den neuen Kräften und Werten, die das Gesicht der Welt verändern,
gewissermaßen in Reinform zusammen.
An Ordnung, Disziplin und Fortschritt gewöhnt, beklagen die Bürger
heute eine allgegenwärtige lähmende Bürokratie, die von Regierung
und Verwaltung ausgeht. Früher galt das, verbunden mit dem Namen
Bismarcks, als gute deutsche Tugend, eine der vielen
Qualitätsmaschinen „Made in Germany“. Im Verlauf der Zeit aber
wurde der Bürger abhängig von ihr und konnte sich nicht vorstellen,
jemals ohne sie auszukommen. Die Mehrheit schreckt vor Alternativen
zurück und möchte nicht einmal über sie nachdenken. Geprägt von
Technik und Qualitätsarbeit ist die Vorstellung, daß das
Industriezeitalter seinem Ende entgegengeht, den meisten eine
Schreckensvision. Sie würden eher ihre Schrebergärten hergeben als
die digitale Autobahn zu akzeptieren, die doch die Staus auf ihren
richtigen Autobahnen zu den Hauptverkehrszeiten abbauen könnte--ich
betone das „könnte“. Noch immer lebt es sich gut durch den Export
eines technischen und wissenschaftlichen Know-how, dessen Glanzzeit
allerdings vorüber ist.
Als ein hochzivilisiertes Land ist Deutschland fest entschlossen, den
barbarischen Teil seiner Vergangenheit hinter sich zu lassen. Der
Klarheit halber sei gesagt, was ich unter barbarisch verstehe:
Hitler-Deutschland verdient keinen anderen Namen, ebensowenig wie
alle anderen Äußerungen von Aggression, Antisemitismus und
Rassismus, die noch immer nicht der Vergangenheit angehören. Aber
bis heute hat man nicht verstanden, daß eben jene pragmatische
Struktur, die die industrielle Kraft Deutschlands begründete, auch die
destruktiven Kräfte begünstigte. (Man denke nur an die
Technologieexporte, die die wahnsinnigen Führer ölreicher Länder erst
jüngst in die Hände bekommen haben.) Das wiedervereinigte
Deutschland ist bereit, in einer Welt mit globalen Aufgaben und
globalen Problemen Verantwortung zu übernehmen. Es setzt sich unter
anderem für den Schutz des tropischen Regenwaldes ein und zahlt für
Werte--den Schutz der Umwelt--statt für Produkte. Aber die politischen
Führer Deutschlands und mit ihnen große Teile der Bevölkerung haben
noch nicht begriffen, daß der Osten des Landes nicht unbedingt ein
Duplikat des Westens werden muß, damit beide Teile zusammenpassen.
Differenz, d. h. Andersartigkeit, ist eine Qualität, die sich in
Deutschland keiner großen Wertschätzung erfreut. Verlorene Chancen
sind der Preis, den Deutschland für diese preußische Tugend der
Gleichmacherei bezahlen muß.
Die englische Originalfassung dieses Buches wurde 1997 auf der
Leipziger Buchmesse vorgestellt und in der Folge von der Kritik
wohlwollend aufgenommen. Dank der großzügigen Unterstützung
durch die Mittelsten-Scheid Stiftung Wuppertal und die Alfred und
Cläre Pott Stiftung Essen, für die ich an dieser Stelle noch einmal Dank
sage, konnte dann Anfang 1998 die Realisierung des von Beginn an
bestehenden Plans einer deutschsprachigen Ausgabe konkret ins Auge
gefaßt werden. Und nachdem Prof. Dr. Norbert Greiner, bei dem ich
mich hier ebenfalls herzlich bedanken möchte, für die Übersetzung
gewonnen war, konnte zügig an die Erarbeitung einer gegenüber der
englischen Ausgabe deutlich komprimierten und stärker auf den
deutschsprachigen Diskussionskontext zugeschnittenen deutschen
Ausgabe gegangen werden. Einige Kapitel der Originalausgabe sind in
der deutschsprachigen Edition entfallen, andere wurden stark
überarbeitet. Entfallen sind vor allem solche Kapitel, die sich in ihren
inhaltlichen Bezügen einem deutschen Leser nicht unmittelbar
erschließen würden. Ein Nachwort, das sich ausschließlich an die
deutschen Leser wendet, wurde ergänzt.
Die deutsche Fassung ist also eigentlich ein anderes Buch. Wer das
Thema erweitern und vertiefen möchte, ist selbstverständich eingeladen,
auf die englische Version zurückzugreifen, in die 15 Jahre intensiver
Forschung, Beobachtung und Erfahrung mit der neuen Technologie
und der amerikanischen Kultur eingegangen sind. Ein Vorzug der
kompakten deutschen Version liegt darin, daß die jüngsten
Entwicklungen--die so schnell vergessen sein werden wie alle anderen
Tagesthemen--„Fortsetzungen“ meiner Argumente darstellen und sie
gewissermaßen kommentieren. Sie haben wenig miteinander zu tun
und sind dennoch in den folgenden Kapiteln antizipiert: Guildos
Auftritt beim Grand Prix d’Eurovision (liebt er uns eigentlich immer
noch, und warum ist das so wichtig?), die enttäuschende Leistung der
deutschen Nationalmannschaft bei der Fußballweltmeisterschaft
(standen sich im Endspiel Brasilien und Frankreich oder Nike und
Adidas gegenüber?), die Asienkrise, das Ergebnis der
Bundestagswahlen, der Euro, neue Entwicklungen in Wissenschaft und
Technologie, die jüngsten Arbeitslosenzahlen, die Ökosteuer und vieles
mehr. Wer sich der Mühe einer gründlichen Lektüre des vorliegenden
Buches unterzieht, wird sich auf diese Entwicklungen einen eigenen
Reim machen können, sehr viel besser als die Mediengurus, die uns das
Denken abnehmen wollen. Zumindest wird er über die wortreichen
Artikel halbgebildeter Akademiker und opportunistischer Journalisten
schmunzeln, die allzeit bereit sind, anderen zu erklären, was sie selbst
nicht verstehen.
Wie in der englischen Version möchte ich auch meine deutschen Leser
einladen, mit mir in Kontakt zu treten und mir ihre kritischen
Kommentare oder Fragen per e-mail zukommen zu lassen:
[email protected]. Im Einklang mit dem Ziel des Buches, für die
Kommunikation jenseits der Schriftkultur das schriftkulturelle
Eins-zu-Viele-Verhältnis (Autor:Leser) zu überwinden, wird für dieses
Buch im World Wide Web ein Forum eingerichtet. Die Zukunft