J. W. v. Goethes Biographie | Page 9

H. Doering
aus dem Leben gegriffene Lustspiel
von ächtem Nationalgehalt, lenkte seinen Blick zugleich auf die großen
Weltereignisse des siebenjährigen Krieges. Neben dem bedeutenden
Stoff bewunderte er besonders die concise Behandlung. Ein solches
Muster zu erreichen, traute er sich nicht zu. Schon sein beschränkter
Umgang mit vielseitig gebildeten Personen verhinderte ihn daran. In
den eignen Busen mußte er greifen, wenn es ihm darum zu thun war,
seinen Gedichten durch Empfindung oder Reflexion eine feste Basis zu
geben. Fühlbar ward ihm wenigstens, daß er, um bei seinen poetischen
Producten zu einer klaren Anschauung der einzelnen Gegenstände zu
gelangen, aus dem Kreise, der ihn umgab und ihm ein Interesse
einflößte, nicht heraustreten durfte. Solchen Ansichten verdankten
mehrere lyrische Gedichte Goethe's, von denen sich jedoch nur wenige
erhalten haben, ihre Entstehung. Goethe gab diesen Gedichten meistens
die Form des Liedes, bisweilen auch ein freieres Versmaß. Es waren
weniger Produkte einer sehr lebhaften Phantasie, als des ruhigen
Verstandes, wofür schon die epigrammatische Wendung in einigen
jener Gedichte zu sprechen schien. Unverändert blieb seinem Geiste die
Richtung, Alles, was ihn erfreute, beunruhigte oder überhaupt in irgend

einer Weise lebhaft beschäftigte, in ein poetisches Gewand zu kleiden.
Seine Natur, die leicht von einem Extrem in's andre geworfen ward,
gelangte dadurch zu einer gewissen Ruhe.
Aus seinem, durch eigene Schuld, vorzüglich durch grundlose
Eifersucht wieder aufgelösten Lebensverhältniß schöpfte Goethe die
Idee zu seinem ersten dramatischen Werke. 1769 dichtete er sein
Schauspiel: "die Laune des Verliebten", das er jedoch erst nach einer
bedeutenden Reihe von Jahren dem Druck übergab. Seinem Inhalt nach
war das Stück dem später gedichteten Schauspiel: "Erwin und Elmire"
ähnlich, so wesentlich es sich von demselben durch die Form und
Behandlungsart unterschied. Erhalten hat sich unter mehreren
literarischen Entwürfen aus jener Zeit nur der Anfang einer in
Alexandrinern verfaßten Uebersetzung von Corneille's Lustspiel: Le
Menteur, unter dem Titel: "der Lügner", und außerdem das Fragment
eines in Briefen zwischen "Arianne und Wetty" geschriebenen Romans.
Man findet diese Bruchstücke in den neuerlich von A. Scholl
herausgegebenen Briefen und Aufsätzen Goethes aus den Jahren
1766-1786. Vollendet ward von Goethe nur das Lustspiel: "Die
Mitschuldigen." Er bedauerte in spätern Jahren, daß er über der ernsten
Richtung in seinen ersten dramatischen Werken manchen heitern Stoff,
den ihn das Studentenleben darbot, unbenutzt gelassen hatte. Seine
Empfindungen legte er in einzelnen Liedern und Epigrammen nieder,
die jedoch, nach seinem eignen Geständnisse in späterer Zeit, zu
subjectiv waren, um außer ihn selbst, noch irgend Jemand zu
interessiren.
Einen frühen Jugendeindruck erneuerte in Goethe Gellerts wiederholte
und dringende Ermahnung an seine Zuhörer, sich dem öffentlichen
Gottesdienste und dem Genuß des heiligen Abendmahls nicht zu
entziehen. Etwas Furchtbares hatte für Goethe von jeher die
neutestamentliche Vorstellung gehabt: wer das Sakrament unwürdig
genösse, äße und tränke sich selbst den Tod. Von mannigfachen
Gewissensscrupeln beunruhigt, hatte er sich der Abendmahlsfeier lange
entzogen, und Gellerts Ermahnungen fielen ihm um so schwerer aufs
Herz. Ueber die ernsten Betrachtungen, denen er sich eine Zeit lang
überließ, siegte indeß bald wieder angeborner Humor und jugendlicher
Leichtsinn.
Einflußreich und belehrend durch seine vielseitigen Sprach- und

Literaturkenntnisse ward für Goethe die Bekanntschaft mit dem
Hofmeister eines jungen Grafen von Lindenau. Er hieß Behrisch, und
war, nach Goethes eigner Schilderung, ungeachtet seines redlichen
Charakters und seiner vielen löblichen Eigenschaften, einer der größten
Sonderlinge. Trotz der Würde seines äußern Benehmens war er immer
zu allerlei muthwilligen Possen aufgelegt. Durch seine sarkastischen
Bemerkungen weckte er in Goethe den Hang zur Satyre. Zur besondern
Zielscheibe seines Witzes wählte sich dieser den Professor Clodius, der
die stylistischen Vorlesungen übernommen, welche Gellert, seiner
Kränklichkeit wegen, hatte aufgeben müssen. Durch den Tadel eines
Gedichts, mit welchem Goethe die Hochzeit eines Oheims in Frankfurt
verherrlichen wollte, hatte Clodius seine Autoreitelkeit verletzt.
Gemeinschaftlich mit seinem Freunde Behrisch rächte sich Goethe
durch lauten Spott über die mittelmäßigen Oden, mit denen Clodius
mehrmals bei feierlichen Gelegenheiten hervorgetreten war. Die darin
enthaltenen Kraftsprüche und Sentenzen benutzte Goethe zu einer
Parodie. Es war ein an den damals sehr beliebten Conditor Händel
gerichtetes Gedicht, welches zwar nicht gedruckt, doch bald in
mehreren Abschriften verbreitet ward. Die Wirkung seiner Parodie
verstärkte Goethe noch durch einen satyrischen Prolog, den er bald
nachher zu dem von Clodius geschriebenen Lustspiel: "Medon oder die
Rache des Weisen" dichtete. Nach seiner eignen Schilderung in spätern
Jahren hatte Goethe in jenem Prolog Harlekin mit zwei Säcken
auftreten lassen, mit moralisch-ästhetischem Sande gefüllt, den die
Schauspieler den Zuschauern in die Augen streuen sollten. Der eine
Sack, äußerte Harlekin, sei mit Wohlthaten gefüllt, die nichts kosteten,
der andere mit allerlei hochtrabenden Sentenzen, hinter denen nichts
stecke. Darum möchten die Zuschauer ja die Augen zudrücken u.s.w.
Getrennt von seinem Freunde Behrisch, dem seine vielseitigen
Kenntnisse die Stelle eines Erziehers des Erbprinzen von Dessau
verschafft hatten, sank Goethe wieder aus Mangel an Selbstständigkeit
in das vielfach bewegte und leidenschaftliche Treiben zurück, dem er
durch Behrisch kaum entrissen worden war. Auf einen bessern
Continue reading on your phone by scaning this QR Code

 / 48
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.