Japanische Märchen | Page 9

Karl Alberti
Walde aber war es sehr einsam und schaurig und der Mann konnte
vor Angst und Furcht nicht schlafen. Gegen Mitternacht hörte er
plötzlich Stimmen und lautes Lachen. Verwundert streckte er den Kopf
hervor und sah eine Anzahl Kobolde mit den sonderbarsten Gesichtern
und in verschiedener Gestalt. Diese hatten gerade in der Nähe des
Baumes, in dem der Landmann saß, Platz genommen und ergötzten
sich am Trunk. Als sie genug getrunken hatten, begannen sie zu singen
und zu tanzen. Der Landmann, der gern tanzte und ebenso gern einen
guten Trunk Sake[1] zu sich genommen hätte, konnte es in seinem
Versteck nicht länger aushalten, denn die Lust der Kobolde wirkte auf
ihn ansteckend.
Er kam also hervor und näherte sich den Tanzenden, die, als sie einen
Menschen erblickten, erschraken und forteilen wollten. Er rief ihnen
aber zu: »Bleibt nur da, ich will euch nur zeigen, wie man besser
tanzt!« Und gleich darauf begann er sich lustig im Tanze zu drehen.
Die Kobolde freuten sich über sein Tanzen und versuchten es ihm
nachzumachen, auch gaben sie ihm zu essen und zu trinken.
War das eine Fröhlichkeit! Sie dauerte bis der Morgen graute.
[Buntbild]
Da sprachen die Kobolde: »Du hast uns durch deine Gesellschaft
hocherfreut. Komme doch auch morgen nacht wieder!«
Der Landmann sagte dies zu; aber die Kobolde wollten ein Unterpfand
haben, daß er auch sicherlich käme. »Weißt du«, sagten sie zu ihm,
»wir werden zur Sicherheit deine Geschwulst nehmen, du kannst sie
dann morgen wieder bekommen.«
Damit griff der Sprecher gleich an die Wange des Mannes und nahm
ihm die Geschwulst fort, ohne daß er einen Schmerz verspürte. Hierauf
eilten alle lachend fort, ihm zurufend, nicht zu vergessen wieder zu
kommen.
Der Landmann befühlte seine Wange, sie war ganz glatt und hatte

keine Spur der Geschwulst mehr, nicht einmal eine Narbe; er war
darüber außerordentlich froh und nahm sich vor, diesen Platz in
Zukunft zu meiden und den Kobolden aus dem Wege zu gehen; denn er
hatte gar kein Verlangen die Geschwulst wieder zu bekommen.
Er ging also zufrieden nach Hause, wo alle ihn verwundert anstaunten,
daß er seine Geschwulst ohne jede Spur verloren hatte. Er erzählte dann,
welches Glück ihm die Kobolde für sein Tanzen bereiteten, verschwieg
aber kluger Weise, daß sie ihm die Geschwulst nur als Unterpfand für
sein Wiederkommen abgenommen hatten.
Nun wohnte in dem Dorfe noch ein Landmann mit einer Geschwulst
auf der Wange. Dieser hatte die Geschwulst auf der linken Seite.
Als er von dem Glück seines Nachbarn hörte, wollte auch er seiner
Geschwulst los werden und ließ sich den Platz genau beschreiben, wo
der erste Landmann die Kobolde getroffen hatte.
In der Nacht ging er dorthin und traf die Kobolde auch wirklich an. Er
wollte aber erst hören, was sie sagten und versteckte sich daher in
dieselbe Höhlung, in der in der Nacht vorher der andere Landmann
gesteckt hatte.
Die Kobolde aber sprachen nicht viel, sondern schauten sich von Zeit
zu Zeit erwartend um, bis endlich einer sagte: »Unser Freund von
gestern scheint heute nicht zu kommen!«
Als dies der Landmann hörte, sprang er tanzend hervor und rief: »Da
bin ich schon!«
Nun freuten sich alle, gaben ihm zu trinken und forderten ihn dann auf
wieder seine Kunst zu zeigen.
Er war aber ein ungeschickter Tänzer; auch konnte er nicht viel Sake
vertragen, sodaß sein Tanz noch ungeschickter war und er steif und
torkelnd umherhopste. Es war den Kobolden kein Vergnügen, dem
Manne zuzuschauen und so riefen sie: »Du bist heute nicht so geschickt
wie gestern und wir haben heute keine Freude an deiner Gesellschaft.

Mach, daß du fort kommst und laß dich nie wieder bei uns sehen; da
wir von dir keine Erinnerung wünschen, so hast du hier deine
Geschwulst wieder!«
Der eine Kobold zog sie aus der Tasche und warf sie dem verdutzten
Manne ins Gesicht, klitsch -- klatsch -- saß sie an der rechten Wange.
Dann stieß man ihn fort und er mußte jetzt mit zwei Geschwülsten
heimkehren. --
Das kommt davon, wenn man neidischen Sinnes das gleiche Glück
besitzen will, das andere genießen!
[Abbildung]
[Anmerkung 1: Sake = aus Reis bereiteter, stark alkoholhaltiger Wein,
der heiß getrunken wird.]

[Verzierung]
Neid bringt Leid.
[Abbildung]
Es ist schon lange, lange Zeit her! Da lebte einmal in einem kleinen
Städtchen ein alter Mann. Dieser hatte in seinem ganzen Leben
jedermann nur Gutes getan, war fromm und gut. Deshalb hatten ihn
auch alle Leute lieb, obgleich er arm war. Gerade gegenüber dem
Hause dieses guten alten Mannes wohnte ein anderer alter Mann, der
sehr reich war, aber nicht gut, sondern habgierig und alles, was er sah,
gern haben wollte.
Nun hatte der gute Mann leider kein Kind und keine Verwandte und er
hätte ganz einsam leben müssen, was er nicht wollte; denn er wünschte
auch in seinem Hause jemanden zu haben, den er lieb haben könnte und
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